Theaterring Heidenheim

"Transit" im Konzerthaus Heidenheim: Leider so aktuell wie nie

Die Badische Landesbühne war im Rahmen des Theaterrings zu Gast im Konzerthaus Heidenheim. Ihre Inszenierung von "Transit" war klug, beklemmend und leider so aktuell wie nie.

"Transit" im Konzerthaus Heidenheim: Leider so aktuell wie nie

Die endlose Suche nach dem Passierschein A38: Man muss kein „Asterix und Obelix“-Kenner sein, um das Synonym für bürokratischen Irrsinn zumindest schon einmal gehört zu haben. Im englischsprachigen Raum ist der „Catch-22“ als Begriff für unlösbares, weil widersprüchliches Dilemma geläufiger. Die Zahl, um die es an dieser Stelle gehen soll, ist 1940. Bürokratietücken sind ebenfalls Thema, wenn auch gänzlich komikbefreit. Anna Seghers Roman „Transit“, der im Jahr 1940 spielt, stand am Dienstag im Konzerthaus auf dem Programm des Theaterrings, wo die Badische Landesbühne ihre Inszenierung eines der wichtigsten Werke deutscher Exilliteratur präsentierte.

Paris: Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs sind Hunderttausende Menschen auf der Flucht. Ein junger Deutscher (Thilo Langer), der aus dem Konzentrationslager und einem Internierungslager fliehen konnte, trifft in Paris ein, wo er dem Schriftsteller Weidel einen Brief übergeben soll. Nur hat dieser sich das Leben genommen. Der junge Mann findet in Weidels Unterlagen ein Einreisevisum für Mexiko. Er schlägt sich nach Marseille durch und kommt zu Personalpapieren auf den Namen Seidler. Nun fehlen ihm nur noch eine Ausreisebewilligung, ein Transitvisum und eine Bordkarte – ein Spießrutenlauf, den Seghers am eigenen Leib erlebt hat.

Brachiale Realität des Krieges Thema beim Theaterring Heidenheim

Kathrin Mayrs Inszenierung trifft bereits angesichts des Bühnenbildes voll ins Schwarze. Karge, abgemagerte Stäbe, die an Klettergerüste erinnern, stehen für Türen, die nirgendwo hinführen, Leitern, die kein Ende finden und Podeste, die über Trümmer ragen. Die brachiale Realität des Krieges ist dabei mehr zu erahnen, im Fokus liegen die Folgen.

Sämtliche Figuren des Stücks befinden sich in einem permanenten Zustand des Übergangs. Transit meint hier ein Nichtankommen, ein ständiges Unterwegssein von Konsulat zu Konsulat auf der Suche nach Reisepapieren. Transit steht jedoch gleichzeitig für Stillstand, für ein Leben im Vakuum, das sich weder vor- noch zurückdreht.

"Transit"-Ensemble durchgehend überzeugend

Inmitten von Menschen, die wegwollen, scheint Seidler der Einzige zu sein, der verweilen möchte. Er trifft auf Marie (Madeline Hartig), der Frau des verstorbenen Weidels, sowie Maries neue Liebschaft, einen Arzt (Tobias Gondolf). Das Trio bildet das gesamte Ensemble und ist stetig auf der Bühne präsent. Insbesondere Hartig und Gondolf gelingt es auf beeindruckende Weise, das Publikum ununterbrochen für sich einzunehmen. Thilo Langer braucht eine gewisse Zeit, um schauspielerisch aufzuschließen, überzeugt ab diesem Moment jedoch ebenfalls durchweg.

Anachronistisch, weil modern, wirkt Seidlers Kleidung. Er trägt Karohemd, Sneaker und Chino-Hosen. Marie, der Arzt und alle weiteren Rollen, die von Hartig und Gondolf verkörpert werden, tragen Kostüme, die klar den 40er-Jahren zuzuordnen sind. Inmitten von braun-beigen Kleidungsstücken sticht Maries knallrotes Halstuch hervor. Es symbolisiert auf der einen Seite Maries Hoffnung, ihren am Leben geglaubten Ehemann doch noch irgendwo im Marseiller Moloch zu finden, und auf der anderen Seite steht es stellvertretend für Seidlers Liebe zu und Besessenheit von der jungen Frau. Um sie in Marseille und damit im immerwährenden Zustand des Übergangs zu halten, verschleiert Seidler Marie die Tatsache, dass er die Identität ihres Mannes angenommen hat und sabotiert sogar ihre Versuche, ein „Visa de sortie“ zu erhalten.

Zum Glück keine störende Spielpause im Konzerthaus

Hervorzuheben ist die Erzählstruktur, die Kathrin Mayr wählt. Oftmals im Sekundentakt wechselt die Aufführung zwischen den spielerischen Handlungen der Charaktere und den Erläuterungen eines Ich-Erzählers. Wer spricht, wer hier wer ist und wer nicht – die intelligente Inszenierung verlangt vom Publikum höchste Aufmerksamkeit. Im mucksmäuschenstillen Konzerthaus war ihr diese versichert, nicht zuletzt, weil dankenswerterweise auf eine so unnötige wie störende Spielpause verzichtet wurde.

Die Inszenierung der Badischen Landesbühne von „Transit“ hat in Heidenheim ihre erst zweite Vorstellung erlebt, nur wenige Tage nach der Premiere. Kaum zu glauben eigentlich, wo das Stück doch bereits am Anfang seiner Spielzeit mit Sicherheit und Entschlossenheit nach vorne prescht. Geschuldet mag das der Tatsache sein, dass die Thematik einmal mehr aktuelle Fragen und Herausforderungen anspricht. In Zeiten, in denen Antisemitismus einen traurigen Aufschwung erfährt und gleichzeitig Menschen gezwungen sind, auf der Flucht vor Krieg und Verderben ihre Heimat zu verlassen, ist „Transit“ so aktuell wie schon lange nicht mehr.

"Transit"-Verfilmung mit Michael Rogowskis Enkel

Der Roman "Transit" von Anna Seghers erschien in deutscher Fassung erstmals 1947 in der Berliner Zeitung und die erste deutsche Buchausgabe 1948 im Curt-Weller-Verlag. Ein gleichnamiger, von "Transit" inspirierter Spielfilm erschien 2018. Die Hauptrolle darin übernahm Franz Rogowski, Enkel des verstorbenen Heidenheimer Ehrenbürgers Dr. Michael Rogowski.

Die nächste Theaterring-Aufführung steht am am Mittwoch, 13. Dezember, ebenfalls im Konzerthaus an. Die Württembergische Landesbühne Esslingen führt Juli Zehs "Corpus Delicti" auf. Karten gibt es unter anderem im Pressehaus in Heidenheim sowie unter laendleevents.de.

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