Vom Hexenjäger zu Jesus: Wie Jacob Hetzner zum professionellen Musical-Darsteller wurde
Der klischeehafte Bücherwurm ist still, schüchtern und scheut das Rampenlicht. Wenigstens letztere Eigenschaft wird man Jacob Hetzner wohl kaum zuschreiben können. Mit 18 Jahren hat er seinen Blick auf ein Ziel und ein Ziel allein gerichtet: die große Bühne. Genauer gesagt, die große Musical-Bühne. Seinen Traum hat sich der gebürtige Dillinger inzwischen erfüllt – mit einer bedeutsamen Zwischenstation in Heidenheim, wo er sich zunächst gewissermaßen als Bücherwurm niederließ.
Doch von Anfang an: „Meine Liebe zur Bühne war wahrscheinlich schon immer da“, erinnert sich Hetzner, Jahrgang 1994. Kurz vor dem Abitur verkörperte er den Bösewicht, einen Kardinal, im selbstgeschriebenen Musical seiner Klasse. Dem folgte auf der einen Seite Hetzners Entschluss, Profi-Musical-Darsteller zu werden, und auf der anderen Seite ein gewisses Maß an Irritation aus seinem Umfeld. „Viele haben mich für verrückt erklärt. Ich hatte Angst, dass ich es nicht schaffen würde, wenn ich in meinem gewohnten Umfeld bleibe.“
Jacob Hetzner: Hauptrollen in Naturtheater-Stücken
Der Weg in unbekannte Gefilde führte Jacob Hetzner nach Heidenheim. Statt Notenheften warteten hier Lesezeichen auf ihn: Hetzner machte eine Ausbildung zum Buchhändler, nicht nur der Bibliophilie zuliebe, sondern auch, um sein musikalisches Fähigkeiten-Portfolio auszubauen. „Ich war nämlich nicht talentiert – höchstens im Schauspiel“, findet Hetzner ganz selbstkritisch. Gesang, Tanz und dergleichen habe er sich zunächst aneignen müssen.
Seine Schule sollte unter anderem die Bühne des Naturtheaters sein. In Heidenheim spielte Jacob Hetzner zunächst beim Jugend-Musical-Projekt „Jump“ mit – auf dem Spielplan stand „Rent“ –, ehe es ihn auf die Freilichtbühne verschlug. Mehr durch Zufall fiel ihm 2014 die Rolle des Romeo-Rivalen Tybalt in „Romeo meets Julia“ zu. Ein Jahr später übernahm er seine erste Hauptrolle, nämlich die des John Proctor in Arthur Millers Drama „Hexenjagd“. „Das kam wohl gut an“, erinnert sich Hetzner, denn 2016 erhielt er einmal mehr eine Hauptrolle in der Naturtheater-Inszenierung von „Die Feuerzangenbowle“ sowie in „Liebe Jelena Sergejewna“ – „meine Lieblingsproduktion. An die denke ich heute noch häufig“, so Hetzner.
Im Naturtheater habe er viel lernen können, natürlich. Noch wichtiger seien jedoch der Rückhalt gewesen sowie die Bestätigung, dass dieser Traum von einer Musicalkarriere tatsächlich funktionieren könnte. Um den Schritt zum Profi vollziehen zu können, begann er ein Studium an der Berufsfachschule für Musik in Sulzbach-Rosenberg im Hauptfach Musical. Diese Zeit sei nötig gewesen, um sich auf die Aufnahmeprüfung der Theaterakademie August Everding vorzubereiten. Studienplätze an der Münchner Musikhochschule sind rar und begehrt, doch Hetzner konnte letztlich einen von ihnen ergattern.
Sechs Tage die Woche Schule, Tanz-, Sprech-, Gesangs- und Schauspielunterricht: In dem Lehr- und Lerntheater wurde Hetzner in sämtlichen Kategorien ausgebildet. Ebenso darin, sich selbst zu vermarkten. „Man wir dort damit konfrontiert, wie unterschiedlich man von anderen und später auf dem Markt wahrgenommen wird“, erzählt der Musical-Profi. Ein wenig desillusionierend sei das gewesen. „Es ging mehr darum, ein Produkt aus einem zu machen. Das macht schon Sinn, denn auf dem Musical-Markt gibt es viel Konkurrenz. Und deren Qualität steigt jedes Jahr.“
In mir haben unterschiedliche Menschen ganz unterschiedliche Dinge gesehen.
Musical-Darsteller Jacob Hetzner
Und doch, bei all der Orientierung und Selbstfindung war Jacob Hetzner nach zwei Jahren Studium vor allem eines: verwirrt. Bei seinen Kommilitoninnen und Kommilitonen sei immer klar gewesen, auf welche Rollentypen sie sich später einmal konzentrieren sollen. „In mir haben unterschiedliche Menschen ganz unterschiedliche Dinge gesehen. Manche meinten, ich sei der schöne Prinz, weil ich so einen Schmelz in der Stimmfarbe hätte. Andere fanden mich eher für zwielichtige, hinterhältige Rollen geeignet.“ Hetzners „Problem“ sei es, dass er, was die äußere Erscheinung angeht, sehr wandlungsfähig sei. Bei Bewerbungen versuche er daher, diese Vielfalt direkt darzustellen. Mit Erfolg.
Bis vor Kurzem spielte der Baritenor beispielsweise den Titelhelden der Rockoper „Jesus Christ Superstar“ beim Operettensommer in Kufstein. „Das war eine meiner Traumrollen. Ich hatte nicht erwartet, dass ich die bekomme, da Jesus hauptsächlich mit Tenören besetzt wird“, erläutert Hetzner. Am Pforzheimer Theater wirkte er zudem in der Rolle des Lehrers bei der Uraufführung von „Jugend ohne Gott“ mit. „Ich mag fragwürdige Charaktere, durch die man eine große Bandbreite an Emotionen darstellen kann“, fasst der Schauspieler zusammen.
Eigenes Musical mit "Steampunk"-Ästhetik in Arbeit
Nicht nur schauspielerisch ist Jacob Hetzner unterwegs. Seit geraumer Zeit versucht er sich als Komponist und Sänger selbstgeschriebener Songs. Diese gab es in Heidenheim etwa im Rahmen der Reihe „Kultur im Café“ im Naturtheater zu hören. Für Hetzner ist Songs zu schreiben keinesfalls nur ein Hobby. „Nichts im Leben macht mich so glücklich wie Komponieren.“
Seit drei Jahren kanalisiert er diese Leidenschaft in ein selbstgeschriebenes Musical. Über den Inhalt will Hetzner noch nichts verraten, nur, dass es in der sogenannten „Steampunk“-Ästhetik angesiedelt sein soll. Unter „Steampunk“ versteht man ein Science-Fiction-Genre, für das retrofuturistische, häufig mit Dampf betriebene Maschinen sowie Elemente der viktorianischen Ära charakteristisch sind. Das Stück soll eine Erzählstruktur erhalten, die es laut Hetzner so noch nicht im Musical gegeben hat. „Es wird aber sicherlich noch einmal drei Jahre dauern, bis es fertig ist. Das Textbuch steht, die Lieder vom ersten Akt auch. Und vielleicht wird es ja irgendwann auf den Bühnen der Welt zu sehen sein.“
Freundschaft mit Heidenheimer Sänger Gabriel Fortunas Klitzing
Zufälle gibt’s: Der Heidenheimer Sänger Gabriel Fortunas Klitzing hat sich Ende vergangenen Jahres beim hochrenommierten August-Everding-Musikwettbewerb in München einen dritten Preis ersungen. Jacob Hetzner und Klitzing verbindet nicht nur die Stadt Heidenheim, die beiden sind zudem langjährige Freunde.
„Früher haben wir uns gegenseitig Lieder vorgesungen und uns Feedback gegeben“, berichtet Hetzner. Er sang Songs aus „Jesus Christ Superstar“, Klitzing trug Werke aus der „Zauberflöte“ vor – Lieblingsstücke und Traumrollen der beiden. Kurioser- wie erfreulicherweise erhielten Hetzner und Klitzing Rollen in genau diesen Stücken – sogar im selben Jahr.