Warum Julian Nida-Rümelin bei der IHK Ostwürttemberg für Moral in der Wirtschaft warb
Schwierige Zeiten sagte Präsident Markus Maier der Wirtschaft beim Jahresempfang der Industrie- und Handelskammer (IHK) am Mittwochabend voraus: Zwar habe sich die Wirtschaft in Ostwürttemberg trotz ihrer großen Exportabhängigkeit in den vergangenen Monaten als relativ robust erwiesen und im Wettbewerb gut behauptet, aktuell sei aber eine tiefsitzende Verunsicherung zu spüren. Eine Rezession, also ein Rückgang der Wirtschaftsleistung, sei momentan das wahrscheinlichste Szenario, so Maier. Allerdings nur fürs aktuelle Jahr, bereits 2024 dürfte sich das Blatt wieder wenden, meinte der IHK-Präsident.
Wasserstoff für eine klimaneutrale Zukunft
Der Transformationsprozess sei in der regionalen Wirtschaft in vollem Gange, die Dynamik habe sich sogar nochmals erhöht. Veränderung sind laut Maier in allen betrieblichen Bereichen zu spüren. Die Megatrends Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demographie würden höchste Anforderungen an die Anpassungs- und Veränderungsbereitschaft in den Unternehmen stellen. Maier ging in diesem Zusammenhang auf die Initiative „Zukunft Ostwürttemberg“ ein, für die sich ein breites Bündnis an Organisationen und Kommunen zusammengefunden hat. Ostwürttemberg sei Vorreiter für eine Nutzung von Wasserstoff. Es wurde der Bedarf für Wasserstoff analysiert, ein Positionspapier erstellt und mit einer schlüssigen Strategie verknüpft, „ein wesentliches Element, um die Region in eine klimaneutrale Zukunft zu führen“, so Maier.
Auch das Standortmarketing und die Standortentwicklung kommen im Masterplan für die Region Ostwürttemberg vor. Diesen habe der 1. FC Heidenheim durch den Aufstieg in die Bundesliga „einen Riesenschub verliehen“, sagte der IHK-Präsident. Keine noch so gute Marketingagentur hätte diese Erfolgsgeschichte besser schreiben können, so Maier. Positiv bewertet wurde von ihm auch die Situation bei der Ausbildung in IHK-Berufen, die 2022 mit knapp 1800 Auszubildenden stark zugenommen habe. Im aktuellen Jahr könne man mit 1275 neuen Ausbildungsverhältnissen bereits jetzt ein Plus zum Vorjahr von 18,5 Prozent verzeichnen.
Festredner war Julian Nida-Rümelin
Als Festredner hatte die IHK Ostwürttemberg Prof. Julian Nida-Rümelin eingeladen. Der 68-Jährige war bis 2020 Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie und politische Theorie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Bundesweit bekannt wurde der Philosophieprofessor allerdings als Kulturstaatsminister der Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder in den Jahren 2001 und 2002. Er freute sich, vor der „Crème de la Crème Ostwürttembergs“ sprechen zu dürfen. In seinem Verständnis der Aufgabe, die die Philosophie in einer Gesellschaft übernehmen sollte, berief er sich auf antike Philosophen wie Aristoteles oder Platon. Diese hätten die Philosophie als Mittel benutzt, um den Menschen Orientierung im Leben zu geben.
Aus dieser Perspektive betrachtete er die Zeitenwende, die durch den Ukrainekrieg eingetreten und von Bundeskanzler Olaf Scholz als solche benannt worden ist. Angesichts der vielen beim IHK-Jahresempfang anwesenden Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft fokussierte der rhetorisch versierte Redner sich auf die Frage, ob die Globalisierung nun aus moralischen Gründen rückabgewickelt werden müsse. „Mit wem können wir dann noch Handel treiben?“, fragte Nida-Rümelin, denn tatsächlich sei die Demokratie in vielen Staaten auf dem Rückzug. Als Beispiele dafür nannte er Russland und die Türkei. Die Leidtragenden seien die Staaten des globalen Südens, die Vorteile der Armutsbekämpfung durch globalen Handel seien bereits zurückgegangen. „Diese Dynamiken würden wir zum Erliegen bringen, wenn wir nur noch mit demokratischen Staaten handeln würden“, so der Festredner.
Märkte sind nicht moralfrei
Schon der amerikanische Präsident Theodore Roosevelt habe erkannt, dass eine interdependente Weltwirtschaft die Wahrscheinlichkeit von Kriegen verringere, da sie die Kosten für kriegerische Auseinandersetzungen nach oben treibe. „Die Deglobalisierung ist die falsche Strategie“, ist sich Nida-Rümelin sicher. Er betonte aber auch, dass die Märkte nicht moralfrei seien: „Sie basieren auf Vertrauen, Kommunikation und Wahrhaftigkeit.“ Er appellierte an die Anwesenden, die moralische Dimension der Wirtschaft nicht zu unterschätzen. Europa darf sich laut Nida-Rümelin nicht in die Dynamik der Ideologisierung hineintreiben lassen, sondern müsse als kooperative Macht gegenüber dem globalen Süden auftreten, um nicht zwischen den Großmächten USA und China zerrieben zu werden.
Nach dem interessanten Vortrag blieb für IHK-Hauptgeschäftsführer Thilo Rentschler die Aufgabe, noch einmal die Bedeutung der Zukunftsoffensive Ostwürttemberg vor dem Hintergrund der globalen Problematik zu unterstreichen: „Es geht darum, sich hier regional und demokratisch legitimiert einzubringen, eigene Lösungsvorschläge zu machen, Alternativen aufzuzeigen und letztlich Verantwortung für unser Gemeinwesen zu übernehmen.“ Anschließend gab es für die Gäste nicht nur Essen und Getränke im Foyer der IHK, sondern auch ausreichend Gelegenheit, sich auszutauschen und neue Kontakte zu knüpfen.