„Welt, frage nicht die Todentrissenen, wohin sie gehen.“ Mit diesen Worten beginnt das Gedicht „Welt“ von Nelly Sachs. Die Worte, mit denen es endet wiederum, inspirierten Helmut Bornefeld zum Titel einer Komposition: „Psalm der Nacht“.
Das Werk für Orgel und Sopran ist nicht allzu oft zu hören. Am Sonntag, 17. November, wird es ab 18 Uhr allerdings mit Hilfe eines der lediglich drei Instrumente erklingen, auf denen es tatsächlich so dargestellt werden kann, wie es komponiert wurde. Das sagt einer, der es wissen muss: Leonard Hölldampf. Der Heidenheimer Bezirkskantor, in dieser Eigenschaft einer der Nachfolger Helmut Bornefelds, wird, gemeinsam mit der Sopranistin Johanna Pommranz, „Psalm der Nacht“ in der Heidenheimer Michaelskirche aufführen.
Ein Schlüsselwerk
Helmut Bornefelds „Psalm der Nacht“ ist eine vergleichsweise frühe Vertonung von Gedichten der Nelly Sachs, die 1910 im damals noch eigenständigen Schöneberg bei Berlin geboren wurde. Sie entkam als Jüdin mit knapper Not den Nazis, indem sie nach Schweden flüchtete, wo sie 1970 in Stockholm gestorben ist. Ihre Gedichte, ihr ganzes literarisches Schaffen, für das Nelly Sachs 1966 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, hat die Passion ihres Volkes zum Thema. In Deutschland gebührend zur Kenntnis genommen wurde Nelly Sachs so richtig erst ab Ende der 1950er Jahre.
In seinem „Psalm der Nacht“ der Nacht hat Helmut Bornefeld, der in Briefkontakt zu Nelly Sachs stand, zwölf von ihm ausgewählte Gedichte vertont. Das Werk darf als Schlüsselwerk des Komponisten gelten, der als solcher nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Bedrängnis geraten war und, wenn man das so sagen kann, die Kirchenmusik als Fluchtburg einer inneren Emigration gewählt hatte. „Mit dem ,Psalm der Nacht‘, sagt Leonard Hölldampf, „trat Bornefeld erstmals wieder mit einer Komposition in Erscheinung, die nicht auf einem liturgischen Text basiert und deshalb einen konzertanten Rahmen sucht.“
Klingt, wie es klingen muss
Uraufgeführt wurde der „Psalm der Nacht“ am 7. November 1965 in der Stuttgarter Hospitalkirche. Die Heidenheimer Erstaufführung erfolgte ein Jahr später am 12. November 1966 in der Pauluskirche. „Bornefeld wurde zu jener Zeit immer mal wieder vorgeworfen, als Komponist hinter der Avantgarde zurückzublieben“, sagt Leonard Hölldampf. „Mit dem ,Psalm der Nacht‘ zeigt er sich allerdings auf der Höhe der Zeit, geht spieltechnisch viel weiter als zuvor, setzt zum Beispiel Tastengewichte ein, um Hintergrundklänge halten zu können, verwendet besondere Klangfarbkombination als Effektregister. Und aus den von ihm aus verschiedenen Gedichtzyklen von Nelly Sachs zusammengestellten Texten mit vielen Begriffen, die sofort eine Vorstellungswelt eröffnen, erklärt sich unbedingt, warum diese Musik genau so klingen muss, wie sie klingt.“
Eben dies wird, da ist Hölldampf sicher, auf der vollständig nach Helmut Bornefelds Vorstellungen von der Giengener Firma Link 1969 fertiggestellten Orgel der Michaelskirche noch einmal ganz besonders deutlich werden. Denn neben den Orgeln in der Stuttgarter Hospitalkirche und der Schorndorfer Stadtkirche, bei deren Entstehung Bornefeld ebenfalls Pate gestanden hatte, „ist die Michaelskirchenorgel die dritte von drei Orgeln überhaupt, auf denen diese Komposition so dargestellt werden kann, wie sie komponiert wurde“.
Junge Solistin
Und apropos Komposition. Neben der Originalität sollten, wie Leonard Hölldampf anmerkt, gute Kompositionen auch über die Eigenschaft der Aktualität verfügen. „Was den ,Psalm der Nacht‘ anbelangt, war in dieser Beziehung nicht nur die kompositorische Aktualität in der Entstehungszeit vorhanden, vielmehr ist in diesem Falle die politische Aktualität immer gegeben.“
An der Seite des Organisten wird am Abend des Volkstrauertages in der Michaelskirche die junge Sopranistin Johanna Pommranz zu erleben sein. Sie ist Absolventin der Musikhochschule in Stuttgart und war als Solistin auch schon in Heidenheim zu erleben, unter anderem vor Jahresfrist beim „Weihnachtsoratorium“.
Eine Stunde mit Einführung
Die Aufführung von Helmut Bornefelds „Psalm der Nacht“ am Sonntag, 17. November, ab 18 Uhr wird eine knappe Stunde dauern. Der Aufführung voraus wird eine kurze Einführung in die Komposition durch den Bezirkskantor Leonard Hölldampf gehen. Der Eintritt ist frei.