Mit Tempo 140 in der Innenstadt unterwegs

Verursacher von Raserunfall auf der Heidenheimer Wilhelmstraße verurteilt

Im Mai raste ein 19-Jähriger mit seinem Auto durch die Heidenheimer Innenstadt und verursachte auf der Wilhelmstraße einen schweren Unfall. Zu welcher Strafe er jetzt verurteilt wurde.

Verursacher von Raserunfall auf der Heidenheimer Wilhelmstraße verurteilt

Fast dreimal so schnell wie erlaubt: Mit Tempo 140 rast ein 19-Jähriger auf der Wilhelmstraße stadtauswärts, bis er die Kontrolle über seinen 3er-BMW verliert. Sekunden später hat sich ein Trümmerfeld über die Szenerie gelegt. Für kurze Zeit steht alles still. Der schwer verletzte Fahrer liegt auf der Rücksitzbank seines völlig deformierten Pkw, der 20 Jahre alte Beifahrer vier Meter entfernt auf dem Gehweg. Jetzt folgte die juristische Aufarbeitung des Geschehens vor dem Heidenheimer Schöffengericht.

Rückblick: Der 6. Mai 2023 ist noch keine drei Stunden alt, als sich der Unfall in der im Tiefschlaf liegenden Heidenheimer Weststadt ereignet. Erst einen Aufsehen erregenden Rettungseinsatz und viele ungläubige Blicke von Anwohnern später lässt sich im Licht des grauenden Tages zumindest ansatzweise ermessen, was geschehen ist. Und dass alles noch viel schlimmer hätte enden können.

Beifahrertür wird beim Aufprall abgerissen

Die Ermittlungen der Polizei ergeben zunächst folgendes Bild: Der 19-Jährige ist mit hoher Geschwindigkeit auf dem rechten Fahrstreifen der Wilhelmstraße unterwegs. Kurz vor der Einmündung der Johannesstraße kommt er nach links von der Fahrbahn ab, prallt gegen einen Schaltkasten und gegen eine metallene Baumeinfassung, wobei die Beifahrertür abgerissen wird. Der Pkw schleudert zurück und rammt einen am rechten Rand geparkten Wagen. Dieser wird gegen ein weiteres Fahrzeug geschoben und kommt schließlich an einer Gartenmauer zum Stehen.

Einzelne Trümmerteile fliegen fast 100 Meter weit. Woher die dahinterstehende Wucht kommt, wird beim Blick auf die Tachonadel klar: Sie ist knapp jenseits von 140 Stundenkilometern stehengeblieben. Der Drehzahlmesser verharrt bei rund 4500 Umdrehungen. Und der Bordcomputer verrät, dass zum Zeitpunkt des Aufpralls das Gaspedal weit nach unten gedrückt war, der Fahrer fast Vollgas gab. Der Sachschaden beläuft sich auf etwa 77.000 Euro.

Von einem Schlachtfeld spricht ein Polizeibeamter vor Gericht bei der Beschreibung der Situation am Unfallort. Dennis Straub

Gravierender sind freilich die gesundheitlichen Folgen für die beiden Beteiligten – der Notarzt spricht der Polizei gegenüber am Unfallort von akuter Lebensgefahr. Der Fahrer zieht sich unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma, ein gebrochenes Schulterblatt und eine Lungenquetschung zu. Vor allem emotional leidet er heute noch unter den Folgen, befindet sich in psychiatrischer Behandlung. Eine Erinnerung an das unmittelbare Geschehen hat er nicht.

Noch schwerer, das wird vor Gericht deutlich, erwischt es den Beifahrer. Stumpfe Verletzung des Herzens, Pneumothorax, Schienbein, Rippen und Ellbogen gebrochen, Bänderrisse im Knie, Kopfplatzwunde, fünf Zähne verloren – die Liste der Blessuren ist lang. Und sie werden den jungen Mann noch lange begleiten. Mehr als ein halbes Dutzend Operationen musste er bereits über sich ergehen lassen, weitere folgen.

Beide Insassen des Pkw sind nicht angeschnallt

Sport kann der 20-Jährige nicht mehr treiben, jeder Tag beginnt mit Schmerzen, die rechte Hand macht Probleme, längeres Stehen fällt schwer. Dass er hinterm Steuer gesessen haben könnte, gilt schon früh als widerlegt: Seine Turnschuhe sind im Fußraum auf der Beifahrerseite eingeklemmt. Er verliert sie, ehe er aus dem Auto geschleudert wird.

Beide Personen sind zu diesem Zeitpunkt nicht angeschnallt, sagt Gutachter Jochen Leibfritz von der Dekra in Ulm. Hinweise darauf, der 19-Jährige könnte sich ein Rennen mit jemandem geliefert haben finden sich nicht.

Angeklagter befindet sich in psychischem Ausnahmezustand

Was hat dann zu dem schweren Unfall geführt? Eine Antwort auf diese Frage liefert die Aussage des Beifahrers, die der Angeklagte unwidersprochen lässt. Schenkt man dieser Version Glauben, dann befindet sich der 19-Jährige in besagter Nacht in einem psychischen Ausnahmezustand. Liebeskummer mischt sich mit mangelndem Selbstwertgefühl und fehlender Zukunftsperspektive. Es folgt ein Streit mit dem eigenen Bruder und mit dem besten Freund: dem späteren Beifahrer.

Sobald der Ärger ein wenig verraucht ist, will sich der Angeklagte bei diesem entschuldigen, fordert ihn auf, in seinem Auto Platz zu nehmen. Er steuert es Richtung Innenstadt. Beim Römerbadmuseum wendet er, fährt Richtung Weststadt, macht hektische Lenkmanöver, überholt andere Fahrzeuge links und rechts, beschleunigt immer mehr.

Beifahrer fürchtet um sein Leben

Der 20-Jährige bekommt es mit der Angst zu tun, ruft: „Bitte hör auf, du bringst uns beide um!“. Weil er auf taube Ohren stößt, schnallt er sich ab, spielt mit dem Gedanken, aus dem Auto zu springen. Er entscheidet sich anders, beginnt zu weinen, schließt die Augen und stemmt die Hände gegen das Armaturenbrett, als der Pkw ins Schlingern gerät. Seine letzte Erinnerung: „Es gab einen lauten Aufprall. Dann bin ich erst wieder im Krankenhaus aufgewacht.“

Was an dieser Stelle im Gerichtssaal folgt, ist ein weiterer Moment der Stille. Bislang hat der 20-Jährige sämtliche Versuche des Angeklagten abgeblockt, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Jetzt hört er seine Worte: „Es freut mich, dich heute lebendig vor mir zu sehen.“ Keine erkennbare Reaktion. Die Freundschaft scheint endgültig zerbrochen.

Staatsanwalt plädiert für Erwachsenenstrafrecht

Wie kann nun eine gerechte Strafe aussehen? Staatsanwalt Patrick Schmidt vertritt die Haltung, wer mit einem Fahrzeug am Straßenverkehr teilnehme, sei in der Regel wie ein Erwachsener zu beurteilen. Seine Forderung: ein Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung. Verteidiger Alexander Schneider plädiert hingegen dafür, Jugendstrafrecht anzuwenden, „auch wenn es einem angesichts des sinnlosen Geschehens, das nur Verlierer hervorgebracht hat, vielleicht widerstrebt“.

Ja, es handele sich um ein sogenanntes Alleinrennen, ebenso um fahrlässige Körperverletzung. Eine schwere Schuld liege allerdings nicht vor, denn der Angeklagte sei weder mit krimineller Energie vorgegangen, noch habe er jemanden verletzen wollen. „Es war ein spontanes Handeln in einer psychischen Ausnahmesituation“, so Schneider. Eine Jugendstrafe sei weder erforderlich noch angemessen. Der 19-Jährige habe seine Gefühle nicht kontrollieren und kanalisieren können. Das belege, dass er „noch nicht voll entwickelt war“.

Zwei Wochen Dauerarrest für Angeklagten

Ähnlich argumentiert das Gericht unter Vorsitz von Amtsrichter Jens Pfrommer, das den Angeklagten wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens und fahrlässiger Körperverletzung nach Jugendstrafrecht zu einem zweiwöchigen Dauerarrest und zu 60 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Die bereits vorläufig entzogene Fahrerlaubnis darf frühestens in eineinhalb Jahren wieder erteilt werden.

Pfrommer spricht in der Urteilsbegründung zwar von rücksichtslosem Verhalten und eigensüchtigen Motiven des Fahrers: „Er hat nach dem Motto gehandelt: ,Mir ist alles egal‘, und billigend in Kauf genommen, dass plötzlich Personen auf die Fahrbahn treten könnten.“ Gleichwohl handele es sich nicht um eine typische Verkehrsstraftat, da der Angeklagte nicht wie ein Erwachsener auf den Stress reagiert habe, unter dem er stand.

Somit seien „trotz der hochgefährlichen Geschichte“ mit einem gewaltigen Sachschaden und den schweren Verletzungen des Beifahrers eine erzieherische Einwirkung in Form von Dauerarrest und eine Arbeitsauflage sinnvoll.

Rennen: ein Fahrzeug genügt

Nach Paragraf 315d Absatz 1 Nr. 3 des Strafgesetzbuchs kann sich jemand als sogenannter Alleinraser strafbar machen. Entscheidend ist die Frage, ob er bzw. sie sich bei einem „Rennen gegen sich selbst“ mit nicht angepasster Geschwindigkeit, grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Es droht eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe.

Jetzt einfach weiterlesen
Jetzt einfach weiterlesen mit HZ
- Alle HZ+ Artikel lesen und hören
- Exklusive Bilder und Videos aus der Region
- Volle Flexibilität: monatlich kündbar