Ein Bett im Maisfeld

Warum die „Alzira“ der Heidenheimer Opernfestspiele ein Sommerhit ist

Großes Kino bei der Premiere von „Alzira“ am Donnerstagabend: Die Heidenheimer Opernfestspielen bringen ihren achten frühen Verdi in musikalischer Höchstform und mit viel Atmosphäre heraus.

Endlich Sommer. Das Korn gedeiht prächtig. Und befänden wir uns jetzt nicht im geknechteten Peru, sondern, sagen wir mal, an einem deutschen Strand auf einer spanischen Ferieninsel, dann verlangten die Umstände eigentlich auf der Stelle nach einem Sommerhit. Also, wie wär’s: Ein Bett im Maisfeld … Nein? Wir sind hier nicht in der Schlagerparade, sondern in der Oper? Auch gut, die Überschrift aber hätten wir, siehe oben, trotzdem schon mal.

Und jetzt: „Alzira“. Heuer holen die Festspiele in Heidenheim aus ihrer Wundertüte mit frühen Verdi-Opern die unbekannteste aller unbekannten. Und, um niemand erst auf die Folter zu spannen: Es funktioniert schon wieder. Die Erfolgsserie bleibt eine Erfolgsserie. Und Heidenheims Verdi-Abenteuer bleibt ein Sommerhit.

Verdi wusste stets, was das Publikum hören wollte

Da haben wir ihn dann doch wieder, den Sommerhit. Und warum auch nicht: Schließlich reden wir hier jetzt gleich auch über den Sommerhitschreiber der Oper schlechthin. Denn Giuseppe Verdi hat zeitlebens immer genau gewusst, was sein Publikum von ihm hören wollte. Das machte ihn nördlich der Alpen, wo man 1845, im Uraufführungsjahr der „Alzira“, tatsächlich schon beim „Tannhäuser“ angelangt war, zwar in Intellektuellenkreisen verdächtig. Doch eine Oper zunächst mal als Musizieranlass zu betrachten und nicht als philosophisches Proseminar, ist ja im Grunde alles andere als unanständig.

Zwangsheirat: Titelheldin Alzira (Ania Jeruc) hat keine Lust auf Gouverneur Gusmano (Marian Pop). Oliver Vogel

Jedenfalls ist am Ende die Heidenheimer „Alzira“ das, was gleich zu Beginn mit Donnergrollen aus dem Off und dem auf die Bühne projizierten Blick aufs Maisfeld samt Bergpanorama versprochen wird: ein Gewitter. Ein Gewitter, das niemanden nass macht, sondern ein Spektakel ist und bleibt. Nicht zuletzt musikalisch. Und Marcus Bosch und die fabelhafte Cappella Aquileia laden die Atmosphäre gleich von vornherein sehr geschickt auf, indem sie die überwiegend etwas tanzstundenhafte Ouvertüre erst nach dem Prolog reichen und deshalb ohne Umschweife Fahrt aufnehmen. Und das geht dann gerade mal so weiter.

Musikalisch wird durch die Capella groß aufgetrumpft

Musikalisch, vor allem von der Instrumentierung her betrachtet, ist Verdi mit seiner „Alzira“ noch einmal hinter die vorvorangegangenen „Due Foscari“ zurückgefallen. Das geht tschingderassabumm – und auch seine große Trommel und der Leierkasten, die man ihm seinerzeit gewissermaßen als ihn karikierende Mühlsteine um den Hals hängte, sind wieder mit Spiel. Aber was soll’s? Das alles klingt unterm Strich so mitreißend und mit so viel purer Lust am Musizieren aus dem höhergelegten Orchestergraben, dass musikologisch ganz schön verkniffen sein müsste, wer sich dem entziehen wollte oder gar könnte.

Die Cappella ist in ihrem Element, und sie und Marcus Bosch machen, weiterhin interpretatorisch höchst geschickt, auch mit großartig ausgeführten elastischen Wendungen in Sachen Dynamik und Tempo ein Fass auf, von dem man nicht erwartet hätte, dass daraus derart ergiebig geschöpft werden könnte.

Krieger unter sich: spanischer Kameradschaftsabend in den Anden. Oliver Vogel

Wirklich alles, was dieser ja vergleichsweise grob aus dem Block gehauene Verdi hergibt, wird im Heidenheimer Festspielhaus auf größtmöglicher Flamme gebrutzelt. Auch die Sänger, jene mit den kleineren und mittleren Partien, und erst recht nicht der wieder einmal überragende Chor aus Brünn, machen da keine Ausnahme.

Der Inkahäuptling ist ein Tenor, wie er im Buche steht

Sung Kyu Park, im vergangenen Jahr von der notorischen Mittellage des „Don Carlo“ eher ein wenig ausgebremst, darf als Inkahäuptling diesmal wieder ein Verdi-Tenor sein, wie er, nicht selten vermeintlich, hier aber tatsächlich im Buche steht und unbehelligt von jedweder dynamischen Differenzierung Spitzentöne im Dauerforte schmettern, dass es nur so eine Art hat. Musik aus dem Bauch heraus, der man sich einfach hingehen muss.

Deutlich mit mehr Köpfchen hat sich der Komponist um seine Titelheldin gekümmert und sie so nicht nur für die Männerwelt der Anden, sondern auch in der Partitur zur interessantesten Figur gemacht. Und besser besetzen als mit Ania Jeruc kann man eine Alzira wohl kaum. Die polnische Sopranistin ist in jeder Hinsicht ein absoluter Hochgenuss und verfügt über einen veritablen Spinto-Sopran, der im dramatischen Format mächtig zubeißen kann. Sie kann aber auch, was diesmal noch mehr gefragt ist, jede noch so samtweiche lyrische Linie konturenscharf nachzeichnen. Dass sie auch in Sachen Belcanto geschult ist und hier wohl jede Gangart mitgehen könnte, kommt ihr bei diesem Verdi darüber hinaus besonders zupass. Wirklich ganz großartig.

Zeitlich gesehen bleiben die Kostüme im Irgendwo

Was ebenso über den schon vom jungen Verdi verlangten, im Stimmumfang nach oben gerückten Bariton zu berichten wäre, der mit Marian Pop perfekt besetzt ist. Sein Gusmano ist, auch gesanglich alles andere als eindimensional vorgeführt, zwar ein harter Hund von Gouverneur, könnte aber, das klingt durchaus durch, auch anders, wenn er denn wollte. Beinahe würden wir ihm sogar noch seinen wie aus heiterem Himmel kommenden Anfall von Nächstenliebe abnehmen. Dennoch geht auch in Heidenheim die Geschichte selbst für eine Oper geradezu spektakulär unglaubwürdig zu Ende.

Das Ende vom Lied: Gouverneur tot, Liebespaar vereint.

Allerdings nicht, ohne dass sie zuvor nicht weit mehr als nur anständig erzählt worden wäre. Regisseur Andreas Baesler, auch für die Gestaltung des Raums zuständig, und seine Kostümbildnerin Tanja Hofmann sorgen zunächst einmal ebenso unaufdringlich wie schön anzuschauen dankenswerterweise dafür, dass sich, wer möchte, durchaus für den im Libretto ja kaum marginal behandelten Kulturkonflikt interessieren könnte, vor dessen Hintergrund zwei Männer dieselbe Frau lieben. Rein zeitlich betrachtet bleibt die Inszenierung auch in den Kostümen sehr angenehm im Irgendwo, bringt es aber, was diesen vor allem mitreißenden Abend erst insgesamt vollends und überdies sehr angenehm rund macht, fertig, mit einem Schuss Kolorit, der ja sowohl dem Libretto als auch der Musik völlig abgeht, ganz viel Atmosphäre zu schaffen. Und dies ebenso wissend, man nehme nur zum Beispiel die an Quipus, also an die Knoten der Inkaschrift erinnernden Kostümapplikationen, wie augenzwinkernd, wenn man mal den mächtig an die Wand gemalten Gipfel des Artesonraju betrachtet, der, um es mal so zu sagen, hier, so wie sonst als Logo bei Paramount Pictures auch, ebenfalls als Sinnbild für großes Kino aufragt. Es muss nicht immer „Traviata“ sein!

Es gibt keine Karten mehr für „Alzira“

Die Samstagsvorstellung von „Alzira“ ab 20 Uhr im Festspielhaus ist restlos ausverkauft.

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