„Entschuldigung, wie viel Uhr ist es?“ Mit dieser scheinbar harmlosen Frage beginnt im Oktober in Heidenheim eine Situation, die für eine Autofahrerin in Panik und Trauma enden soll. Sekunden später sitzt ein 20-Jähriger neben ihr im Wagen, zieht ein Messer und fordert Geld und das Auto. Wenige Monate später täuscht er über Kleinanzeigen einen I-Phone-Verkauf vor und lockt so einen Käufer in eine ähnliche Lage – diesmal mit einer Schreckschusspistole. Der junge Mann musste sich nun unter anderem wegen erpresserischen Menschenraubs vor dem Heidenheimer Amtsgericht verantworten.
Autofahrt des Schreckens
Am 29. Oktober vergangenen Jahres also stieg der 20-Jährige auf einem Parkplatz in der Oststadt auf der Beifahrerseite in das Auto einer 68-jährigen Frau ein, die gerade vom Einkaufen zurückgekehrt war. Zunächst fragte er sie nach der Uhrzeit, doch noch bevor sie antworten konnte, saß er bereits neben ihr und bedrohte sie mit einem etwa 30 Zentimeter langen Küchenmesser. Anschließend zwang er die Rentnerin, eine Strecke von insgesamt drei Kilometern zu fahren und ihm anschließend ihr Bargeld und Auto zu überlassen.
Ich hatte ein Leben davor und danach.
68-jähriges Opfer der ersten Tat
Als die Frau aussteigen wollte, um ihren Rucksack mit Bargeld vom Rücksitz zu holen, verweigerte er ihr das. Stattdessen reichte er ihr den Rucksack nach vorne. Sie übergab ihm daraufhin ihr gesamtes Bargeld in Höhe von 150 Euro. Als der Angeklagte sie aufforderte, ihm auch den Wagen zu überlassen, lehnte sie zunächst ab. Doch angesichts des in Bauchhöhe gehaltenen Messers stieg sie mitsamt ihrem Rucksack aus dem Auto und floh.
Die zuständige Polizeikommissarin berichtete, dass die Rentnerin bei ihrer Zeugenaussage zunächst sehr gefasst wirkte – doch als sie das Bild des Täters sah, entgleisten ihr die Gesichtszüge und sie begann zu zittern. Dank der im Fahrzeug verbauten SIM-Karte konnte der gestohlene Pkw geortet werden, da sich das Gerät in das Netz eines Mobilfunkmastes eingeloggt hatte.
„Das ist das, was Sie angerichtet haben!“
Die Folgen der Tat zeigen sich bei der 68-jährigen Frau bis heute deutlich. Kurz nach dem Überfall hatte sie geglaubt, das Geschehen gut verarbeitet zu haben – doch bereits nach wenigen Tagen setzten starke Angstzustände ein. Inzwischen besuche sie fünf Sitzungen einer Traumatherapie, so die Seniorin. Ihre Angst äußere sich darin, dass sie ohne erkennbaren Anlass in Panik gerate, nicht mehr alleine auf die Straße gehen könne und stets von ihrem Mann begleitet werden müsse. Wenn sie doch einmal alleine unterwegs ist, blicke sie sich ununterbrochen um – aus Angst, verfolgt zu werden. „Ich hatte ein Leben davor und danach“, so die Rentnerin. Ihre Lebensfreude sei seit diesem Vorfall abhandengekommen.
Das ist das, was Sie angerichtet haben! Es geht nicht nur um 150 Euro.
Staatsanwalt zum Angeklagten
In der Zeit nach dem Überfall sei es ihr zunächst etwas besser gegangen, doch drei Wochen vor dem Gerichtstermin verschlechterte sich ihr Zustand erneut massiv. Morgens beim Aufwachen überlege sie oft, einfach im Bett zu bleiben, teilt die Rentnerin mit. Erst der Gedanke an ihren Ehemann gebe ihr den Grund, sich aufzuraffen – und lenke sie zumindest kurzzeitig von der belastenden Situation ab. Ihr Leben wurde durch die Tat so stark beeinträchtigt, dass sie nur noch versucht, ihr Leben so zu gestalten, dass sie noch daran teilnehmen kann. Auf die Frage, ob der Angeklagte sich entschuldigen dürfe, lehnte sie ab. „Das ist das, was Sie angerichtet haben! Es geht nicht nur um 150 Euro“, so der Staatsanwalt, als die Zeugin den Saal verließ.
Ebay-Betrug und Schreckschusspistole
Wenige Monate später kam es zu einer weiteren Tat: Ein geplanter I-Phone-Kauf über Kleinanzeigen führte für einen 21-Jährigen aus Bolheim zu einer ähnlich bedrohlichen Situation. Als er sich am 18. Januar dieses Jahres mit dem vermeintlichen Verkäufer traf und im Auto wartete, stieg dieser plötzlich auf der Beifahrerseite ein, forderte das Geld und richtete eine durchgeladene Schreckschusspistole auf das Bein des Opfers. Weil das Opfer erkannte, dass es sich um keine echte Waffe handelte, flüchtete der Angeklagte in das Waldgebiet Am großen Bühl, wo er sich zeitweise in einer Hütte versteckte. Die Polizei suchte mit zahlreichen Streifen und einem Hubschrauber nach dem Mann. Festgenommen wurde er schließlich durch einen zufällig vorbeikommenden Polizeibeamten.
Laut Polizeiangaben hatte der 20-jährige Angeklagte die Pistole – eine täuschend echte Nachbildung einer echten Schusswaffe – vom Stiefvater entwendet. Einige Tage nach der Tat wurde die Waffe schließlich in einem Garten bei einem Treppenaufgang gefunden – entdeckt von den Hausbesitzern selbst. In der Wohnung des Angeklagten stellten Ermittler zudem zwei Handys sicher, auf denen sich verdächtige Suchanfragen fanden, darunter „brauche ein Auto und habe kein Geld“ sowie gezielte Recherchen zur Berichterstattung über die erste Tat auf der Internetseite der HZ.
Vom Vater geprägt: die Brutalität und der Weg in die Haft
Nach Einschätzung der Jugendgerichtshilfe hat der 20-Jährige während einer früheren Haftstrafe eine Drogensucht entwickelt. Der gebürtige Grieche kam 2015 nach Deutschland und wuchs in einem von Gewalt geprägten Elternhaus auf: Der Vater verübte häusliche Gewalt gegenüber ihm, seiner Schwester und der Mutter. In einem familiären Konflikt erschoss der Vater später seinen Schwager und verletzte seine Ehefrau durch einen Streifschuss. Seit 2016 ist er untergetaucht.
Aufgrund des Traumas war seine Frau nicht mehr in der Lage, sich um die Kinder zu kümmern, weshalb diese in die Obhut des Jugendamts kamen. Das Verhältnis zur Mutter sei heute grundsätzlich positiv, werde jedoch durch vier Vorstrafen erheblich belastet, so die Jugendgerichtshilfe. Sowohl die schulische Laufbahn als auch eine begonnene Ausbildung brach der Angeklagte ab.
Der 20-Jährige erklärte vor Gericht, er wolle eine Drogentherapie absolvieren und habe bereits Kontakt zur Drogenberatung der JVA Stuttgart-Stammheim aufgenommen. Seit zweieinhalb Jahren konsumiere er täglich Drogen. Auch während der Untersuchungshaft habe er weiter Betäubungsmittel zu sich genommen, die ihm von außen zugeliefert worden seien – finanziert mit Geld, das er von seinen Eltern erhalten habe.
Die Staatsanwaltschaft forderte eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten sowie 150 Euro Geldstrafe und die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft. Der Vertreter der Rentnerin schloss sich an. Die Verteidigung plädierte auf eine Jugendstrafe von zweieinhalb Jahren. Während das Gericht den Angeklagten schlussendlich zu fünf Jahren Haft verurteilte. Der Haftbefehl bleibt in Kraft.
Was ist erpresserischer Menschenraub?
Erpresserischer Menschenraub liegt vor, wenn ein Täter eine Person mit Gewalt oder Drohung zwingt, etwas zu tun, etwa Geld oder ein Auto herauszugeben. Dabei wird das Opfer in seiner Freiheit eingeschränkt. Dieser Straftatbestand ist in Paragraf 239a Strafgesetzbuch geregelt. Er kann mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren bestraft werden.