Ein ungewöhnlicher Ort, ein ungewöhnliches Konzert: macht zusammen ein ungewöhnliches Ereignis. Daran freuen konnten sich am Freitagabend gut 100 Besucher im Voith-Trainingscenter an der St. Pöltener Straße. Dort, inmitten von Arbeitsplatten mit mächtigen Schraubzwingen und heute im Handwerk gängigen Hightech-Aggregaten, hatte „Jazz Heidenheim“ erstmals seine Bühne aufgebaut. Die Hanns-Voith-Stiftung half als Sponsor mit, den zusätzlichen Aufwand zu schultern. „Voith und Musik gehören zusammen“, freute sich Joachim Kocsis, der Vorsitzende von „Jazz Heidenheim“, über die Offenheit des Konzerns auch für den Jazz.
Bereitet worden war die Bühne für das Trio um den Bassisten Andreas Schmid. Dieser hatte als Schüler am Werkgymnasium bei Kocsis Musikunterricht, nun darf er sich selbst einen „Master of Music“ nennen. Seine Prüfungsarbeit in „Jazz Education“ an der Hochschule für Musik und Theater in München, ein ganzes Konzert, war freilich in die Corona-Zeit gefallen. Einer von zwei Prüfungsprofessoren war nur per Video zugeschaltet, als Zuhörer waren gerade die Eltern erlaubt. Die wahre Premiere fand nun also mit erheblichem Verzug bei Voith statt. „Wir freuen uns tierisch“, so Andreas Schmid, der denn auch mit einem Solo am Bass in den Abend startete. „Wir“ – das waren neben Schmid Luca Zambito an E-Piano und Synthesizer, Jonas Sorgenfrei am Schlagzeug und als Gast Anton Mangold an Saxofonen und Querflöte. Für seine Masterarbeit hatte Schmid Stücke ausgewählt, die den Übergang im Jazz vom Bebop der späten 50er-Jahre bis zum Jazzrock in den 80er-Jahren hörbar werden lassen. Ausgesucht hatte Schmid Kompositionen des Saxofonisten Wayne Shorter und des Trompeters Freddy Hubbard, zwei ganz großen Musikern in der Jazzgeschichte. Die Messlatte lag also hoch für alle Musiker im Trainingscenter.
Wie das Öffnen einer Champagnerflasche
Bebop, das ist wie das Öffnen einer Flasche Champagner: Die Töne sprudeln wie Perlen gleichzeitig oben. Beim Bebop sind die Themen Miniaturen, ein Achtel erscheint ein langes Zeitmaß und die Tonarten wechseln mitunter mit den Takten. Und darüber gilt es zu improvisieren. Als Saxofonist braucht man einen sehr langen Atem und sehr flinke Finger an den Klappen, will man allein das Tempo meistern. Für Anton Mangold schien all dies kein Problem zu sein. Was der Schweinfurter, der als erstes Instrument Harfe gelernt hatte, an diesem Abend an Saxofonen und Querflöte bot, war begeisternd. Mangold spielte emotional, aber zugleich cool und elegant. Man mochte an den Frankfurt-Sound der 60er-Jahre denken. Schmid wusste natürlich auch um die Aufgabe, die er Mangold anvertraut hatte. „Das ist wahnsinnig anspruchsvoll.“
Gegenüber anderen Genres geöffnet
Mit dem Hardbop (beispielhaft „Infant Eyes“ – ein schön und frisch gespielter Titel von Shorter) wird der Jazz freier, er lässt die Mathematik in der Musik schwinden und öffnet sich anderen Genres wie Blues, Soul und ab den 70ern auch dem Funk. Die Klangfarben weiten sich, auch weil neue Instrumente dazukommen, alte elektronisch verstärkt werden. Mit dem Synthesizer weitet sich der musikalische Horizont immens. Der Sound wird zum Zauberwort. Andreas Schmid erläuterte all dies kurz und kompakt und wechselte seinerseits im zweiten Set auf den E-Bass. Als Leiter des Trios und „Prüfling“ hatte er sich bisher schon im Jazz-pur-Set mit Soli profilieren können. Nun stellte er sich mit Stücken der Gruppe Weather Report einer der herausragenden Jazzrock- oder Fusion-Formationen der 70er- und 80er-Jahre und ihrem ersten Bassisten Jaco Pistorius. Dieser früh verstorbene Musiker wird zu den einflussreichsten Bassisten der jüngeren Jazzgeschichte gezählt. Nun, Andreas Schmid enttäuschte nicht, er konnte mithalten. Vorzüglich seine Version von „Three Views Of A Secret“ von Pastorius.
Auf dem sehr flexiblen Bassgrund von Schmid baute die Band weiterhin ihre Klangwelt auf. Und das Publikum war begeistert. Der von BMW mit dem „Young Artist Award“ ausgezeichnete Luca Zambito ließ am Synthesizer die Töne changieren und umspielte am Piano mit leichter Hand die Melodie. Jonas Sorgenfrei, ein Schlagzeuger, der als großes Jazztalent gilt, ist ebenfalls keiner, der sich mit Wucht nach vorne drängt. Er begleitete locker mit Snare und Becken, füllte die Takte mit kurzen Schlägen. Im Voith-Trainingscenter hat schließlich die Luft vibriert.
Prüfung bestanden? Sowieso! Bestens! Aber auch die Ton- und Lichttechniker von „Jazz Heidenheim“ übertrafen an diesem Abend ihre schon hohen Maßstäbe. Eine Aufzeichnung hätte eine super Live-CD gegeben.