Walk on the Wild Side: So war die Premiere des "Zauberer von Oz"
Gibt’s überhaupt noch Vogelscheuchen? Ganz ausgestorben sind sie wahrscheinlich noch nicht. Und im Brenzpark läuft gerade eine herum. Gut, es handelt sich um die Opernversion einer Vogelscheuche. Eine singende Vogelscheuche, also eher sogar Vogel als Scheuche. Aber todschick. Mit Blumen rund ums Dekolleté. Alles schön bunt. Und alle sehr aufgekratzt in der Heidenheimer Festspielversion von „Der Zauberer von Oz“. Am Mittwochabend war Uraufführung.
Wer hierzulande Kind war in der guten alten Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat, der ist selbstverständlich mit anderen Märchen aufgewachsen, als mit Lyman Frank Baums Geschichte, die in Kansas mit einem Wirbelsturm beginnt. Heute ist das offenbar anders. Denn als im Laufe der Vorstellung die Frage aufkommt, wie man sich denn wohl der bösen Hexe entledigen könne, da kommt die Antwort darauf prompt vielstimmig aus den ersten Reihen, wo im ausverkauften Opernzelt das junge Publikum sitzt.
Die Quintessenz
Das hat übrigens seinen Spaß. Aber auch die Erwachsenen auf den Holzbänken im Rund sind ganz bei der Sache. Und das ist kein Wunder. Denn die Junge Oper hat ganze Arbeit geleistet. Librettist Stephan Knies ist es gelungen, in gut einer Stunde und sehr gut nachvollziehbar eine Quintessenz aus der literarischen Vorlage herauszuarbeiten, die man unterschreiben kann: Füreinander einzustehen und den anderen nicht im Stich zu lassen, hilft; Mut, Intelligenz und Liebe kann man in sich und an sich selber ausbilden – und Selbstbewusstsein lässt sich entwickeln.
Drum herum steht beste Unterhaltung im Vordergrund. Niemand kommt mit nur um Ecken herum verständlichen Anspielungen daher. Und tatsächlich muss man ja auch nicht wissen, dass in den USA der McCarthy-Zeit „Der Zauberer von Oz“ sogar schon einmal auf dem Index stand, weil man aus ihm eine marxistische Utopie herauslas. Darüber hinaus gibt es zuhauf tiefenpsychologische Deutungen oder könnten sich – Zauberer-Stichwort Aura der Macht, aber nichts dahinter – Bezüge zu Politikern aller Epochen herstellen lassen. Und nach dem Hund aus der Geschichte hat sich eine Rock-Band benannt.
Die Musik
Womit wir auch schon bei der Musik angelangt wären. Die ist von der jungen Britin Lucy Landymore – und man würde sie sich auch ein zweites und drittes Mal anhören, schon allein deshalb, weil es in ihr mehr als genug zu entdecken gibt. Lucy Landymore ist die Schlagzeugerin des berühmten Filmkomponisten Hans Zimmer. Das wiederum hört man nicht. Was man hört, ist eine am Ende sehr deutliche eigene musikalische Handschrift.
Ausschließlich für Klavier (Mareike Jörling) und Schlagzeug gesetzt, hält die oft aus der jazzigen Ecke wehende und auf der Welle eines chromatischen Minimalismus funkende Musik die Dinge in einem mitreißenden Fluss, hält dazu viele exquisite und diffizile Dialoge für die beiden in den allerbesten Händen befindlichen Instrumente bereit und macht den Schlagzeuger Bernd Elsenhans, der in einem Aufwasch gleich auch noch den Blechmann gibt, sogar zum heimlichen Hauptdarsteller. Auch von den Sängern verlangt Lucy Landymores Partitur einiges – und von der Sopranistin Julia Danz, die nicht nur alle Hexen verkörpert, sondern auch die Tante, verlangt und bekommt sie das Maximum. Ganz großartig.
Der Gesang
Gesungen wird insgesamt zwar etwas weniger, als man das in einer Oper vielleicht erwarten würde – Christoph Wittmann ist als Vogelscheuche ein Tenor im Mieder, Daniel di Prinzios ängstlicher Löwe schlottert im Bass – doch das tut dem ganzen insofern keinen Abbruch, sondern eher gut, weil der Erzählfaden der rund um den als Oper verhandelten Ausschnitt doch etwas ausführlicheren Geschichte so besser und deutlicher weitergesponnen werden kann. Meist von der warmherzigen Heldin Dorothy, die von Samira Frank, vom Naturtheater ausgeliehen, auf Augenhöhe mit den Theaterprofis selbstbewusst verkörpert wird. Auch darstellerisch agieren die von Regisseurin Annika Nitsch intelligent geführten Protagonisten quicklebendig.
Die Kostüme
Und sehen dabei auch noch wunderbar durchgeknallt aus. Mit grünen Fliegenfallen-Brillen, die der Optiker von Elton John geliefert haben könnte, und, wo wir vorhin sowieso schon mal in Amerika waren, in Kostümen, die so schrill schreiend daherkommen, als wären sie via Zeitsprung aus Andy Warhols Factory in New York entkommen oder würde man die Musik von „Velvet Underground“ plötzlich sehen können. Oder ein bisschen wie „Walk on the Wild Side“, bloß ganz und gar jugendfrei. So ergeben sich freundlich psychedelisch wirkende Helden in einer scherenschnittartig und einfach gehaltenen Umgebung, aus deren Off sich der Zauberer meldet wie Samiel in der Wolfsschlucht des „Freischütz“. Die als „VestAndPage“ firmierenden Ausstatter Verena Stenke und Andrea Pagnes haben offenbar eindeutig ihren Spaß gehabt. Und mit ihnen alle anderen auch, auf, hinter und vor der Bühne. Alles wunderbar. Ab nach Oz, kann man da nur sagen.
Wer den „Zauberer von Oz“ der Heidenheimer Opernfestspiele erleben möchte, muss sich sputen, wenn er noch Karten möchte. Es gibt sie in halbwegs ausreichender Menge eigentlich nur noch für die Zusatzvorstellungen am kommenden Samstag, 24. Juni, die um 17 Uhr beginnen wird. Noch wenige Restkarten sind für die Vormittagsvorstellungen am 27. Juni (9.30, 11.30 Uhr), am 29.Juni (9.30 Uhr), am 4. Juli (9.30, 11.30 Uhr) und am 5. Juli (9.30 Uhr) zu haben. Alle anderen Vorstellungen im Opernzelt im Brenzpark sind bereits ausverkauft. Eintrittskarten sind im Ticketshop des Pressehauses in Heidenheim erhältlich.