Mehrfach an der Brenz zu Gast

Um welchen Politiker die Heidenheimer im Dezember 1963 trauerten

Was bewegte die Heidenheimer im Dezember vor 60 Jahren besonders? Sie betrauerten unter anderem den Tod eines bedeutenden Politikers. Ein Blick ins Archiv der Heidenheimer Zeitung.

60 Millionen Mark. Mindestens. Für ein einziges Haus. Die Mitglieder des Heidenheimer Kreistags ringen nach Worten, als Landrat Albert Wild sie am 19. Dezember 1963 mit dieser gewaltigen Summe konfrontiert. 60 Millionen Mark also. So teuer soll das geplante neue Kreiskrankenhaus werden. Es könnte am Ende auch etwas mehr sein.

Dabei stehen ein halbes Jahr zuvor, als das Gremium sein grundsätzliches Einverständnis signalisiert, gerade einmal 30 Millionen im Raum. Allerdings nur für den ersten Bauabschnitt. Mittlerweile haben Experten darauf hingewiesen, dass ein modernes Krankenhaus wie ein geschlossener Organismus funktioniere. Folglich müsse der gesamte Komplex an einem Stück hochgezogen werden. Macht unterm Strich besagte 60 Millionen Mark.

Kleiner Christbaum kostet eine Mark

Der Kreistag will am 14. Februar 1964 eine Entscheidung treffen. Bis auf Weiteres bestimmen daher überschaubarere Zahlen die Diskussionen auf der Straße. 60 Pfennig kostet beispielsweise ein halbes Kilo aus den Tropen importierter Bananen. Für Christbäume bis 70 Zentimeter Höhe muss man eine Mark hinlegen. Bei zwei bis drei Metern sind’s fünf Mark. Ob groß, ob klein – für Vorfreude aufs Fest sorgen sie alle.

Gleiches gilt für die fünf Glocken der katholischen Dreifaltigkeitskirche. Am 1. Dezember geweiht, erklingen sie an Weihnachten zum ersten Mal. Stadtpfarrer Bernhard Löffler betont, die Glocken seien auf die der Christuskirche und auf alle anderen im Stadtgebiet abgestimmt: „Möge diese Harmonie das Symbol für eine tiefere Harmonie sein.“ Humorvoll fügt er hinzu: „Die Nachbarn werden sich an die fünf neuen Nachbarn gewöhnen müssen. Wenn sie ihren Ton verstehen, werden es liebe Nachbarn sein.“

Schon zum Richtfest kamen viele Interessierte: Im Dezember 1963 wird das Johannes-Gemeindezentrum auf dem Zanger Berg eingeweiht. Archiv

Grund zu feiern hat auch die evangelische Kirche: Die Einweihung des Johannes-Gemeindezentrums auf dem Zanger Berg beendet ein fast vier Jahre dauerndes Provisorium. Wie sehr die Menschen diesen Tag herbeigesehnt haben, lässt sich daran ablesen, dass die 240 Sitzplätze nicht für alle Gäste der Feierstunde ausreichen. Dekan Walter Tlach sieht „ein kaum zu fassendes Geschenk“ in der einträchtigen Zusammenarbeit aller Beteiligten.

Dass auch die Ladeninhaber regen Betrieb vermelden, rundet die zunächst positive adventliche Stimmung ab. „Trotz kalter Witterung hatte die Heidenheimer Geschäftswelt am vergangenen Samstag einen ausgesprochen heißen Tag zu überstehen“, ist in der Heidenheimer Zeitung zu lesen.

2000 begeisterte Heidenheimer begrüßen 1954 Bundespräsident Theodor Heuss. Archiv/Schuster

Dann aber erschüttert eine traurige Nachricht viele Menschen: Im Alter von 79 Jahren stirbt am 12. Dezember Theodor Heuss, das erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Tausende erweisen ihm entlang der Strecke zum Stuttgarter Waldfriedhof, auf dem er beerdigt wird, die letzte Ehre. Auch an der Brenz gedenken viele des Mannes, der im Laufe seines Lebens drei Mal nach Heidenheim kommt.

Zunächst, so erinnert er sich einmal, verbringt er „schon im vorigen Jahrhundert als Bub hier 14 Tage Ferien bei einer Base meiner Mutter“. Später tritt er bei einer Versammlung der FDP ans Rednerpult. Am 1. Mai 1954 schließlich empfängt Oberbürgermeister Karl Rau im Hotel Christliches Hospiz den mittlerweile zum Staatsoberhaupt avancierten Heuss.

SPD-Vorsitzender Erich Ollenhauer gestorben

Zwei Tage nach ihm schließt ein weiterer Politiker von Rang für immer die Augen: Der 62-jährige SPD-Bundesvorsitzende Erich Ollenhauer erliegt einer Lungenembolie. Auch Ollenhauer besucht während seiner politischen Laufbahn Heidenheim. Am 12. Mai 1960 spricht er im Rahmen einer Wahlkundgebung vor mehr als 1000 Zuhörerinnen und Zuhörern in der Karl-Rau-Halle. Beim Vertreter der örtlichen Presse hinterlässt er dabei nachhaltigen Eindruck: „Wer ihn damals erlebte“, ist Jahre nach seinem Tod in der HZ zu lesen, „muss ihm, auch wenn er einer anderen Partei angehörte, zumindest Sympathie entgegengebracht haben“.

Und noch ein Todesfall bewegt die Heidenheimer. In der Nacht zum Heiligen Abend erfasst ein Pkw an der Giengener Straße einen Fußgänger. Der 22-Jährige wird verletzt und vermutlich bewusstlos in den Straßengraben geschleudert. Er überlebt die nächsten Stunden bei 14 Grad unter dem Gefrierpunkt nicht. Vom Autofahrer fehlt jede Spur.

Der Rohbau ist fertig: das Alten- und Pflegeheim in der Hansegisreute. Archiv

Kurz vor dem Jahresende werden an verschiedenen Stellen in der Innenstadt noch Nägel mit Köpfen gemacht. Beim Richtfest am Alten- und Pflegeheim in der Hansegisreute sagt Oberbürgermeister Elmar Doch, eine solche Einrichtung tue not in Heidenheim und habe bislang sehr gefehlt. Angesichts dessen habe die Verwaltung Verständnis dafür, dass die Kosten höher ausfielen als veranschlagt.

Derweil sägen Forstarbeiter eine breite Schneise in den Wald auf dem Schlossberg. Sie machen den Weg frei für den Ausbau der Katzentalstraße, die künftig den Flügel mit der Schlosshaustraße verbinden, außerdem bis zu den Sportanlagen in der Schwende reichen soll.

Hat Heidenheim irgendwann einmal 85.000 Einwohner?

Heidenheim steht freilich vor weitaus umfassenderen Veränderungen. Wie die Stadt in 20 Jahren aussehen wird, ist Thema einer Mitgliederversammlung des SPD-Ortsvereins. Oberbaurat Walter Beck hat zwar keine umfassende Antwort parat, wohl aber eine Vorstellung davon, was die Zukunft bringt. Die Einwohnerzahl steigt demnach in dem genannten Zeitraum auf 60.000, später sogar auf 85.000.

Die B19 wird verlegt, die B466 hingegen möglicherweise noch nicht, „weil sie bisher noch keine große verkehrliche Bedeutung hat“, zitiert die HZ Beck. Auf den Reutenen und am Asang entstehen neue Siedlungen. Alle Planungen müssen darauf abzielen, Heidenheim aufgrund seiner isolierten „Zwischen-Tür-und-Angel-Lage“ zwischen Aalen und Ulm bzw. Stuttgart und München attraktiv und wirtschaftlich stark zu machen. Es wartet also viel Arbeit.

Etwas anderes funktioniert schon, ohne dass jemand dafür einen Finger rühren muss: Am 11. Dezember heulen nachmittags im gesamten Fernmeldebezirk Heidenheim plötzlich die Luftschutzsirenen. Ursache: technischer Defekt.

Warum ausgerechnet 60 Jahre zurück?

Im Dezember 2008 war der Lokschuppen Schauplatz eines Festabends, bei dem eine seit 60 Jahren bestehende freie und unabhängige Presse in Heidenheim im Mittelpunkt stand. Damals mischten sich Aus- und Rückblicke. Unter anderem wurde die Idee geboren, regelmäßig in Erinnerung zu rufen, worüber die HZ jeweils 60 Jahre zuvor berichtet hatte. Die Serie startete mit der Rückschau auf 1949. Mittlerweile gilt das Augenmerk dem Jahr 1963.

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