Prozess in Heidenheim

21-Jähriger will nach erneutem Ausraster ins Gefängnis statt in Entzugsklinik

"Seltene enthemmte Reaktion": Mit dieser Aussage beschrieb ein Polizeibeamter den Ausraster eines 21-jährigen Mannes, der jetzt einmal mehr angeklagt war. Straftaten sind bei ihm seit Jahren die Regel und keine Maßnahme greift. Nun stand er erneut vor Gericht:

21-Jähriger will nach erneutem Ausraster ins Gefängnis statt in Entzugsklinik

„Systemsprenger“ ist ein Begriff, der im Laufe der Verhandlung vor dem Jugendschöffengericht an diesem Tag irgendwann fällt. Damit ist das Leben des gerade mal 21-jährigen Mannes wohl in einem Wort zusammengefasst. Schon als Kind ist er extrem auffällig, hält sich weder an Regeln noch an Verbote. Es folgen Aufenthalte in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Ab 14 bestimmt Alkohol sein Leben und wenn er trinkt, nimmt die Aggression zu. Er torkelt quasi von einer Straftat zur nächsten und den ersten Verurteilungen folgen rasch immer weitere.

Jugendarrest, Gefängnis, das alles beeindruckte den jungen Mann offenbar nicht. Kaum wieder draußen, ging es weiter wie zuvor - mit immer noch mehr Alkohol und teilweise auch anderen Drogen. In der aktuellen Verhandlung, in der es um gefährliche Körperverletzung, Angriffe auf Polizeibeamte und noch einiges mehr ging, war immer wieder die Rede von knapp drei Promille.

Die gefährliche Körperverletzung soll er gemeinsam mit seiner Freundin begangen haben, die ebenfalls angeklagt ist. Im vergangenen Oktober sollen die beiden beim Rewe-Markt auf einen Mann losgegangen sein, und ihn auch noch am Boden liegend getreten haben. Außerdem habe der 21-Jährige dem Opfer angeblich eine Wodka-Flasche auf den Kopf geschlagen. Beide Angeklagte waren zum Zeitpunkt erheblich alkoholisiert.

Alle drei Beteiligten sind miteinander bekannt und eine Woche zuvor hat der angeblich Geschädigte sogar in der Wohnung des Paares übernachtet. Dabei soll es zu einem sexuellen Übergriff auf die junge Frau gekommen sein.

Geschädigter erscheint nicht zur Verhandlung

„Ich hab´ dem eine geschoben“, bestätigte der Angeklagte vor Gericht. Mit der Flasche habe er ihn aber nicht geschlagen: „Der ist gestolpert und gegen den Bordstein gefallen“. Die Freundin habe überhaupt nichts gemacht. Die gab aber offen zu, den Bekannten geohrfeigt zu haben, weil sie wütend wegen der sexuellen Belästigung auf ihn gewesen sei. Der Mann habe sie daraufhin ebenfalls geohrfeigt und ihr in den Bauch getreten, so dass sie gestürzt sei.  

Den sexuellen Übergriff hatte die Frau auch bei der Polizei angezeigt, war aber zu einer Nachvernehmung nicht mehr erschienen.

Das Opfer sowie ein Zeuge konnten nicht zu dem Vorfall befragt werden. Der Geschädigte erschien unentschuldigt nicht zur Verhandlung, der Zeuge sitzt derzeit in Haft. Die Vernehmungen wurden auf den 24. Oktober vertagt.

Vor dem Schöffengericht ging es dafür mit Vorfällen weiter, für die sich der 21-jährige allein zu verantworten hat. Innerhalb einer Woche geriet er im vergangenen November zweimal in Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Beim ersten Mal rückten die Beamten aus, als der Angeklagte bei einer Halloween-Party in Steinheim randalierte. Sie mussten den stark Betrunkenen unter üblen Beleidigungen aufs Revier nach Heidenheim mitnehmen, wo er weiter randalierte, und versuchte mit Fäusten auf die Beamten loszugehen. Eine Woche später griffen Beamte des Reviers Giengen den Mann auf, als er stark betrunken mit einem Fahrrad unterwegs war. Das Rad war offenbar gestohlen, weshalb er sowohl wegen Diebstahls als auch wegen Trunkenheit im Verkehr angezeigt wurde.

Gewaltpotential hat sich immer weiter gesteigert

Nach Aussagen der Beamten, sei der Mann kaum zu bändigen gewesen. Verschiedene Polizisten zogen sich Verletzungen zu. Selbst als er am nächsten Morgen entlassen werden sollte, war der junge Mann immer noch extrem aggressiv. Ein Beamter beschrieb als Zeuge, dass er solch enthemmte Aggression selten erlebt habe. Eine Polizistin berichtete, dass sie das Gefühl hatte, dass es der Angeklagte es regelrecht darauf angelegt habe, die Situation eskalieren zu lassen.

Auch als der Angeklagte im Februar erneut in einer Arrestzelle landete, nachdem er am ZOH herumgepöbelt hatte, gab es wieder gewaltsame Auseinandersetzungen mit Beamten, bei denen diese auch verletzt wurden.

Sie kenne den Angeklagten, seit er 13 Jahre alt war, berichtete eine weitere Polizistin. Das Gewaltpotenzial habe sich aus der Alkoholisierung heraus immer weiter gesteigert.

Dass der Alkohol das Grundproblem des jungen Mannes ist, der zudem aus einer schwierigen familiären Situation stamme, bestätigte auch Nicole Biedermann, unter deren Führungsaufsicht der Angeklagte seit seiner Haftentlassung im November 2021 steht. Das Ziel, ihn zu einer Suchtberatung zu bewegen, habe sie nicht erreichen können.

Auch der psychiatrische Gutachter Dr. Thomas Heinrich berichtete, dass der Angeklagte nicht einsehe, dass er unter Alkoholeinfluss aggressiv werde. Eine körperliche Abhängigkeit sehe er jedoch nicht. Er sprach den Angeklagten darauf an, ob er bereit wäre, in eine Entzugsklinik zu gehen. Und auch dessen Anwalt, Ulrich Carle, sah das als eine in die Zukunft gerichtete Chance. Selbst Richter Jens Pfrommer redete eindringlich auf den Angeklagten ein. „Wollen Sie etwa so weitermachen wie bisher?“  Doch die gut gemeinten Worte erreichten den 21-Jährigen nicht. Er wolle lieber in der Haftanstalt bleiben, dort habe er Bekannte, Freizeit und Besuche, alles sei dort für ihn einfacher. Derzeit sitzt der Angeklagte in Untersuchungshaft, denn, wenn das jetzige Verfahren abgeschlossen ist, steht bereits ein weiteres an, bei dem es wieder um gefährliche Körperverletzung gehen wird.

Dass der Angeklagte außerdem noch zu Unrecht Arbeitslosengeld bezogen hat, weil er kurzzeitig eine Stelle angenommen hatte, blieb angesichts der Fülle der Anklagepunkte fast eine Randnotiz. Rund 1500 Euro wird er zurückzahlen müssen.

Die Verhandlung wird am 24. Oktober fortgesetzt.

Entzug statt Haft

Für suchtkranke Straftäter besteht die Möglichkeit, auf Anordnung des Gerichtes einen Teil ihrer Haftstrafe in einer darauf spezialisierten Fachklinik zu verbringen, um dort einen Entzug zu machen. Zum 1. Oktober ist eine Gesetzesänderung in Kraft getreten, die eine Unterbringung im so genannten Maßregelvollzug nur zulässt, wenn zu erwarten ist, dass die Person den Entzug auch schafft, und dadurch davon abgehalten wird weitere Straftaten zu begehen.

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