Gefängniserfahrung hat der Mann bereits reichlich. Schon mehrfach seit seinen Jugendjahren war der 36-jährige frühere Präsident der United Tribuns mit dem Gesetz in Konflikt geraten und vor Gericht gestanden. Doch dieses Urteil am Ellwanger Landgericht stellt in Sachen Strafhöhe und Schwere der Tat den negativen Höhepunkt einer langjährigen kriminellen Laufbahn dar. Als der Heidenheimer am 5. März gegen 14 Uhr in Nattheim auf das Auto schoss, war er auf Bewährung entlassen, nachdem er 2018 wegen Drogenhandels und Falschgelddelikten zu einer Gefängnisstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt worden war.
Ob ihn die Höhe des Urteils beeindruckt hat, war dem Angeklagten nicht anzusehen. Aufmerksam sah er zur Richterbank, während der Vorsitzende Richter Bernhard Fritsch ausführlich die Verurteilung wegen versuchten Totschlags in drei tateinheitlichen Fällen sowie eines Verstoßes gegen das Waffengesetz begründete. Der Mann hatte mit einer halbautomatischen Schusswaffe geschossen, die ebenso wie die Projektile bis heute nicht gefunden wurden. Einzig als Staatsanwalt Peter Humburger zuvor das gleiche Strafmaß forderte, entglitten dem Angeklagten kurz die Gesichtszüge.
Verteidigung plädiert auf versuchte Nötigung und zwei Jahre Haft
Hingegen hatte der Angeklagte oftmals genickt, als sein Verteidiger Uwe Böhm zu seinen Gunsten plädiert hatte: Sein Mandant habe niemanden verletzen, sondern lediglich mit den Schüssen auf die Reifen das Auto stoppen wollen. Deshalb seien die Schüsse nicht als versuchter Totschlag, sondern als versuchte Nötigung zu werten.
Der Verteidiger forderte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Auch der Angeklagte betonte in seinem letzten Wort: „Ich schließe mich der Position meines Anwalts an, dass ich von Anfang an keine Tötungsabsicht hatte, geschweige denn jemanden verletzen wollte.“ Einige Wochen zuvor habe er noch die Tochter eines der Autoinsassen in den Armen gehalten. „Ich wollte die Sache in Frieden klären.“
Was genau mit „der Sache“ gemeint war, blieb auch nach dem fünften Verhandlungstag unklar. Die Geschädigten hatten von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht – womöglich, um sich nicht selbst zu belasten. Die Nebenklagevertreterin erklärte, ihre Mandanten hätten nicht noch weiter Öl ins Feuer gießen wollen. Während des Prozesses war es im Gerichtssaal auf den Zuschauerbänken zu Anfeindungen und Tumulten zwischen den beiden Parteien gekommen, weshalb die Sicherheitsvorkehrungen an den weiteren Prozesstagen erheblich erhöht worden waren, begleitet von einem großen Beamtenaufgebot.
Unklare Hintergründe: Um was ging es bei dem Streit?
Der Angeklagte hatte ausgesagt, es sei um familiäre Kleinigkeiten gegangen, die sich hochgeschaukelt hätten. Das Treffen sollte dazu beitragen, diese aus dem Weg zu räumen. Widerlegen konnte das während des Prozesses niemand, doch Zweifel blieben: „Ich gehe davon aus, dass es um mehr als lapidare Streitigkeiten ging“, so Staatsanwalt Humburger.
Was sich an diesem 5. März in Nattheim zugetragen hatte, daran gab es hingegen wenig Zweifel: Der Polizei war es gelungen, gelöschte Videos der Überwachungskameras eines Autohandels wiederherzustellen, die bei der Verhandlung abgespielt wurden. Zu sehen war darauf, wie die Männer sich trafen. Auf der einen Seite die „Mannschaft des Angeklagten“, wie Staatsanwalt Humburger es bezeichnete, darunter auch die zwei älteren Brüder des Angeklagten, auf der anderen Seite ebenfalls zwei Brüder und deren Cousin, die mit einem schwarzen Audi eintrafen. Auf diesen wurde später geschossen.
Zwischendurch waren die Männer in einem Verkaufscontainer. Was dort gesprochen wurde, blieb unklar. Allerdings muss es dort zum Streit gekommen sein, denn die Männer kamen aufgebracht wieder heraus. Ein Messer fiel zu Boden. Die Geschädigten stiegen in ihren Audi, auch dort wurde weiter diskutiert. Der Angeklagte fuchtelte mit einer Waffe, schoss aber zunächst nicht, als er direkt am Auto stand. Erst nachdem der Audi weggefahren und auf die Straße eingebogen war, zielte der Angeklagte aus kurzer Entfernung auf den vorbeifahrenden Audi. Dreimal drückte er ab, dreimal traf er die Karosserie. Als der Wagen daraufhin kurz anhielt, drückte der Schütze nochmals mindestens zweimal ab.
Nur durch Zufall wurde niemand verletzt – weder im Auto noch auf der Straße, wo mindestens ein Auto vorbeigefahren war während der Schießerei. Der Staatsanwalt sprach von einer massiven Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung angesichts der Schüsse in aller Öffentlichkeit: „Es kann unter keinen Umständen hingenommen werden, dass es Zustände gibt, bei denen Unschuldige in die Sache hineingezogen werden.“
Nebenklage: Geschädigte leiden noch heute unter dem Vorfall
Warum hatte der Angeklagte nicht schon vorher geschossen, als er im Container völlig unbeobachtet von Kameras die Gelegenheit gehabt hätte oder später, als er direkt neben dem Audi stand? Die Nebenklagevertreterin Sarah Burkhardt führte an, dass die Tat von vornherein geplant gewesen sei, und sagte, ihre Mandanten seien in eine Falle gelockt worden. Sie berichtete zudem, dass ihre Mandanten im Vorfeld des Prozesses bedroht worden seien, doch die Polizei habe nicht reagiert. Die Folgen der Tat seien für ihre Mandanten noch heute spürbar.
Der Angeklagte sei ein Freund gewesen, bis heute hätten sie nicht verstanden, warum er auf sie geschossen habe. Zudem seien sie in großer Sorge um ihre Familien und beklagten finanzielle Einbußen. Weil in der Presse Fotos des beschossenen Autos gezeigt worden waren, das auf dem Hof ihres Autohandels in Schnaitheim stand, sei die Kundschaft ausgeblieben. „Mein Mandant steht kurz vor der Insolvenz.“
Doch dieser Ausführung folgte das Gericht nicht. Der Angeklagte habe ausgesagt, dass beim Treffen Tötungsdrohungen gegen seine Familie ausgesprochen worden seien. Womöglich habe ihn das aufgebracht. „Bei Ihnen ist eine kurze Zündschnur vorhanden“, sagte Richter Fritsch. Dass langjähriger Drogenkonsum zu der Reaktion beigetragen habe, fand das Gericht wenig plausibel. Allerdings redete der Richter dem Angeklagten ins Gewissen, sich während der Haft um seine Drogenproblematik zu kümmern und eine Trendwende in seinem Leben zu schaffen. „Sonst stehen Sie vor einem Leben, das überwiegend in Vollzugsanstalten stattfindet.“
Erschwerte Haftbedingungen in Bosnien-Herzegowina
Wie lange der Mann bei einem rechtskräftigen Urteil nun hinter Gittern verbringen muss, hängt von mehreren Faktoren ab. Angerechnet wird die Zeit, die er seit seiner Festnahme in Haft verbracht hat. Der Mann war nach der Tat untergetaucht und wurde zwei Wochen später am Flughafen in Sarajevo gefasst, als er in die Türkei ausreisen wollte. Die Familie hat dort ihre Wurzeln. Rund fünf Monate war der Schütze in Bosnien-Herzegowina in Auslieferungshaft.
Diese Zeit soll laut Gericht aufgrund der im Vergleich zu Deutschland erschwerten Haftbedingungen dreifach angerechnet werden. Zu den Bedingungen dort hatte der Angeklagte Angaben gemacht: Er sprach von körperlicher Misshandlung und schlechten räumlichen Zuständen. Eine Matratze soll es nur gegen Geld gegeben haben.
Das Gericht hatte sich zwar beim Auswärtigen Amt erkundigt, doch bis zum Urteilsspruch noch keine Angaben zu den Haftbedingungen in Bosnien erhalten. Während diese 15 Monate plus vier weitere Monate Untersuchungshaft in Deutschland von der Strafhöhe abgezogen werden, könnte die Restfreiheitsstrafe aus der vorherigen Verurteilung hinzukommen. Unterm Strich kommen somit etwa sechs Jahre Freiheitsstrafe zusammen.
Prozess im Umfeld wegen Zeugenbeeinflussung
Nächste Woche wird am Amtsgericht Heidenheim ein Fall verhandelt, der in Zusammenhang mit der Autoschießerei in Nattheim steht. Dabei geht es darum, ob auf Zeugen Druck ausgeübt wurde. Ein Zeuge soll geschlagen worden sein, die Anklage lautet auf Körperverletzung.
Die Staatsanwaltschaft Ellwangen bestätigt zudem weitere laufende Verfahren, in denen noch ermittelt werde. Auf dem Videomaterial ist zu sehen, wie ein Mann die spätere Tatwaffe auf das Gelände bringt und sie dem Angeklagten übergibt. Zudem könnten auch auf der Gegnerseite Waffen im Spiel gewesen sein. Anklagen oder Prozesstermine dazu gibt es bisher jedoch nicht.
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