Heidenheimer Mordprozess Degenhardstraße

Warum die Freundin des Angeklagten gelernt hatte, zu schweigen

Einem 35-jährigen Heidenheimer wird der Mord an einem 50-Jährigen vorgeworfen. Bei der Tat im März waren drei weitere Menschen in der Tatwohnung. Keiner schritt ein, als das Opfer zu Tode geprügelt wurde. Das sagte die Freundin des mutmaßlichen Täters aus:

Warum die Freundin des Angeklagten gelernt hatte, zu schweigen

Bei einem weiteren Verhandlungstag im Mordprozess Degenhardstraße schilderten am Dienstag vor dem Ellwanger Landgericht drei Zeugen, die bei der Tat dabei waren, das Geschehen in der Nacht auf den 14. März. Bei der Polizei ging um 4.36 Uhr ein Notruf ein, die Tat hatte sich aber schon einige Stunden zuvor ereignet. Ein 35-jähriger Heidenheimer soll das 50-jährige Opfer in dessen eigener Wohnung mit einem Kantholz erschlagen haben. Bei der Tat anwesend waren die Freundin des Angeklagten, die in der Wohnung nebenan wohnte, eine 42-jährige Frau sowie ein 40-Jähriger, der einen Stock tiefer im selben Mehrfamilienhaus wohnte. Alle drei Tatzeugen waren selbst wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt, jedoch wurden die Verfahren eingestellt.

Randaliert, beleidigt, bedroht

Die 27-jährige Zeugin ist nach wie vor die Freundin des seit der Tat inhaftierten Angeklagten. Wie der Vorsitzende Richter Bernhard Fritsch verriet, schreiben sich die beiden auch Briefe. Vor Gericht wurde schnell deutlich, dass die beiden eine komplizierte Beziehung haben. Mehrmals hatte der 35-Jährige die junge Frau krankenhausreif geschlagen. Als sie ein Kontaktverbot erwirkte und zu einer Freundin flüchtete, soll er in ihrer Wohnung randaliert haben. Auch hat er mehrmals bei der Freundin angerufen, um diese zu bedrohen und zu beleidigen. „Aus dieser Erfahrung heraus hat sie gelernt, stillschweigend zu tun, was er will“, erläuterte eine Kriminalhauptkommissarin der Heidenheimer Polizei, die die Frau kurz nach der Tat vernommen hatte.

Wohl nur vor diesem Hintergrund kann man das Verhalten der gelernten Altenpflegerin verstehen, die vor Gericht schilderte, wie sie während des gesamten unkontrollierten Gewaltausbruchs ihres Freundes neben ihm stand, ohne auch nur den verbalen Versuch zu unternehmen, die Schläge auf den 50-Jährigen zu beenden. Die gesamte Gruppe, bestehend aus dem Angeklagten und seiner Freundin, dem späteren Opfer, der 42-Jährigen und dem 40-Jährigen, traf sich bereits am Nachmittag vor der Tat auf dem Spielplatz beim Heidenheimer Rathaus. Alle Anwesenden, bis auf die 27-Jährige, haben bereits am Nachmittag Alkohol getrunken. Dort sei es zum Streit zwischen dem Opfer und dem Angeklagten gekommen, weil der 50-Jährige am Telefon gesagt habe, er würde von allen beklaut werden, berichtete die 27-jährige Zeugin vor Gericht. Dabei habe der Angeklagte seinem Kontrahenten einen Roller an die Brust gedrückt und diesen umgeworfen, wobei er aber nicht verletzt worden sei.

Später saßen alle im Apartment des 50-Jährigen zusammen und tranken weiter. Sie sei froh gewesen, als ihr Freund irgendwann sagte, dass sie jetzt gehen würden, erzählte die Zeugin. Sie seien beide in die Wohnung nebenan gegangen und hätten sich schlafengelegt – die Frau nach wie vor nüchtern, der Angeklagte schwer betrunken. Als es um die Schilderung des eigentlichen Tatgeschehens ging, atmete die junge Frau deutlich schwerer und stockte in ihren Erzählungen. Immer wieder musste Richter Fritsch nachfragen, weil die Zeugin nur noch leise sprach und in knappen Worten darauf einging, was passiert war.

Zum Zigarettenholen geschickt

Der Angeklagte sei in der Nacht aufgewacht und habe sie geweckt, um sie zum Zigarettenholen in die Nachbarwohnung zu schicken. Als sie in die Wohnung des 50-Jährigen ging, sei ihr Freund aber mitgekommen, „und er hatte dieses Holzding dabei.“ Das Kantholz, das Staatsanwalt Dr. Klaus Schwichtenberg als Beweismittel dabeihatte, ist ungefähr 1,20 Meter lang, fünf mal fünf Zentimeter dick und mit einigen Schrauben gespickt. Sie habe es normalerweise verwendet, um es unter die Türklinke zu klemmen, „wenn wir für uns sein wollten“, so die Zeugin.

Da auf das Klopfen der Zeugin niemand reagierte, habe der Angeklagte die Tür eingetreten und sei sofort auf das Opfer losgegangen, das schlafend auf seinem Bett lag. Der 40-jährige Mann und die 42-jährige Frau hätten auf dem Sofa geschlafen und seien zunächst nicht aufgewacht. „Die waren so besoffen, die haben das nicht mitgekriegt“, so die Zeugin. Auch das Opfer sei nicht aufgewacht von den Schlägen – oder womöglich gleich bewusstlos geworden. Später soll der Angeklagte dem Mann einen Eimer Wasser über den Kopf geleert haben, worauf dieser aber auch nicht reagierte. „Hat Sie das nicht gewundert, Sie sind doch Altenpflegerin?“, fragte Richter Fritsch. „Ich fand es schon komisch“, so die Frau. Sie habe aber dem hohen Alkoholkonsum des Opfers die Schuld gegeben. Auf die Frage, warum sie nicht weggelaufen sei, um Hilfe zu holen, wusste sie keine rechte Antwort. „Ich war wie im Schock, ich bin einfach wie angewurzelt stehengeblieben“, meinte die 27-Jährige.

Schließlich ging das Paar in die Nachbarwohnung zurück und legte sich aufs Sofa. Man habe noch gekuschelt, der 35-Jährige sei aber schnell eingeschlafen. Als in den frühen Morgenstunden Polizei und Rettungskräfte in der Nachbarwohnung eintrafen, sei sie zwar wach geworden, habe aber ihren Freund nicht wecken können. Auch zu diesem Zeitpunkt machte sie nicht auf sich und ihren Freund aufmerksam. Gegen 8 Uhr kam schließlich die Polizei in ihre Wohnung und nahm den Mann unter dringendem Tatverdacht fest.

Die Frau schilderte auch, dass ihr Freund im Jahr 2022 über eine Zeitarbeitsfirma bei verschiedenen Firmen gearbeitet habe und während dieser Zeit auch wenig Alkohol getrunken habe. Ab dem Herbst 2022 habe der Alkohol eine immer größere Rolle gespielt, bereits am späten Morgen nach dem Aufstehen habe der 35-Jährige das erste Bier getrunken. Im Vollrausch sei er „nicht er selbst“ gewesen, so die Zeugin.

Die Aussagen des 40-Jährigen und der 42-jährigen Zeugin brachten für das Gericht nichts Neues über das Tatgeschehen zum Vorschein. Beide Zeugen hatten in ihren Vernehmungen direkt nach der Tat einige Details anders geschildert als vor Gericht. Deutlich herauszuhören war auch, dass der hohe Alkoholkonsum in der Tatnacht einiges vernebelte. So wollte der 40-Jährige eine ganz andere Tatwaffe in den Händen des 35-Jährigen gesehen haben, die wohl eher seiner Phantasie entsprungen war: Er sprach von einem Baseballschläger aus Holz und Metall, der mit Whiskey gefüllt gewesen sein soll.

So geht es im Mordprozess weiter:

Der Prozess wird am Montag, 23. Oktober, um 9.30 Uhr vor dem Landgericht Ellwangen fortgesetzt. Dabei werden weitere Zeugen gehört und es soll um die Aussage des Angeklagten gehen, die er bei der Polizei nach dem Geschehen gemacht hatte. Vor Gericht hat sich der 35-Jährige bislang nicht zur Tat geäußert.

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