Traum und Wirklichkeit

Opernfestspiele Heidenheim: So war die Premiere von Giacomo Puccinis „Madama Butterfly“

Nicht zuletzt auch ein musikalischer Triumph: Bei den Heidenheimer Opernfestspielen hatte Giacomo Puccinis „Madama Butterfly“ Premiere.

„Zärtlicheres gab es auf Erden nicht als den Zwiegesang aus einer modernen italienischen Oper.“ Bei Puccini fällt mir immer Thomas Manns „Zauberberg“ ein. Hans Castorp hört hier bekanntlich frühmorgens schon Puccini auf nüchternen Magen. Zwar wird dem Leser nur zwischen den Zeilen verraten, dass es tatsächlich Puccini ist, was da aus dem Grammophon quillt, aber das mag dem leichten Unwohlsein geschuldet sein, das Thomas Mann im Zusammenhang mit der Musik des populären Mannes aus Lucca wohl empfand. Weniger zurückhaltend war da Kurt Tucholsky. Der nannte den Komponisten nicht nur beim Namen, der nannte ihn den „Verdi des kleinen Mannes“.

Jetzt aber. Puccini, ein Zeitgenosse, der auch noch Erfolg hatte, war musikalisch eben nicht allen geheuer und bei nicht wenigen als regelrechter Kitschonkel verrufen. Und den Vorwurf, um des Erfolgs willen vor Kitsch nicht zurückzuschrecken, hatte ihm nicht zuletzt die „Madama Butterfly“ mit ihren musikalischen Ausflügen ins Japanische eingebracht.

Schöner Schein: Hochzeit vor dem Hause Butterfly. Oliver Vogel

In Sachen Exotismus

Ungerechtfertigterweise. Denn der Exotismus, der hier als solcher Puccini mitunter selbst heute noch angekreidet wird, ist keinesfalls ein auf den Beifall des Publikums zielendes Accessoire, sondern eben das bitter notwendige, sich aber letztlich vergeblich wehrende Gegengewicht zum sich imperial gebärdenden und eine alte Kultur erschütternden Fremden. Dass Puccini unter dem Vorwand des Exotismus dem Publikum sogar den Bruch mit der Tonalität zumutet, spricht ebenfalls gegen die Vorwürfe in Sachen Kitsch, der sich allenfalls in der Aufführungsgeschichte dieser Oper, also auf der Bühne findet.

Allerdings nicht auf der Bühne der Heidenheimer Opernfestspiele. Denn in der Inszenierung von Rosetta Cucchi kommt die Geschichte der Madama Butterfly doch nahe an ihren eigentlichen Kern. Und der wiederum findet sich eben nicht in der oft und dazu auch noch gern sentimental erzählten Variante einer leider Gottes sitzengelassenen jungen Frau. Denn um was es eigentlich geht, ist der Einbruch des rücksichtslos Fremden, hier des abendländischen Imperialismus, in eine von da an vom Untergang bedrohte Kultur; Sex-Tourismus inklusive.

Schürzenjäger auf Landgang: Leutnant Pinkerton (Héctor Sandoval) in der Straße der Geishas. Oliver Vogel

Kein Abziehbild

Weil das schon zur Uraufführungszeit der Oper 1904 sowohl dem Publikum womöglich zu wahr und den Theatern deshalb zu anstrengend erschien, ließ sich Puccini schon bald die vom gesellschaftskritischen Realismus der radikalen Urfassung abweichende, heute gewohnte Fassung abschwatzen. Wobei er immerhin die Möglichkeit nutzte, musikalisch ein wenig draufzusatteln. Seither verschwunden sind freilich zum Beispiel die offen Japan und die Japaner schmähenden Reden des amerikanischen Herrenmenschen Pinkerton.

Dankenswerterweise verschont uns Rosetta Cucchi mit dem Abziehbild des wonnigen und verliebten Yankees, der sich am Ende womöglich noch selbst leidtun darf. In dieser Inszenierung bricht von vornherein ein arroganter, selbstverliebter und an nichts anderem als am persönlichen Lustgewinn interessierter Kotzbrocken in die fragile Szenerie ein. Und Héctor Sandovalas zwar eng mensurierter, dennoch strahlkräftiger und metallglänzender Tenor passt ja nicht schlecht zum vom Nachdenken nicht getrübten, breitbeinigen Gehabe dieses Machos. Mehr denn je fragt man sich hier, warum der durchaus menschenfreundlich gesinnte Sharpless, als der sich Gerrit Illenberger durchgehend kernig aus der Bariton-Ecke meldet, seinem Landsmann nicht eindeutiger Mores lehrt. Weil wir dann von vornherein um die Geschichte gebracht wären, schon klar . . .

Schluss mit lustig: Onkel Bonze (Marcel Bakonyi) verstößt die zum christlichen Glauben konvertierte Butterfly noch auf der Hochzeitsfeier aus der Familie. Oliver Vogel

Hier und heute

Nun könnte man sich ein wenig daran reiben, dass auf der Bühne von einer vom Untergang bedrohten japanischen Kultur angesichts der zeitgenössisch zugeschnittenen Kostüme Claudia Pernigottis und der auf eindeutig mit Rotlicht blinkenden Geishas aus der zweiten Reihe wohl kaum die Rede sein kann. Auf der anderen Seite aber muss es ja auch nicht immer Nagasaki ums Jahr 1900 herum sein. Denn wenn wir dieses und den einzig „traditionell“ gekleideten Bonzen als Metaphern mal stehen lassen, passiert Vergleichbares wohl zu jeder Tages- und Nachtstunde in den verschiedensten Ecken und Winkeln dieser Welt – und liefert die Heidenheimer Inszenierung damit eine in diesem Fall gar nicht so leicht zu gebende Antwort auf die im Musiktheater zentral allgegenwärtige Frage, welche Gründe es wohl dafür geben mag, diese oder jene Geschichte auch heute noch zu erzählen.

Selbstverständlich ist hierbei nicht zuletzt auch die Musik zu nennen. Musik, die zur Uraufführungszeit zum Modernen der Moderne gehörte, was Puccini übrigens just in dem verklausulierte, was ihm damals und sogar noch heute als kitschige Exotik ausgelegt wurde. Die Instrumentation ist superb. Wir hören subtile Klangarbeit, raffinierte Klangmischungen, Tonrepetitionen, enge Intervalle, viele Ostinati samt Orgelpunkten, ins kleinste Detail versunkene Kleinarbeit, die doch geschlossen als Ganzes dahinfließt . Auch in der packenden Interpretation von Marcus Bosch und den unterm Strich auffallend fokussiert mitgehenden Stuttgarter Philharmonikern, bei denen dies alles mehr als erwartungsgemäß in den besten Händen ist.

Amerikaner unter sich: Pinkerton (Héctor Sandoval, im Vordergrund) und Freunde bei den Hochzeitsvorbereitungen; aus der Tiefe des Raumes beobachtet vom Rotlichtgeschäftsmann Goro (Musa Nkuna). Oliver Vogel

Ohne Hoffnung

Und keineswegs nur, was die Klangkultur anbelangt. Vielmehr wird hier auch aus dem Orchestergraben heraus nachvollziehbar die Geschichte dieser Inszenierung erzählt. Zu keiner Sekunde besteht die Gefahr, dass sich die Musik in ebenso großer wie hohler Geste selbst genug sein könnte. Und ebenso wie Marcus Bosch aus dem Stand heraus heftiges Temperament über die Szene rasen lassen und enorme, beinahe greifbare Spannung aufbauen kann, so hat er ebenso das Gespür für die Zartheit der Zwischentöne.

Auch hier hört man, was – von Hartmut Litzinger stark in Licht getaucht – auf der Bühne nicht zu kurz kommt und zum Ende hin regelrecht eine Sogwirkung entwickelt: dass Butterfly ja nicht nur daran zugrunde geht, dass sie vom sauberen Leutnant Pinkerton nicht das bekommt, was sie sich bis zuletzt als Glück erträumt und eingeredet hatte, sondern vor allem auch an der Erkenntnis, dass sie, die in ihrer alten Kultur, mit der sie gebrochen hat, nichts mehr erhoffen kann, nun auch die Hoffnung auf ein neues Leben in einer neuen Heimat fahren lassen muss. Die Wirklichkeit umzingelt in dieser auch in Details wie Ahnenfigürchen oder Coca-Cola-Flasche verliebten Inszenierung am Ende buchstäblich schwer wie Stein das igluartige Butterfly-Nest (Bühnenbild Tasssilo Tesche), während die Träume in Form von Luftballons verschwinden, die bis dato dort auf der Schwelle gelegen hatten.

Applaus, Applaus: Titelheldin Olga Busuioc wurde am Premierenabend vom Publikum besonders gefeiert. Oliver Vogel

Große Momente

Die Erschütterung des jähen Umschlags von Euphorie in Verzweiflung ist dann beileibe nicht der einzige große Moment der Sopranistin Olga Busuioc. Denn nicht nur hier ist Heidenheims Butterfly eine Sensation, eine ganz große Stimme, der man jedes Wort glaubt. Die Moldauerin verfügt über alles, was es für diese Partie braucht, ist berückend klangschön in allen Lagen und in allen von ihr auch darstellerisch grandios gehandhabten Gefühlszuständen und verfügt nicht zuletzt über die immense Kraft für diese heikle Partie in einer überdies immer ganz eng an der Sprache entlang komponierten Partitur.

So endet, gespickt auch mit großen Stimmen für die kleinen Partien (angeführt von Julia Rutiglianis Suzuki) und dem mit mehr auch bei weniger Beschäftigung aufwartenden Brünner Chor, Heidenheims „Madama Butterfly“: wie erwartet ohne Happy End – und wie erhofft ohne Kitsch.

Noch sechs weitere Vorstellungen

Weitere Vorstellungen von „Madama Butterfly“ am 7., 12., 13., 19., 26. und 27. Juli. Eintrittskarten sind im Vorverkauf im Ticketshop des Pressehauses in Heidenheim erhältlich.

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