Das Thema der Pflanzenvermehrung wird von Menschen ja gerne etwas verniedlicht und vereinfacht. Bienchen und Blümchen mussten lange Zeit für eine verschämte Art der Aufklärung herhalten, auch wenn die Analogie zwischen menschlichem Sex und Blümchen-Sex eher dünn ist. Denn eigentlich sind uns Pflanzen, was die Vermehrung angeht, im Großen und Ganzen stark überlegen. Neben der generativen Vermehrung (die Sache mit den Samen) können viele Pflanzen sich auch vegetativ vermehren. Das bedeutet, dass aus einem kleinen, abgetrennten Teil der Pflanze eine neue, genetisch identische Pflanze entstehen kann. Beim Menschen kennt man das nur aus der Bibel, als Gott einen neuen Menschen (Eva) aus der Rippe von Adam entstehen ließ, oder von der Technik des Klonens, die allerdings beim Menschen nicht erlaubt ist.
Vielleicht liegt es daran, dass Pflanzen so viele Möglichkeiten bieten, um aus einer Pflanze viele zu machen, warum Pflanzenvermehrung bei mir ganz nebenbei passiert. Natürlich gibt es den Berufsstand der Gärtnerinnen und Gärtner, die das professionell machen und damit auch Geld verdienen. Denen will ich keine Konkurrenz machen und ich bin auch gute Kundin mehrerer Gärtnereien, weil ich natürlich nicht alles selbst vermehre (in seltensten Fällen Bäume und Sträucher) und immer auf der Suche nach neuen Sorten und Arten bin.
Viele Pflanzen kommen aus dem Labor
Und zudem: Die gute handwerkliche Pflanzenvermehrung findet man mittlerweile ohnehin nur noch in wenigen, bisweilen spezialisierten und regionalen Gärtnereien. Pflanzen, die günstig und in großen Massen beispielsweise im Supermarkt angeboten werden, stammen oft aus der Laborvermehrung, wo winzige Gewebestücke in Nährlösung herangezogen werden und Pflanzen in einem sterilen Umfeld aufwachsen. Diese sind wenig robust, weil sie weder Erde und die darin enthaltenen Bakterien noch Wind, Sonne und Regen kennen. Dass sie oft nicht lange überleben, kommt der Pflanzenindustrie aber gerade recht, denn dann werden wieder neue (Labor-)Pflanzen eingekauft.
Pflanzen selbst zu ziehen hat auch einen emotionalen Aspekt: Natürlich bin ich wahnsinnig stolz auf alles, was ich selbst vermehrt und großgezogen habe, egal, ob aus einem Samenkorn oder einem kleinen Pflanzenteil etwas entstanden ist, dem ich beim Wachsen und Gedeihen zugeschaut habe. Besonders zu erwähnen wäre hier vielleicht die Kletterrose „Mme. Alfred Carrière“. Sie wächst drei bis fünf Meter hoch, blüht weiß und duftet rosig und auch ein bisschen zitronig. Ich habe sie zum ersten Mal im berühmten Garten von Vita Sackville-West in Sissinghurst gesehen und dann in einer Rosengärtnerei erworben. Gärtnereien veredeln Rosen meist auf eine Wildrosen-Unterlage, was bedeutet, dass der Wurzelteil, der für kräftiges Wachstum sorgt, von einer anderen Rosenart stammt als der überirdische Teil, der für das Erscheinungsbild und die Blüten zuständig ist. Aber auch ohne diesen professionellen Kniff ist der Steckling von „Mme. Alfred Carrière“ nach mehr als fünf Jahren mittlerweile rund drei Meter hoch in einen alten Zwetschgenbaum geklettert.
Die Pflanzenvermehrung für den Hausgebrauch ist kein großer Aufwand, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt im Jahreslauf stattfindet. Wie das funktioniert, habe ich am Anfang oft in einem mittlerweile leider vergriffenen Buch nachgeschlagen, das eigentlich den Titel „Handbuch der Pflanzenvermehrung“ (Alan Toogood) trägt, von meinem Ex-Mann aber liebevoll-spöttisch „Flower Porno“ genannt wurde. Will man Pflanzen aus Samen ziehen, muss man die reifen Samen einsammeln und später wieder aussäen. Das klappt bei manchen Pflanzen ganz problemlos, bei anderen ist es eine große Kunst. Gemüse und einjährige Sommerblumen lassen sich meistens relativ einfach aussäen, wenn man nicht Schnecken als Feinde der knackigen Jungpflanzen im Garten hat. Dann empfiehlt es sich, die Pflanzenbabys im Topf zu pflegen, bis sie groß genug sind für den gefährlichen Garten.
Die gleichen Eigenschaften wie die Mutterpflanze
Andere Pflanzen wie mehrjährige Stauden oder auch Sträucher lassen sich leichter vegetativ vermehren, entweder, weil sie schwer keimen wie beispielsweise die Pfingstrose oder weil so ihre gewünschten Eigenschaften wie die Blütenfarbe bei den Tochterpflanzen garantiert erhalten bleibt. Stecklinge – also abgeschnittene Triebspitzen, an denen man nur wenige Blätter oben stehen lässt – wandern bei mir in Töpfe. Man kann diese mit Plastiktüten abdecken, um eine höhere Luftfeuchtigkeit zu erreichen, bei vielen ist das aber gar nicht notwendig. Was sich so sehr einfach vermehren lässt, sind beispielsweise Blühstauden wie Phlox, Fetthenne und Astern.
Stecklinge lassen sich ganz nebenbei mitnehmen, beispielsweise bei Besuchen in anderen Gärten. Selbstverständlich sollte man fragen, bevor man an fremden Pflanzen herumschneidet. Allerdings schadet es ihnen in der Regel nicht, wenn man nur wenige Triebspitzen kappt, man kann bei Stauden im Gegenteil sogar die Blütezeit verlängern, wenn man einen Teil der Triebe einkürzt, die dann buschiger nachwachsen und etwas später blühen als die unbeschnittenen Teile. Diese Technik hat sogar einen Namen, nämlich „Chelsea Chop“, benannt nach der berühmten Gartenausstellung in London, die Ende Mai stattfindet – der richtige Zeitpunkt für den Vorblütenschnitt.
Weiterführende Bücher zum Thema Pflanzenvermehrung
Es gibt noch viele weitere Techniken, um Pflanzen zu vermehren, manche kann man auch ausgraben und teilen oder Wurzelstecklinge nehmen. Tipps dafür findet man beispielsweise ausführlich in „Alles über Pflanzenvermehrung“ von Wolfgang und Marco Kawollek oder in etwas kompakterer Form in „Plants for free“ von Juliette Patissier und Sabine Hesemann (beide Bücher aus dem Ulmer-Verlag).
Die nächste Folge der Sommerserie erscheint am Mittwoch, 7. August. Thomas Jentscher beschreibt dann, wie die Fußballabteilung des SV Mergelstetten ganz nebenbei zur Integration von Kindern mit Migrationshintergrund beiträgt.