Aktuell sind Landwirte, in Deutschland und im Landkreis Heidenheim, mit ihren Maschinen auf Grünflächen unterwegs, um Heu und Silofutter zu mähen oder Dünger auszubringen. So weit, so erwartbar. Im vergangenen Winter bot sich dagegen ein ungewöhnliches Bild: Bäuerinnen und Bauern fuhren mit Traktoren durch die Innenstädte, blockierten Straßen und protestierten lautstark. Grund war unter anderem die von der Bundesregierung geplante Kürzung der Unterstützung beim Agrardiesel.
Die Bundesregierung lenkte daraufhin schnell ein und versprach, den Bauern entgegenzukommen. In den darauffolgenden Monaten wurden Vorhaben fallen gelassen, Gesetze aufgeschoben und finanzielle Entlastungen beschlossen. Hat das die Stimmung bei den Landwirten verändert? Hubert Kucher, Kreisvorsitzender des Bauernverbands Ostalb-Heidenheim, antwortet mit einem klaren „Nein“. Er denkt, dass sein Berufsstand von der Politik immer noch nicht richtig ernst genommen wird. „Es ist eine Frechheit, dass man so mit uns umgeht“, sagt Kucher wütend.
Dabei ist die Liste der Zugeständnisse lang: Zuerst wurde statt einer sofortigen eine schrittweise Abschaffung der Rückerstattungen beim Agrardiesel beschlossen. Außerdem sollen landwirtschaftliche Fahrzeuge weiterhin steuerfrei bleiben. Das Landwirtschaftsministerium beschäftigt sich mit Möglichkeiten für den Bürokratieabbau. Zudem verschob die Ampelkoalition ein neues Düngegesetz und die Einführung der bei Landwirten unbeliebten Stoffstrombilanz.
Auch die EU muss handeln
Weil Bauern nicht nur in Deutschland demonstrieren, sondern auch in anderen europäischen Ländern, zum Beispiel in den Niederlanden oder in Polen, sah sich auch die Europäische Union zum Handeln gezwungen. Die im „Green Deal“ enthaltene Forderung, dass Landwirte vier Prozent ihrer Flächen zum Wohle der Artenvielfalt stilllegen, wurde fallengelassen und der Vorschlag für ein neues Pestizidgesetz zurückgezogen.
Ende Juni hatten sich die Bundestagsfraktionen der Ampel-Parteien dann auf ein neues Agrarpaket geeinigt. Es enthält die Möglichkeit der „steuerlichen Gewinnglättung“, bei der statt des tatsächlichen Jahresgewinnes ein durchschnittlicher Gewinn aus einem dreijährigen Zeitraum besteuert wird. Landwirte sollen so gute mit schlechten Jahren verrechnen können. Der Staat wird dadurch über einen Dreijahreszeitraum voraussichtlich 150 Millionen Euro weniger Steuern einnehmen. Zusätzlich sollen die Bauern durch eine Gesetzesänderung gegenüber den Händlern, an die sie ihre Produkte abgeben, gestärkt werden. Außerdem soll es mehr Geld für die Weidetierhaltung auf Wiesen geben.
Kuchers Kritik an all dem folgt zwei Hauptrichtungen: Die Zugeständnisse machen entweder zu wenig aus, oder sie treffen nicht den Kern des Problems. „Um das mal anschaulich zu sagen: Man nimmt uns 500 Millionen weg und gibt uns davon zehn Prozent zurück“, sagt der Kreisvorsitzende in Bezug auf Agrardiesel und Gewinnglättung. Dabei seien die Subventionen aus Brüssel ohnehin schon seit Jahren zu niedrig. Das sei nicht vereinbar mit dem Wunsch der Regierungen nach möglichst billigen Lebensmitteln für die Bevölkerung.
Furcht vor mehr Bürokratie
Vom versprochenen Bürokratieabbau hat Kucher noch nichts mitbekommen: „Das Gegenteil ist doch der Fall. Es geht ja gerade so weiter!“, schimpft er. Als Beispiel führt er die zuletzt verschobene Verordnung zur Stoffstrombilanz an, die Landwirte dazu zwingen würde, genau zu dokumentieren, welche Düngemittel wann und wo in welcher Menge ausgebracht werden. Kucher findet die Verordnung unnötig: „Es funktioniert doch auch ohne, selbst im Landkreis Heidenheim, der zu großen Teilen aus Wasserschutzgebieten besteht.“
Was müsste dann noch passieren, bis die Bauern zufrieden sind? Kucher wünscht sich „keine neue Bürokratie mehr“, dazu mehr Planungssicherheit für Landwirte und ein Ende der Kritik an der Tierhaltung. Und das, obwohl viele der neuen Gesetze und Vorschriften das Artensterben aufhalten und den Klimawandel bremsen sollen. Themen, die die Landwirte direkt betreffen, weil sie ausschlaggebend für die Erträge ihrer Flächen sind. Das erkennt auch Huber an: „Der Klimawandel trifft uns am härtesten, aber wir sind nicht schuld daran.“
Geldprobleme hindern Fortschritt
Das Problem sei stattdessen der hohe Lebensstandard, der in Deutschland vorherrsche, mit Symptomen wie den vielen Flugreisen und Kreuzfahrten, die die Bundesbürger machen würden. Der Ackerbau dagegen binde Kohlenstoffdioxid und produziere Sauerstoff. Vielen Landwirte würden laut Huber gerne noch mehr gegen den Klimawandel machen, aber „es muss sich für uns rechnen – selbst bezahlen können wir es nicht“.
Obwohl an manchen Stellen offensichtlich Geld fehlt, fällt die Landwirtschaft im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweig eher durch die vielfältigen Subventionsmöglichkeiten auf. Die Industrie und der Handel wurden ebenfalls mit Regeln für den Umweltschutz und mit Bürokratieaufwand belegt, zurückgenommen werden Vorgaben dort weitaus seltener.
Warum braucht gerade die Landwirtschaft in den Augen vieler Bauern eine Sonderbehandlung? „Weil unsere Betriebe von Einzelpersonen oder Familien geführt werden“, sagt Huber, „weil wir keine Geldpolster mehr haben, weil wir für konstante Lebensmittelpreise sorgen und weil das Maß des Erträglichen voll ist.“ Wenn sich an diesem Empfinden nichts ändert, könnte es zu weiteren Protesten kommen, zumindest hatte Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands, das vor kurzem angedeutet.