Versuchsanlage

Warum bei Schwenk in Mergelstetten ein komplett neues Verfahren entwickelt wird

In der Versuchsanlage für ein neues Verfahren zur Zementherstellung, die von einem Konsortium auf dem Gelände von Schwenk in Mergelstetten errichtet wird, hat die Schulung der Mitarbeiter schon begonnen. Was diese dort künftig machen werden:

Auf dem Firmengelände von Schwenk am Ortseingang Mergelstetten entsteht neben dem eigentlichen Zementwerk eine weitere, etwas kleinere Produktionsanlage. Klein ist dabei aber ein relativer Begriff: Der Wärmetauscher-Turm, durch den im Zement-Herstellungsprozess das Gesteinsmehl geleitet wird, hat auch bei der Versuchsanlage eine Höhe von über 60 Metern. Jürgen Thormann, der frühere Werksleiter von Schwenk in Mergelstetten, ist technischer Geschäftsführer des Konsortiums CI4C (Cement innovation for climate). Vier große Konzerne haben sich hier zusammengetan, um in Mergelstetten eine neue Methode der Zementherstellung zu erproben: neben Schwenk sind dies Buzzi-Dyckerhoff, Vicat und Heidelberg-Cement. 120 Millionen Euro investieren die vier Firmen zu gleichen Teilen in Bau und Betrieb der Versuchsanlage, die Mitte 2025 in Betrieb gehen soll.

Mitarbeiter werden bereits geschult

Nicht nur das Bauwerk nähert sich der Fertigstellung, auch die Mitarbeiter, die für das Projekt „Catch4climate“ arbeiten sollen, stehen schon bereit: Bereits zweimal waren die 50 Techniker, Ingenieure und Informatiker zu Schulungen in Heidenheim. Ab September seien sie dauerhaft vor Ort, so Jürgen Thormann. Bislang ging es hauptsächlich um Sicherheitsaspekte, die im innovativen Herstellungsprozess eine besondere Rolle spielen: „Wir legen allergrößten Wert auf Anlagensicherheit“, sagt der Geschäftsführer. Die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter müssten so sein, dass die Sicherheitsrisiken beherrscht werden, so Thormann.

Jürgen Thormann, technischer Geschäftsführer des Konsortiums CI4C, war früher Werksleiter von Schwenk in Mergelstetten. Schwenk

Die 50 Beschäftigten werden von den vier beteiligten Firmen gestellt. Während die Kommunikationssprache innerhalb des Projekts Englisch sei, werde auf der Baustelle und später im Betrieb Deutsch gesprochen, erläutert Thormann – allein schon aus Sicherheitsgründen, damit es zu keinen Missverständnissen komme. Geleitet wird der Betrieb der Versuchsanlage aus den Büroräumen heraus, die auf dem Gelände in Containerbauweise erstellt wurden. In den Räumen ist alles so ausgebaut, dass nichts mehr an provisorische Container erinnert. Ein Schulungsraum bietet Platz für alle 50 Mitarbeiter, und der spätere Leitstand hat große Fenster mit Blick auf die gesamte Anlage. Hier werden später auf zahlreichen Monitoren die Prozesse in der Versuchsanlage überwacht werden können.

Ziel: die Umweltbelastung verringern

Auch wenn die Versuchsanlage prinzipiell aussieht wie ein Zementwerk in kleinerem Maßstab, habe der Prozess, der im Brennofen ablaufen soll, mit der herkömmlichen Zementherstellung nichts mehr zu tun, so Jürgen Thormann. Ziel der Versuchsanlage ist es, beim Herstellungsprozess von Zement möglichst reines CO₂ zu erzeugen und dies aus der Abluft abzuscheiden, um es einer weiteren Verwertung – beispielsweise der Herstellung von synthetischem Kerosin für Flugzeuge – zuzuführen. Dadurch erhofft sich die Zementindustrie, den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid, der eine große Umweltbelastung darstellt, zu verringern.

In Mergelstetten wird das sogenannte Pure-Oxyfuel-Verfahren erprobt: Der Brennprozess, bei dem der gemahlene Kalkstein aus dem Steinbruch zu Zementklinker gebrannt wird, findet dabei statt mit Luft mit reinem Sauerstoff statt. „Es gibt zwei wesentliche Teile der Anlage: den Ofen, in dem das CO₂ hoch konzentriert wird, und dahinter der Abscheideanlage, die sogenannte CPU“, erläutert Jürgen Thormann. CPU steht für „carbon processing unit“: Hier werde das Kohlendioxid abgeschieden, auf Lebensmittelqualität gereinigt und verflüssigt.

Mitte Juni wurden auf der Baustelle des CO2-Abscheide-Projekts „catch4climate“ auf dem Schwenk-Werksgelände die sechs Sauerstofftanks für die Oxyfuel-Anlage installiert. Conné van d´Grachten

Ob die Prozesse in der Praxis alle genau so funktionieren, wie dies in der Theorie beschrieben wird, werde sich zeigen: „Es gibt keinen Ofen auf der Welt, mit dem man so etwas schon einmal gemacht hätte“, sagt Thormann. Man werde sich dem Prozess langsam annähern. Dabei könne es auch sein, dass die Anlage zwischendurch umgebaut werden müsse. Dies wurde beim Bau schon berücksichtigt: „Der Ofen ist so konstruiert, dass einzelne Elemente ausgetauscht werden können“, so der CI4C-Geschäftsführer. Angelegt ist der Betriebszeitraum der ganzen Anlage auf rund drei Jahre, „es geht hier nicht um Produktion, sondern um die Entwicklung“, so Jürgen Thormann. Dass das Ziel des Konsortiums erreicht wird, steht für ihn außer Frage: „Ich bin absolut zuversichtlich, dass wir es hinkriegen“, sagt der Geschäftsführer.

360 Kubikmeter reiner Sauerstoff

Sechs große Tanks versorgen die Oxyfuel-Anlage mit Sauerstoff. Die jeweils rund 26 Tonnen schweren Sauerstofftanks wurden mithilfe von zwei Autokränen im Tandemhub auf die vorgesehenen Fundamente gehoben. In den vakuumisolierten Behältern können insgesamt rund 360 Kubikmeter Flüssigsauerstoff gelagert werden. Lieferung und Errichtung der Tankanlage wurde von der Westfalen AG übernommen. Der Sauerstoff wird, wenn die Anlage in Betrieb geht, per Lkw als kryogene Flüssigkeit (LOX = Liquified Oxygen) erfolgen. Kryogene Flüssigkeiten sind stark gekühlte Gase mit einem Siedepunkt nahe -100 Grad oder darunter. Um die erforderlichen Mengen an Sauerstoff mit einem möglichst geringen Lkw-Transportaufkommen nach Mergelstetten zu liefern, betreibt die Westfalen AG in Laichingen eine sogenannte Luftzerlegeanlage. Dort werden die in der Umgebungsluft enthaltenen wesentlichen Bestandteile Stickstoff und Sauerstoff verfahrenstechnisch getrennt und unter Druck auf ca. -187 Grad Celsius gekühlt und verflüssigt.

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