Interview

Voith-Chef Andreas Endters: „Wir wollen Eigeninitiative und Eigenverantwortung fördern“

Warum der Voith-Konzern trotz anderer Erwartungen im vergangenen Geschäftsjahr nicht profitabler geworden ist, erläutert Interimschef Andreas Endters im exklusiven HZ-Interview.

Als Interimschef führt Andreas Endters (58) den Voith-Konzern, bis der designierte neue Konzerngeschäftsführer DIrk Hoke (55) vom Bruchsaler Flugtaxi-Start-up Volocopter nach Heidenheim wechselt. Endters, der seit sieben Jahren an der Spitze der Paper-Sparte von Voith steht, kennt den Konzern seit Jahrzehnten. Im Interview anlässlich der vorgelegten Bilanz von Voith fürs vergangene Geschäftsjahr 2023/24 erläutert er, wo der größte Heidenheimer Arbeitgeber steht und was die Herausforderungen der nahen Zukunft sind.

Beim Interview im vergangenen Jahr hatte der damalige Voith-Chef Toralf Haag gesagt, er erwarte für das kommende Geschäftsjahr einen leicht verringerten Umsatz. Er hat aber auch erwartet, dass der Gewinn vor Steuern – das Ebit – sich erhöht und damit auch die Profitabilität des Voith-Konzerns wächst. Das ist aber nicht passiert. Woran lag das?

Andreas Endters: Wir sehen aktuell ein sehr herausforderndes Umfeld. Von der Pandemie sind wir fließend in den Ukraine-Krieg mit Inflation und danach in eine Situation gerutscht, welche von geopolitischer Instabilität geprägt ist. Wir spüren in manchen Regionen ein sehr schwaches Wirtschaftswachstum, das uns in einigen Bereichen belastet.

Wo läuft es denn gut und wo weniger gut?

Bei Voith Turbo erleben wir ein gutes Geschäft im Industrie-Bereich und bei Schiene und Marine. Bei Voith Hydro hat sich der Service- und Aftermarket-Bereich, also die Instandhaltung und Modernisierung von Wasserkraftwerken, sehr gut entwickelt. Und bei Voith Paper sehen wir gute Geschäfte in Nord- und Südamerika. In Europa spüren wir, dass die Wirtschaft und damit die Nachfrage nach Papier und Karton deutlich zurückgegangen sind. Das hat sich bei Voith Paper im Umsatz gezeigt. Gruppenweit hatten wir allerdings einen sehr guten Cashflow, der uns geholfen hat, unsere Liquidität zu verbessern.

Aber es fehlt am Gewinn.

Bei Hydro hat die Inflation bei lang laufenden Aufträgen zu Kostensteigerungen geführt. Wir haben dort im letzten Geschäftsjahr Risikovorsorgen getroffen. Dies hat das Ebit entgegen der ursprünglichen Prognose reduziert.

Während Europa sich schwierig darstellt, läuft Nordamerika deutlich besser.

Voith-Chef Andreas Endters

Im Halbjahresbericht, der im Juni veröffentlicht wurde, lag das Ebit mit 129 Millionen Euro noch höher als zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr, da waren es 123 Millionen Euro.

Das liegt an den gerade beschriebenen Risikovorsorgen im Jahresabschluss. Ansonsten konnten wir Umsatzrückgänge wie beispielsweise bei Voith Paper durch bessere Geschäfte in anderen Regionen kompensieren. Dies gilt auch bei Voith Turbo, wo der Bereich Schiene und Marine besser lief. Unsere breite sektorale Aufstellung hilft uns da immens. Und auch geografisch gleichen sich Regionen teilweise aus. Während Europa sich schwierig darstellt, läuft Nordamerika deutlich besser.

Die verschiedenen Konzernbereiche waren ja schon immer unterschiedlich rentabel, aber es fällt auf, dass Hydro seit Jahren schwächelt.

Während der Pandemie war die Aufrechterhaltung der Baustellen gerade auch bei Hydro eine große Herausforderung, die zu Mehrkosten geführt hat. Dasselbe gilt für die Inflation. Dies hat das Hydro-Ergebnis belastet. Deswegen ist es auch höchste Priorität, dass wir dieses Ergebnis verbessern. Hierbei hilft das Service-Geschäft, also das Geschäft mit Ersatzteilen, Wartung und Reparaturen oder Modernisierung. Dieses Geschäft hat sich schön entwickelt und liegt im mittleren dreistelligen Millionenbereich. Die Idee, das margenstarke Service-Geschäft weiter auszubauen, gilt für alle Konzernbereiche. Dies Geschäft ist wiederkehrend und damit stabiler als das zyklische Geschäft mit Neuanlagen, das mal gut und dann wieder schwächer ist. Eine gute Grundauslastung im Service-Geschäft macht es einfacher, mit anderen Schwankungen umzugehen.

Hydro verzeichnet fürs vergangene Geschäftsjahr einen großen Auftragseingang mit einem Projekt in Angola.

Ja, genau, das ist der Auftrag Caculo Cabaça. Solche Projekte sehen wir eher selten. Wir hatten vor einigen Jahren bereits den Auftrag Snowy in Australien, für den wir im vorletzten Jahr nochmals einen großen Nachtrag erhalten haben. Nach vorne bedeutet dies allerdings, dass der Auftragseingang, der zuletzt bei über sechs Milliarden Euro lag, im laufenden Geschäftsjahr 2024/25 aufgrund dieser fehlenden Mega-Projekte wieder in Richtung fünf Milliarden Euro zurückgehen wird.

Auftragseingang heißt ja zunächst einmal nur, dass Voith den Zuschlag bekommen hat. Wann geht das in die Umsetzung und wann wird es finanziell wirksam?

In einem Vertrag stehen verschiedene Voraussetzungen für das Inkrafttreten eines Auftrags. Wichtig sind dabei unter anderem Anzahlungen. Sobald diese erfolgt sind, können wir in der Regel mit der Arbeit beginnen und Umsatz erzielen.

Wie hat sich der Bereich Paper entwickelt, für den Sie ja als Vorsitzender der Geschäftsleitung auch im Speziellen zuständig sind?

Voith Paper hat sich auch im abgelaufenen Geschäftsjahr gut entwickelt. Wir haben es geschafft, im sehr schwierigen Markt für Neuanlagen wichtige Aufträge zu gewinnen. Dies war sowohl in Nordamerika, im Mittleren Osten als auch in Asien der Fall. Damit konnten wir den Auftragseingang im Vergleich zum etwas schwächeren Vorjahr wieder steigern. Der Umsatz ging allerdings leicht zurück, was am niedrigeren Auftragseingang des Vorjahres lag. Trotz allem haben wir unser Ebit nochmals deutlich verbessert, was an der konsequenten Umsetzung unserer Strategie lag. Wesentlicher Bestandteil der Strategie ist der Ausbau des Service-Geschäfts und des digitalen Produktportfolios.

Wie läuft es mit der Versuchsanlage, die Voith zusammen mit Essity betreibt?

Die Pilotanlage läuft jetzt seit einem Jahr sehr erfolgreich. Wir glauben fest an unsere Vision, dass wir es schaffen, mit bis zu 95 Prozent weniger Wasser Papier zu machen und dabei auch die Energieeinsparung von bis zu 40 Prozent zu erreichen. Aber der Weg dorthin ist schon noch ein Stück weit. Bei Erfolg haben wir die Chance, dass auch bestehende Anlagen unserer Kunden durch die neue Technik ersetzt werden.

Ist Paper der erfolgreichste und finanzstärkste Konzernbereich?

Beim Blick auf die nackten Zahlen liegt der Schluss nahe. Nachdem ich aber für Voith Paper verantwortlich bin, muss ich jetzt aufpassen, ich will mich ja nicht selbst loben (lacht). Aber im Ernst: Alle Kolleginnen und Kollegen, die hier arbeiten, kämpfen für den Erfolg von Voith, und das nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt.

Schauen wir noch auf Voith Turbo. Das ist der einzige Bereich, in dem der Umsatz stabil geblieben ist, oder?

Das ist richtig. Der Auftragseingang bei Voith Turbo ist leicht zurückgegangen. Das liegt daran, dass, wie bereits gesagt, die Bereiche Industrie und Schiene und Marine sich gut entwickelt haben. Dort, wo wir Komponenten in Landwirtschafts- oder Baumaschinen liefern, wo es nicht so stark läuft, spüren wir Rückgänge im Auftragseingang. Der Umsatz ist stabil und die Kolleginnen und Kollegen von Voith Turbo haben es geschafft, das Ergebnis deutlich zu verbessern und das ist positiv.

Bei Turbo wird aber auch der Verkauf des Bereichs Commercial Vehicles geprüft.

Das Portfolio-Management ist grundsätzlich ein ganz normaler Vorgang. Wir stellen uns an vielen Stellen regelmäßig die Frage, ob wir die „besten Eltern“ für das Geschäft sind oder ob es jemanden gibt, der passende Geschäftsbereiche mit Synergien hat und diesem Geschäft eine bessere Zukunft bieten kann als wir. Wir sind da in der Betrachtung und weitere Details kann ich Ihnen jetzt nicht nennen. Im Laufe des nächsten Jahres wissen wir mehr.

Die Chinesen werden sicherlich auch dafür sorgen, dass der Wasserstoff zu einem attraktiven Preis zur Verfügung steht.

Voith-Chef Andreas Endters

Für das Thema Wasserstoffspeicher hat Voith eine eigene Gesellschaft gegründet und ist ein Joint Venture mit dem chinesischen Unternehmen Weifu eingegangen. Warum?

Weil wir sehen, dass der chinesische Markt bei Wasserstoffanwendungen am schnellsten wachsen wird. Es gibt auch hier eine gewisse Nachfrage nach Wasserstoffspeicherlösungen für mobile Anwendung wie den Schwerlastverkehr, aber in China läuft das aktuell schneller als in Deutschland. Dort wird die Infrastruktur zügig auf der Basis der Fünf-Jahres-Pläne ausgebaut. In Deutschland geht das aktuell zu langsam. Die Chinesen werden sicherlich auch dafür sorgen, dass der Wasserstoff zu einem attraktiven Preis zur Verfügung steht. Und damit stellen dort auch die Lkw-Hersteller um und setzen auf die neue Technologie. Leider sehe ich diese Fortschritte in Deutschland und der EU nicht mit der entsprechenden Geschwindigkeit. Da müssen sich die Bundesregierung und die EU schon noch sputen.

Erwartet sich Voith durch das Joint Venture nur den Zugang zum chinesischen Markt oder hilft das dann auch in Europa?

Wenn China mit der industriellen Anwendung von Wasserstoff schneller sein sollte, profitieren wir dadurch auch in Europa. Alles, was wir in unserem Joint Venture in China lernen, nützt uns auch hier. Indem wir in beiden Märkten vertreten sind, werden wir dabei sein.

Es besteht also nicht die Gefahr, dass das chinesische Unternehmen nur das Know-how von Voith abgreift?

Beim Produkt hat Voith sicherlich ein gewisses Know-how eingebracht. Bei der Industrialisierung werden wir auch von Weifu profitieren. Durch das Joint Venture sehe ich keinen Knowhow-Verlust. Es ist klar geregelt, wem das Wissen gehört.

Beim Ausblick auf das kommende Geschäftsjahr erwartet Voith eine Steigerung des Umsatzes und eine signifikante Verbesserung beim Ebit. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

Anhand unseres Auftragsbestandes können wir den Umsatz im laufenden Geschäftsjahr relativ gut ableiten und planen. Die Verbesserung im Ergebnis ergibt sich aus den wegfallenden Einmaleffekten, die besonders unser Ergebnis nach Steuern belastet haben. Abgesehen davon arbeiten alle Konzernbereiche und Funktionen im Rahmen der Strategie an ihrer Produktivität und weiteren Maßnahmen, um unsere Ergebnisse zu steigern. Da bin ich deshalb sehr zuversichtlich.

Das heißt, der neue Konzerngeschäftsführer Dirk Hoke kann sich schon mal freuen, weil seine erste Bilanz eine gute sein wird?

Das wünsche ich ihm natürlich. Aber nachdem sich die Welt um uns herum weiterdreht und ständig neue Herausforderungen auftauchen, wird die Arbeit nicht ausgehen. Man muss ein Unternehmen ständig weiterentwickeln und an die Märkte und das Umfeld anpassen.

Ist das in so einer traditionellen, großen Maschinenbau-Firma wie Voith schwieriger als in einem jungen Unternehmen?

Aus meiner Sicht sind wir einigen Bereichen sehr agil. Gleichzeitig brauchen gewisse Dinge und Entscheidungen aber auch ihre Zeit. Da muss man einfach schauen, wie man solche Prozesse optimiert und beschleunigt und wie man agil bleibt. Dies geht mit Methoden, wie zum Beispiel Design Thinking oder Scrum, welche wir in der Produktentwicklung verwenden. Gleichzeitig entwickeln wir unsere Kultur weiter. Wir wollen Eigeninitiative und Eigenverantwortung fördern. Wir möchten eine bessere Führungsarbeit leisten, um Dinge schneller und auf den richtigen Ebenen zu entscheiden, um damit erfolgreich zu sein.

Ich sehe meine Aufgabe und meinen Wertbeitrag ganz klar bei Voith Paper.

Voith-Chef Andreas Endters

Das „Manager Magazin“ hat berichtet, Ihnen sei die Konzerngeschäftsführung angeboten worden, aber Sie hätten abgelehnt.

Das kann ich nicht bestätigen. Mit dem herausforderndsten Marktumfeld, das ich in über 30 Jahren erlebt habe, und geplanten Pensionierungen in meinem Führungsteam, die es zu begleiten gilt, sehe ich meine Aufgabe und meinen Wertbeitrag ganz klar bei Voith Paper.

Aber Sie müssen jetzt ein halbes Jahr lang noch eine Zusatzaufgabe stemmen.

Das ist ein großes Vertrauen, das man mir da entgegenbringt. Voith ist mir ans Herz gewachsen und wenn ich hier einen Beitrag leisten kann, dann mache ich das, so gut ich kann.

Arbeiten Sie da in Abstimmung mit Dirk Hoke?

Herr Hoke ist nach wie vor CEO bei Volocopter und damit nicht in unser operatives Geschäft involviert. Die Konzerngeschäftsführung arbeitet in einem vertrauensvollen und engen Prozess mit unseren Aufsichtsgremien. Wenn es seine aktuelle Aufgabe zulässt, wird Herr Hoke sich aber sicherlich bereits mit Voith vertraut machen.

Wird sich mit dem neuen Konzerngeschäftsführer die Strategie, sich auf die Kerngeschäfte zu konzentrieren, ändern?

Im Moment arbeiten wir mit unserer bestehenden Strategie und die Kolleginnen und Kollegen setzen sie um. Die erste Säule ist die Kultur, das habe ich bereits erläutert. Die zweite Säule dreht sich um die Stärkung unseres Kerns oder unserer Wurzeln, das heißt zusätzliches Geschäft in und um unser heutiges Kerngeschäft herum. Bei der riesigen installierten Flotte an Wasserkraftwerken, Papiermaschinen und Antriebslösungen bin ich überzeugt, dass wir dort noch großes Wachstumspotenzial haben. Die dritte Säule sind neue Geschäftsfelder wie etwa Wasserstoffanwendungen oder die disruptive Papierherstellung. Und die vierte Säule ist Effizienz. Wir müssen uns anstrengen, dass unsere Strukturen schlank genug sind, wir unsere Prozesse optimieren und uns auf die Marktanforderungen einstellen. Herr Hoke wird sich sicherlich daran orientieren und überlegen, wo er neue Schwerpunkte setzen soll.

Zur Person Andreas Endters

Der Wirtschaftsingenieur Andreas Endters ist 58 Jahre alt. Er begann seine Laufbahn beim Voith-Konkurrenten Sulzer Escher Wyss in Ravensburg und war bei Sulzer Papertec in Manchester (England).  Nach Heidenheim kam Endters, um als Verkaufsingenieur das Geschäft mit Nipco-Flex-Pressen bei Voith Paper aufzubauen. Im Jahr 2000 ging Endters zu Voith Paper nach Ravensburg. 2004 wurde er Leiter der Service Division mit Verantwortung für den Walzenservice mit 30 Standorten weltweit. 2008 wechselte er zu Voith Hydro und war vier Jahre lang für die Auftragsabwicklung Large Hydro zuständig. 2012 kam er in Leitungsfunktion zurück zu Voith Paper, seit 2017 leitet er diesen Konzernbereich.

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