Ein Blick zurück

Zum 60. Geburtstag: Warum die Heidenheimer Opernfestspiele eigentlich zwei Anfänge haben

60 Jahre Heidenheimer Opernfestspiele: wie alles begann. Eine Reise zum Urknall des Festivals und noch weiter zurück in Sachen Oper auf eine Hochzeit auf dem Härtsfeld.

Solche Sachen gibt’s: Die Wurst hat zwei Enden – und Heidenheims Opernfestspiele haben zwei Anfänge. Nun soll uns an dieser Stelle die Wurst egal sein. Die feiert auch selten Geburtstag. Anders verhält sich das mit den Opernfestspielen. Heuer wird deren 60. Geburtstag gefeiert. Dass man das tun kann, liegt, bei einer Sache, die zwei Anfänge hat, daran, dass man sich auf einen Anfang eingeschworen hat. Ansonsten müsste man ja andauernd auch zwei Geburtstage feiern.

So einfach ist das. Aber eigentlich auch ein wenig komplizierter. Insofern könnte man doch mal wieder die Gelegenheit nutzen, zu den Anfängen zurückzukehren. Heute ist das Festival längst in der internationalen Klasse seiner Gattung etabliert. Aber wie war das eigentlich damals, als die Geschichte der Opernfestspiele begann?

Burdon war da

Nun, der Anfang war bescheiden – und das Durchhalten nicht immer leicht. Fest steht allerdings: Heidenheims Musiktheater ist ein Sonntagskind, das am 6. September 1964 das Licht der Welt erblickte. Und interessant in diesem Zusammenhang könnte vielleicht sein, was damals außerhalb von Heidenheim in musikalischer Hinsicht so los war. Auf Platz eins der deutschen Hitparade stand zum Zeitpunkt der Geburt der hiesigen Opernfestspiele Siw Malmkvist mit „Liebeskummer lohnt sich nicht“. International betrachtet, wurden seinerzeit aber auch schon ganz andere Saiten aufgezogen. Von der Spitze der britischen Charts grüßten die „Kinks“ mit „You Really Got Me“. Und auf dem Gipfel der amerikanischen Bestenliste sonnten sich mit „The House of the Rising Sun“ die „Animals“ um Bandleader Eric Burdon.

Letzterer ist viel später dann sogar einmal in Heidenheim gewesen. Was uns an dieser Stelle wiederum gleich auf die Idee bringt, einmal, wenn man so will, noch weiter als bis zum Urknall zurück zu hören. Denn die, wenn diese Abschweifung gestattet ist, sehr, sehr wahrscheinlich erste Opernvorstellung überhaupt in unserer Gegend ging nicht in Heidenheim über die Bühne, sondern auf Schloss Trugenhofen bei Dischingen, der 1734 erworbenen und 1817 in Schloss Taxis umbenannten Sommerresidenz des Fürstenhauses Thurn und Taxis, das es sich für die Dauer der schönen Jahreszeit mit einem 350-köpfigen Haushalt samt Hofkapelle auf dem Härtsfeld gutgehen ließ.

Mozart schaut vorbei

Bei solcher Gelegenheit und aus Anlass der Hochzeit von Maria Theresia von Thurn und Taxis mit Kraft Ernst von Oettingen-Wallerstein erlebte Trugenhofen am 26. August des Jahres 1774, also vor 250 Jahren, die Uraufführung einer Oper: „Il trionfo della virtù“, „Der Triumph der Tugend“, die erste von zehn Opern von Theodor Schacht, dem Musikdirektor des Hauses Thurn und Taxis. Mindestens mittelbar in den Lauf der Musikgeschichte übrigens griff nur wenige Jahre später der Bräutigam dieses Festes ein, bei dem ein von seiner Mutter begleiteter junger Mann namens Mozart um eine Anstellung als Hofmusiker vorsprach. Doch dem Fürsten stand nicht der Sinn nach Musik, er trauerte um seine ihm in Trugenhofen vermählte, jung verstorbene Frau. Mozart blieb in der Folge nicht im Ries hängen, sondern machte sich mit der Welt bekannt. Soviel zu dem – und zurück zum eigentlichen Thema.

600 Besucher drängten sich am 6. September 1964 zwischen den Mauern des Rittersaals, den damals noch zwei Eschen schmückten. Dafür gab’s weder eine Bühne noch eine Tribüne. Alle begegneten sich ebenerdig an diesem Sonntagabend, der in die Heidenheimer Geschichte eingehen sollte. Der Anlass für den Auflauf hieß Schloßserenade. Und ihr Initiator, der mit ihr zum geistigen Vater der Opernfestspiele werden sollte, hieß Helmut Weigel.

Weigel legt los

Weigel war nur wenige Monate zuvor von Radolfzell am Bodensee als neuer Leiter des seinerzeit als Verein geführten Städtischen Orchesters nach Heidenheim gekommen und hatte sich anlässlich eines Spaziergangs zum Schloss hinauf auf den ersten Blick in den Rittersaal verliebt. „Ich war sofort sicher, dass hier etwas passieren müsse“, hat der im März 2020 im sagenhaften Alter von 103 Jahren in Rothenburg ob der Tauber verstorbene Kapellmeister in einem Interview anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Festspiele einmal verraten. Und er formierte binnen nur weniger Wochen ein Kammerorchester, mit dem er an jenem 6. September 1964 jene Schloss-Serenade spielte, die heute als Geburtsstunde der Opernfestspiele gilt.

Und die musikalischen Geburtshelfer des heute historisch zu nennenden Augenblicks huldigten keinem geringeren und keinem anderen Paten als Mozart. Dessen nicht selten auch von Profis leider unterschätzte „Kleine Nachtmusik“ stand ebenso auf dem Programm wie das erste Flötenkonzert mit dem Solisten Helmut Weigel. Der Urknall der Festspiele gezündet aber wurde in geradezu prophetischer Art und Weise bereits mit einem Stück Oper: Mozarts Ouvertüre zur „Zauberflöte“.

Bastien trifft Bastienne

Und Weigel war nicht aufzuhalten. Auch nicht durch Widrigkeiten solcher Art, dass er zwar ein Gehalt bezog, es darüber hinaus aber von der Stadt kein Geld für seine über das ihm vertraglich Abverlangte und über die Betreuung des städtischen Blasorchesters weit hinausgehende Aktivitäten gab. Nicht für das geradezu aus dem Boden gestampfte Kammerorchester mit sechzehn Streichern, mit dem er die erste Serenade bestritt. Nicht für das Sinfonieorchester, das Heidenheim nur fünfzehn Monate nach dem Amtsantritt Weigels plötzlich hatte – und nicht für die Schloss-Serenaden, die nun Sommer für Sommer im Rittersaal stattfanden. Vier weitere Jahre, in denen Weigel & Co. demonstrierten, was in ihnen und im Rittersaal steckt, zogen so ins Land.

6. Juli 1969: Zum ersten Mal wird im Rittersaal eine Oper gereicht. Die Nürnberger Sopranistin Ingeborg Dietz und der Münchener Tenor Günter Baldauf singen Mozarts "Bastien und Bastienne". Es spielt das Städtische Orchester Heidenheim unter Helmut Weigel. Archiv

Dann kam 1969. Und es war an der Zeit, noch eins draufzusetzen. Nicht nur in Heidenheim. Auf dem Mond wurde die Ankunft der ersten Menschen erwartet. In den USA rüstete man sich für das Woodstock-Festival. Doch zuvor schon stand in Heidenheim mal wieder Mozart Pate. Und es war erneut ein 6. des Monats, dieses Mal im Juli, als bei der sechsten Schloss-Serenade erneut Geschichte geschrieben wurde. Es mag – Haydns vorausgeschickte Symphonie Nr. 28 in A und eine darauf folgende Pause mit eingerechnet – so gegen 21.15 Uhr gewesen sein, als die erste Oper der aus heutiger Sicht bereits kurz vor ihrem fünften Geburtstag stehenden Opernfestspiele im Rittersaal erklang und damit nun endlich das künftige Kerngeschäft des Festivals formuliert wurde: Für einen Anfang fast folgerichtig ganz klein und mit dem Werk eines Kindes, denn gereicht wurde, in szenischer Version auf einer kleinen Bühne in der Südwestecke des Rittersaals, die von Wolfgang Amadeus Mozarts im zarten Alter von zwölf Jahren komponierte einaktige Spieloper „Bastien und Bastienne“.

Überschrift

Noch vier Abende hält die Jubiläumsspielzeit 2024 der Heidenheimer Opernfestspiele bereit. Am Donnerstag, 25. Juli, steht die erste „Last Night“ auf dem Spielplan, am Freitag, 26. und am Samstag, 27. Juli, „Madama Butterfly“, und am Sonntag, 28. Juli, noch einmal die „Last Night“. Beginn ist jeweils um 20 Uhr im Rittersaal auf Schloss Hellenstein, bei ungünstiger Witterung (Wettertelefon ab 18 Uhr 07321.327-4220) im Festspielhaus, wo es an der Abendkasse zusätzlich 80 Schönwetterkarten gäbe. Die Opernvorstellung am Samstag wäre ansonsten ausverkauft, für Freitag gibt es noch sechs Karten, für die beiden Konzerte noch ein paar mehr. Weitere Programmdetails unter www.opernfestspiele.de.

Jetzt einfach weiterlesen
Jetzt einfach weiterlesen mit HZ
- Alle HZ+ Artikel lesen und hören
- Exklusive Bilder und Videos aus der Region
- Volle Flexibilität: monatlich kündbar