Interview mit Jürgen Busse

Warum es in Heidenheim immer noch Montagsspaziergänge gibt

Die Montagsspaziergänge in Heidenheim sind jetzt offiziell angemeldete Demonstrationen. Der Versammlungsleiter Jürgen Busse erzählt im Interview, was die Teilnehmer antreibt.

Seit mehr als drei Jahren gibt es in Heidenheim die Montagsspaziergänge. Über lange Zeit hinweg fanden diese Demonstrationen unangemeldet statt. Doch seit einigen Wochen sind sie auch offiziell bei der Stadtverwaltung angemeldet. Ein Gespräch mit dem Versammlungsleiter Jürgen Busse.

Herr Busse, seit Jahren gehen Menschen allwöchentlich am Montagabend durch die Heidenheimer Innenstadt, um zu protestieren. Inzwischen sind die sogenannten Montagsspaziergänge auch bei den Behörden angemeldet, und zwar von Ihnen. Wie kam es dazu?

Busse: Das war vor ungefähr acht Wochen. Das Ordnungsamt hat uns aufgefordert, dass wir die Veranstaltung anmelden.

Aber warum war das nicht von Anfang an so? Bisher waren die Montagsspaziergänge, für die Straßen gesperrt werden müssen, ja nie offiziell.

Da muss man ein bisschen in die Historie gehen. Vor ungefähr drei Jahren, als alles begann, wurden die Genehmigungen sehr restriktiv gehandhabt. Demonstrationen wurden teils einfach nicht genehmigt. So sind die Spaziergänge bundesweit entstanden.

Worum ging es damals?

Das war in der Corona-Maßnahmen-Zeit. In der Spitze waren deutschlandweit zwei Millionen Menschen unterwegs. Aus meiner Sicht waren diese Spaziergänge nicht nur legitim, sondern auch gesellschaftlich notwendig.

Und warum sind Sie jetzt in Heidenheim der Versammlungsleiter?

Das Ordnungsamt kam auf uns zu und fragte, ob man die Montagsspaziergänge nicht anmelden könne. Dann haben wir mit der örtlichen Polizei und dem Ordnungsamt gesprochen. Ich habe mich letzten Endes entschlossen, mich zur Verfügung zu stellen, damit wir diesbezüglich Ruhe haben.

Waren Sie von Anfang an dabei?

Ja, meine Frau und ich waren schon vor drei Jahren mit dabei.

Jürgen Busse hat die allwöchentlichen Montagsspaziergänge in Heidenheim angemeldet und ist Versammlungsleiter. Foto: Rudi Penk

Heidenheim ist eine der wenigen Städte, in denen die Spaziergänge noch stattfinden. Woran liegt das?

Ich glaube, es liegt an der Historie der Stadt, mit Voith und der Anthroposophie. Wir waren hier schon immer stärker als andere Städte in der Region. In der Spitze waren wir hier 2500 Leute, das war kurz bevor die einrichtungsbezogene Impfpflicht kam. Die war ja überhaupt erst der Auslöser für die Montagsspaziergänge.

Wie viele Spaziergänger sind denn heute noch unterwegs?

Wir sind knapp 100. Aber das schwankt. Im vergangenen Jahr bei den Bauernprotesten ging es kurz mal auf 300 hoch.

Gibt es einen harten Kern von Menschen, die immer dabei sind?

Ja, den gibt es.

Die Corona-Maßnahmen, gegen die Sie einst auf die Straße gingen, sind längst Geschichte. Wofür oder wogegen sind Sie denn heute? Lässt sich das überhaupt noch festmachen?

Aber natürlich. Wer die Plakate liest und ein bisschen Fantasie mitbringt, weiß schon, worum es geht. Es geht um die Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen. Um eine Aufarbeitung, die den Namen auch verdient. Ich empfehle jedem die Lektüre der RKI-Files. Die belegen, dass bei den Corona-Maßnahmen zum Großteil nicht wissenschaftlicher Evidenz gefolgt, sondern dass vieles politisch entschieden wurde. Es geht nicht darum, dass hier irgendwelche Schwurbler irgendwas wollen. Es geht um Fakten.

Aber man hat den Eindruck, bei den Spaziergängen geht es inzwischen um viel mehr. Eine allgemeine Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik, um die Flüchtlingslage, um Heizungsgesetze. Alles scheint sich ein bisschen zu vermischen.

Es bringt relativ wenig, gegen etwas zu sein. Viel produktiver ist es, für etwas zu sein. Das ist die lückenlose und ehrliche Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen. Mit der ganzen Maßnahmenpolitik gingen Grundrechtseinschränkungen einher, die es eigentlich seit 1945 nicht mehr gab. Die Frage ist doch, ob das alles gerechtfertigt war. Die Aufarbeitung einzufordern ist das Hauptanliegen der Montagsspaziergänger. Aber es gibt in der aktuellen Politik auch viele andere Gründe, die einen auf die Straße treiben könnten. Aber wir wollen weder belehren noch bekehren, wir wollen einfach zum selbstständigen Denken anregen. Wir sind auch unpolitisch. Jeder muss für sich entscheiden, wen er wählt.

Sie protestieren also nicht, weil Sie pauschal gegen alles sind?

Der aus meiner Sicht größte Kanzler, den wir je hatten, hat gesagt: „Mehr Demokratie wagen“. Bei uns wird leider immer weniger Demokratie gelebt. Aus unserer Sicht wäre es wünschenswert, mehr direkte Demokratie zu wagen. In der Schweiz wird das seit vielen Jahren praktiziert. Dort ist das zwar auch nicht perfekt, aber es funktioniert ganz ordentlich.

Warum laufen gehen Sie nicht einfach durch die Fußgängerzone, sondern auf der Straße? Das sorgt für Behinderungen und für Verärgerung.

Würden wir im Wald spazieren gehen, würden das vielleicht Rehe und Füchse mitkriegen. Aber das ist nicht Sinn und Zweck der Sache. Wir wollen aufmerksam machen und zum Denken anregen. Und wir erfahren auch Zustimmung von Passanten und Verkehrsteilnehmern.

Wie lange wollen Sie die Montagsspaziergänge denn noch weiterführen?

Diese Frage hat sich vielleicht jeder einzelne schon gestellt. Ich kann es nicht sagen. Ein entscheidender Punkt wird sein, ob die Corona-Maßnahmen aufgearbeitet werden. Wenn das tatsächlich geschieht, kann ich mir vorstellen, dass es sich irgendwann verläuft. Es macht ja nicht immer nur Spaß, bei Wind und Wetter, bei Minusgraden, durch die Gegend zu laufen.

Jetzt einfach weiterlesen
Jetzt einfach weiterlesen mit HZ
- Alle HZ+ Artikel lesen und hören
- Exklusive Bilder und Videos aus der Region
- Volle Flexibilität: monatlich kündbar