Willy, Gloriosa und die Puhdys

Von der Brenz an die Gera im Dienste des Denkmalschutzes

Drei Tage in Erfurt: Die HZ-Redakteure Manfred F. Kubiak und Arthur Penk reisten auf Einladung des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz von der Brenz an die Gera und begegneten dort nicht nur törichten Jungfrauen.

Von der Brenz an die Gera im Dienste des Denkmalschutzes

Erfurt. Das erste Mal in Erfurt war ich, ohne wirklich dort zu sein. Ich war noch keine zehn in jenem März 1970. Und meine Erinnerungen daran sind schwarz-weiß. Denn selbstverständlich hatten wir noch keinen Farbfernseher.

An was erinnere ich mich? Ein Haus, daran ein Erker – und plötzlich der Mann dort, wohin ihn Tausende von Menschen gerufen hatten. „Willy Brandt ans Fenster“, hatte die Menge vor dem Hotel „Erfurter Hof“ unaufhörlich skandiert und dabei Polizeiabsperrungen und staatssicherheitsdienstliche Aufpasser und Hingucker ignoriert. Ich fand das schon damals richtig mutig und war sehr beeindruckt. Denn Erfurt war eine Stadt in der Deutschen Demokratischen Republik. Willy Brandt hingegen war der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Und selbst ein Neunjähriger seinerzeit wusste, was der Kalte Krieg war. Das Tauwetter begann damals. In Erfurt.

Die Puhdys und der Preis

Das zweite Mal, als ich in Erfurt war, gab es tatsächlich nur noch ein Deutschland. Nun war meine Tochter noch keine zehn. Und die Familie schaute bloß ganz kurz vorbei. Auf der Heimfahrt von einem Wochenende in Weimar. An was erinnere ich mich? An den Domplatz. An die „Puhdys“, die auf diesem gratis eine Open-Air-Konzert spielten. Und an die Reise auf einer nagelneuen Autobahn, die, nicht zu knapp bemessen, durch einen Landstrich führte, in dessen Boden anstelle von Leitplanken einmal Schussapparate verankert gewesen waren.

Spaß darf sein: Arthur Penk (links) und Manfred F. Kubiak beim Empfang des Präsidiums des Nationalkomitees. Dr. Ulrike Wendland

Und nun zum dritten Mal also: Erfurt. Mit dem Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz. Denn das hält es so: Einmal Preisträger, immer Preisträger. Es lädt alle Jahre wieder alle je von ihm mit dem Deutschen Preis für Denkmalschutz ausgezeichneten Persönlichkeiten zur Preisverleihung ein. Und so machten sich auch HZ-Kulturredakteur Manfred F. Kubiak und HZ-Onlineredakteur Arthur Penk, die 2018 den Journalistenpreis für ihre Serie „Heiliger Bimbam“ über historische Glocken im Landkreis Heidenheim erhalten hatten, wieder auf den Weg. Diesmal nach Thüringen, nicht zuletzt auch in der frohen Erwartung neuer Kontakte, Einblicke und Anregungen.

Die Stadt mit Aufzug

Weitblick mit Aufzug: So schaut man auf Erfurt vom Petersberg aus. Arthur Penk

Erfurt. So wie Heidenheim auch, ist das eine Stadt mit einem Berg mittendrin. Der Petersberg. Hinauf – und jetzt aufgepasst, Heidenheim – kommt man nicht nur zu Fuß, sondern wahlweise auch mit einem schicken Glasaufzug. Erfurt also hat, worüber man in Heidenheim höchstens mal geredet hat. Dafür ist in Heidenheim offenbar schon eine Kirche in der Altstadt eine zu viel, während in der Erfurter Altstadt sage und schreibe 27 Kirchen stehen.

Wo Erfurt draufsteht, ist auch Erfurt drin: Blick hinauf auf den Petersberg samt Zitadelle. Arthur Penk

Keine Kirche mehr ist übrigens die aus dem 12. Jahrhundert stammende Peterskirche auf dem Petersberg, wohin Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff, Thüringens Kulturminister und Staatskanzleichef sowie Präsident des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, die aus allen Himmelsrichtungen angereisten Gäste zu einer Abendgesellschaft begrüßte.

Der lange Marsch

In der Erfurter Altstadt: Der Fluss heißt Gera, der Vogel Graureiher. Arthur Penk

Tag zwei begann dann nach einer kurzen Nacht mit Sport. Das Heidenheimer Duo hatte es sich in den Kopf gesetzt, Erfurts Altstadt zu Fuß zu erkunden und weiß nun, dass diese zu den flächenmäßig größten Altstädten Deutschlands zählt. Und der weitgehend intakte mittelalterliche Stadtkern ist nicht etwa weitgehend dem Handel und der Gastronomie vorbehalten, sondern beheimatet auch noch beinahe zehn Prozent der insgesamt knapp 215.000 Einwohner Erfurts. Deutlich über 20 Kilometer an Marschstrecke kamen am Ende zusammen, ehe der Weg auf die Zielgerade zur Preisverleihung führte, wo die Abordnung aus Heidenheim ganz unverhofft tatsächlich auf Nachbarn traf.

Muss man in Erfurt einmal gegessen haben: Schwarzbiergulasch mit Thüringer Klößen. Arthur Penk

Denn zu den Preisträgern des Jahres 2023 gehörte auch die „Initiative Ruine Kocherburg“ aus Aalen, deren Mitglieder sich für ihren Einsatz für die im Wald bei Unterkochen beinahe schon für immer unter Gestrüpp verschwundenen Reste einer Burg aus dem 12. Jahrhundert die „Silberne Halbkugel“ abholten, mit der Einzelpersonen, Gruppen oder gemeinnützige Vereine ausgezeichnet werden, die sich ehrenamtlich dem Schutz und der dauerhaften Erhaltung baulichen und archäologischen Erbes widmen.

Das lieblichste Lächeln

Erzählte, was man nirgends nachlesen kann: der Erfurter Dombaumeister Andreas Gold. Arthur Penk

Der dritte und letzte Tag an der Gera, Erfurts Fluss, der sich malerisch in mehreren Armen auch durch dessen Mitte windet und mit einer Gesamtlänge von 85 Kilometern, ehe er in die Unstrut mündet, noch einmal um ein Drittel länger unterwegs ist als Heidenheims Brenz auf dem Weg zur Donau, brachte eine von Dombaumeister Andreas Gold angeleitete, geradezu spektakulär exklusive Führung auf dem Domberg, wo in unmittelbarer Nähe zueinander gleich zwei große Kirchen stehen: Der Mariendom und die St.-Severi-Kirche, deren Anführer und Anhänger sich in früheren Zeiten einen teilweise sogar Blut fordernden klerikalen Konkurrenzkampf um die Vorherrschaft dort oben lieferten.

Auf das Lächeln kommt es an: Dich wichtigsten Details des Severi-Sarkophags erschließen sich nur dem Kniienden. Arthur Penk

Trotzdem ist ein Lächeln nicht weit. Und für die Heidenheimer Denkmalabordnung ging das mit einer Art Déjà-vu einher. Hatten sie sich bei der letzten Ausfahrt vor Corona mit dem Nationalkomitee im Dom zu Naumburg in Sachsen-Anhalt vor den Damen Uta und Reglindis verbeugt, den in Stein gemeißelten Abbildern zeitloser weiblicher Schönheit und entwaffnenden Lächelns, so ging man in Erfurt in St. Severi vor dem lieblichsten Lächeln auf dem Domberg in die Knie. Denn wer vor dem Sarkophag mit den Gebeinen des Namenspatrons der Kirche nur stehenbleibt oder sich höchstens bückt, hat keine Chance, die Gesichtsausdrücke des Jesuskindes und seiner Mutter Maria aus dem einzig richtigen, weil fröhlichen Winkel wahrzunehmen.

Der Gewichtsunterschied

In Kicherlaune: Manfred F. Kubiak (links) und Arthur Penk vor vier der fünf törichten Jungfrauen am Westportal des Erfurter Doms. Arthur Penk

Ausgerechnet nicht möglich war leider ein Besuch der Gloriosa im Mittelturm des Domes.  Die Gloriosa, gegossen im Jahr 1497, wiegt knapp elfeinhalb Tonnen und ist die größte freischwingende mittelalterliche Glocke weltweit. Zum Vergleich: die schwerste historische Glocke im Landkreis Heidenheim hängt im Campanile von St. Dionysius in Herbrechtingen und wiegt 900 Kilogramm. Gegossen wurde sie im Jahr 1500. Mit der Gloriosa klappt’s ja vielleicht beim nächsten Besuch. Für diesmal freilich musste es der konservierte Sound der Gloriosa tun, denn den hat Dombaumeister Gold als Handyklingelton. Das nennt man Service.

Blauer Himmel über Erfurt: Blick über den Domberg auf die Altstadt. Arthur Penk

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