Warum im Heidenheimer Gemeinderat über Kündigungen gestritten wurde
Welche Regeln gelten, wenn Eltern ihr Kind in eine der städtischen Kitas schicken wollen? Darüber diskutierte der Gemeinderat, nachdem sich zuvor schon der für Kultur, Soziales, Schulen und Sport zuständige Ausschuss damit befasst hatte. Ergebnis: Alle Beteiligten stellen grundsätzlich das Kindeswohl in den Mittelpunkt ihrer Argumentation. In der Herangehensweise spiegelt sich dann aber eine unterschiedliche Weltsicht wider.
Besonders deutlich wurde das bei der Frage, wann die Stadt den Betreuungsvertrag fristlos kündigen kann. Aus ihrer Sicht ist das laut David Mittner, dem Leiter des Geschäftsbereichs Kinder, Jugend und Familie, dann der Fall, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Dazu zählen unter anderem: mehrfaches unentschuldigtes Fernbleiben des Kindes von mehr als zehn Tagen innerhalb eines Kindergartenjahres; Zahlungsrückstand von mindestens drei Monatsbeiträgen; ein Verhalten des Kindes, das die Möglichkeiten des pädagogischen Auftrags der Kita übersteigt und zu einer Belästigung, vielleicht sogar Gefährdung anderer Kinder oder des Personals führt; die Weigerung der Eltern, bei seelischen, körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen des Kindes Unterstützungsangebote in Anspruch zu nehmen; eine Verhinderung der Erziehungspartnerschaft durch das Verhalten der Eltern.
Verwaltung will Belastung der Beschäftigten begrenzen
Mittner verwies einleitend darauf, „dass wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schützen müssen, von denen viele an der Belastungsgrenze sind“. Tanja Weiße, Sprecherin der SPD/Linke-Fraktion, nannte die Argumente der Verwaltung nachvollziehbar. Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz rechtfertige nicht, dass Betreuer alles hinnehmen müssten. Allerdings appellierte sie, „nicht so streng zu sein“, weil sich hinter jedem einzelnen Punkt weniger die Unterscheidung in richtig oder falsch verberge, sondern vielmehr die Frage: „Welche Haltung habe ich.“
Konkret forderte sie, das unentschuldigte Fehlen auf einen zusammenhängenden Zeitraum von mehr als vier Wochen zu beziehen, auf das Missachten von Pflichten und bei Zahlungsrückständen zunächst mit einer schriftlichen Abmahnung zu reagieren, sowie bei erheblichen Auffassungsunterschieden in Erziehungsfragen vor der fristlosen Kündigung ein Einigungsgespräch anzuberaumen. Weiße empfand die seitens der Stadt formulierten Kündigungsgründe als zu ungenau und gab zu bedenken: „Wenn diese Kinder und Familien die Institution Kindergarten verlassen müssen, gibt es keine öffentliche Instanz mehr, die einen Blick auf sie hat“.
Stadträtin Jutta Dorsch befürchtet Sozialhilfekarrieren
Weißes Fraktionskollegin Jutta Dorsch plädierte dafür, „anstelle von Kündigungen nach individuellen Lösungen zu suchen“. Ihre Befürchtung: Fielen Kinder aus dem Betreuungssystem heraus, „dann könnten sich Jugendhilfe- und Sozialhilfekarrieren abzeichnen“.
Grünen-Fraktionschefin Anamari Filipovic bekannte, große Probleme mit dem neunseitigen Entwurf der Verwaltung zu haben. Sie sah darin einen „Freibrief für den Kindergartenträger, tun und lassen zu können, was er will. Das können wir nicht mittragen". Gleichzeitig kritisierte sie aus ihrer Sicht unklare Formulierungen. So stellte sie die Frage, wer definiere, wann das Verhalten eines Kindes die Ordnung störe.
Bürgermeisterin Simone Maiwald beklagt Misstrauen
„Ich bin entsetzt, dass so viel Misstrauen aus Ihnen spricht“, brach es aus Bürgermeisterin Simone Maiwald heraus. Das pädagogische Personal der Stadt habe jahrzehntelang gezeigt, dass man ihm vertrauen könne. Die geschilderten Schritte mache es sich niemals leicht, „aber es braucht ein Instrumentarium, um gegebenenfalls Druck ausüben zu können, wenn Kinder eine andere Form der Betreuung benötigen“.
Elisabeth Kömm-Häfner (Grüne) sprach von einem praxistauglichen Kompromiss, während Ralf Willuth (Freie Wähler) ebenfalls Verständnis für die Haltung der Verwaltung signalisierte. Betreuungsplätze seien zu einem hohen Gut geworden, andererseits würden manche Kinder aber nur sporadisch in die Kita gebracht.
Kindeswohl soll in Präambel aufgenommen werden
Mittner sicherte zu, den Begriff des Kindeswohls – wie von Claus Behrendt (Grüne) gewünscht – in die Präambel aufzunehmen. Berücksichtigung finden solle auch ein Gesprächsangebot an die Eltern, wobei bisher schon jeder der wenigen Kündigungen Kontaktversuche vorausgingen. „Die Androhung einer Kündigung soll zunächst einmal eine Signalwirkung haben“, so Mittner.
Der Vorschlag von Oberbürgermeister Michael Salomo, aufgrund der widerstreitenden Bewertungen die Richtlinien in der vorliegenden Form zu verabschieden und nach einem Jahr über die Erfahrungen zu berichten, stieß auf kein Gehör. Daraufhin platzte Michael Rieck (CDU/FDP-Fraktion) der Kragen. „Bitte hört auf, das Personal des Rathauses zu schikanieren“, rief er, „es ist eine Frechheit, jetzt hier so lange an diesem Thema rumzumachen, nachdem schon im Ausschuss ganz ausführlich diskutiert und eine mehrheitliche Empfehlung an den Gemeinderat formuliert wurde.“
Nicht alltäglich: Buhrufe im Gemeinderat
Unruhe, Buhrufe und Applaus mischten sich, ehe Matthias Heisler, Leiter des Fachbereichs Familie, Bildung und Sport, dazu riet, das Thema von der Tagesordnung zu nehmen und aus rechtlichen Gründen nicht über Weißes Antrag zu befinden, da dieser auf die Schnelle nicht bewertet werden könne. Dieser Ratschlag fand ebenfalls keine Mehrheit, woraufhin Salomo über die schlussendlich mit deutlicher Mehrheit abgelehnte SPD/Linke-Variante abstimmen ließ.
Auch der Rathauschef votierte nicht dafür, „weil ich das in der Kürze der Zeit jetzt gar nicht prüfen konnte“. Abgesegnet wurde stattdessen nach einer teils turbulenten Sitzung bei 21 Ja- und fünf Neinstimmen sowie fünf Enthaltungen der 16 Paragraphen umfassende Katalog des Rathauses.
Wechsel erst nach einem Jahr
Beschlossen wurde auch ein Passus, demzufolge ein Wechsel der Kindertageseinrichtung in der Regel erst ein Jahr nach Aufnahme möglich ist, weil sich die familiäre Situation geändert hat oder ein Umzug zu einer mehr als 30-minütigen Fahrtdauer mit öffentlichen Verkehrsmitteln führt. In Härtefällen, versicherte Geschäftsbereichsleiter David Mittner, gebe es jedoch immer Raum für Abwägungen.