Entlassung von Finanzminister Christian Lindner

Überrascht und erleichtert: So sehen Heidenheimer Politiker das Ende der Ampel

Kanzler Olaf Scholz als lahme Ente mit Führungsschwäche, die FDP ein schwieriger Koalitionspartner und mit ihrer eigenen Klientel beschäftigt: Vier lokale Politiker schauen aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Ende der Ampelkoalition und die aktuellen politischen Geschehnisse in Berlin.

Noch stärker als die Wahl in den USA, deren Ergebnis am Mittwoch bekannt wurde, betrifft die Menschen in Deutschland das Ende der Ampel-Koalition im Bundestag, das am Mittwochabend mit der Entlassung von Finanzminister Christian Lindner von der FDP eingeläutet wurde. Die Urteile der lokalen Bundestagsabgeordneten und Parteivertreter fällt erwartungsgemäß je nach politischem Standpunkt unterschiedlich aus – schuld sind immer die anderen.

Leni Breymaier, Heidenheimer Bundestagsabgeordnete der SPD.
Leni Breymaier, Heidenheimer Bundestagsabgeordnete der SPD Büro Breymaier

Leni Breymaier, SPD-Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Aalen-Heidenheim, fühlte sich erleichtert, nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz den Finanzminister entlassen hatte. Sie begründet dies so: „In den vergangenen drei Jahren hatte sich bei mir immer mehr Unmut darüber angestaut, dass wir zwar wichtige Entscheidungen treffen, jedoch vereinbarte Selbstverständlichkeiten nicht über die Ziellinie bringen konnten.“ So habe sie die Jahre nach Abschluss eines Koalitionsvertrages noch nicht erlebt, sagt die 64-jährige Abgeordnete, die seit 2017 Mitglied des Bundestags ist.

Unterm Strich hat die Ampel aus Breymaiers Sicht viel gearbeitet und erreicht: „Denken wir nur an die erfolgreiche Bewältigung der Energiekrise und wichtige sozialpolitische Erfolge, wie die Wohngeldreform.“ Sie selbst habe stunden- und tagelang viele weitere Projekte verhandelt, die nicht weitergingen, weil die FDP „zusehends mit der Wahrung ihrer Ideologie beschäftigt war“. Angesichts der komplexen und schwierigen Weltlage betont Breymaier, dass „die größte Volkswirtschaft Europas handlungsfähig sein muss“. Man könne nicht weltweite Herausforderungen meistern und gleichzeitig die Schuldenbremse anbeten.

CDU-Bundestagsabgeordneter Roderich Kiesewetter Rudi Penk

Auch Roderich Kiesewetter, Bundestagsabgeordneter der CDU, findet das Ende der Ampelkoalition überfällig. Die Schuld dafür, dass „unser Land die vergangenen Wochen und Monate wie gelähmt war“, sieht er aber woanders: „Die Koalition konnte sich auf wesentliche Vorhaben nicht mehr einigen. Das Grundproblem ist, dass zu lange an einem Koalitionsvertrag festgehalten wurde, der die dramatischen geopolitischen Entwicklungen nicht berücksichtigt hat.“ Angesichts der erneuten Wahl von Trump, der Bedrohung durch Russland und der wirtschaftlichen Lage im Land sei eine handlungsfähige Regierung notwendig.

Der Parteivorsitzende der Liberalen, Christian Lindner, habe mit seinem Papier viele Punkte angesprochen, die das Land im Bereich der Wirtschaft brauche: bezahlbare Energie, weniger Bürokratie und vor allem eine Priorisierung der Ausgaben. „Die SPD war unter Scholz nicht bereit, diesen Schritt für unser Land zu gehen und hat damit die Partei über das Wohl des Landes gestellt“, sagt Kiesewetter. „Die FDP war ein schwieriger Partner, keine Frage, aber die Angriffe durch den Kanzler sind schlicht vorgezogener Wahlkampf und das kann ich angesichts der dramatischen Lage in Europa überhaupt nicht nachvollziehen“, so Kiesewetter.

Für schnellere Neuwahlen

Der CDU-Abgeordnete plädiert außerdem für schnellere Neuwahlen: „Das Vertrauen der Bevölkerung und auch der Wirtschaft in die Handlungsfähigkeit der Regierung ist geschwunden.“ Es sei unverantwortlich, die Vertrauensfrage erst im Januar zu stellen. „Wir brauchen jetzt schnell Neuwahlen, denn wir können es uns als Deutschland nicht leisten, über Wochen und Monate eine lahme Ente als Kanzler zu haben.“ Kiesewetter sieht sich und seine Partei gut aufgestellt für die Bundestagswahl: Die Mitglieder im Wahlkreis haben ihn bereits im Juli mit 98 Prozent der Stimmen nominiert.

Leni Breymaier, die selbst bereits angekündigt hatte, aus Altersgründen nicht mehr zu kandidieren, befürwortet die Vertrauensfrage im Januar: „Wir müssen diesen Winter auch als Parlament handlungsfähig bleiben.“ Wenn nicht, würden wichtige Beschlüsse fehlen, beispielsweise für den Haushalt, angepasste Krankenkassenbeiträge, wichtige Steuergesetze und einen Ausgleich der kalten Progression. Die SPD hat noch keinen Kandidaten für die Bundestagswahl vorgestellt.

Klara Sanwald, stellvertretende Kreisvorsitzende der FDP Rudi Penk

Die FDP hat keinen lokalen Abgeordneten im Bundestag. Die stellvertretende Kreisvorsitzende und Stadträtin Klara Sanwald war überrascht über die persönliche Abrechnung des Bundeskanzlers mit Christian Lindner, in der der Kanzler scheinbar spontan zu einer rhetorisch noch nie dagewesenen Höchstform aufgelaufen sei. „In seiner ganz offensichtlich schon lang vorbereiteten Rede versucht er nun die Schuld für den desaströsen Zustand unseres Landes allein Christian Lindner in die Schuhe zu schieben und sich die Realität zurechtzubiegen“, so Sanwald.

Die Entscheidung von Verkehrsminister Volker Wissing, der aus der FDP austrat, um im Amt zu bleiben, empfinde sie schlichtweg als charakterlos, sagt die stellvertretende Kreisvorsitzende. Sie persönlich würde sich über eine Zusammenarbeit von FDP und CDU in einer neuen Regierung freuen, meint Sanwald. Im Wahlkreis Aalen-Heidenheim wird Chris Robert Berendt für die FDP antreten.

Marco Combosch, Kreisvorsitzender der Grünen Sabrina Balzer

Auch die Grünen haben aktuell keinen Abgeordneten aus dem Wahlkreis im Bundestag. Der Heidenheimer Kreisvorsitzende Marco Combosch findet das Ende der Ampel-Koalition bedauerlich, insbesondere „da Finanzminister Lindner diesen Schritt trotz konstruktiver Kompromissvorschläge bewusst in Kauf genommen hat, um Klientelpolitik in den Vordergrund zu stellen“. Allerdings zeige dieser Bruch auch die Führungsschwäche des Kanzlers in den letzten drei Jahren, dieser hätte aus Sicht von Combosch schon viel früher durchgreifen müssen.

„Die eigentliche Opposition, die rückwärtsgewandte CDU/CSU im Bund, die in 16 Jahren Regierungszeit viel zu wenig in die Zukunft investiert hat und dies nun der Ampel anlasten will, ist hier leider überhaupt keine Alternative“, meint Combosch. Der Kreisverband der Grünen sei für den kommenden Wahlkampf gerüstet. Mit Dr. Jeanette Behringer habe man eine starke, werteorientierte, progressive Kandidatin für den Wahlkreis Aalen-Heidenheim nominiert.

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