Nackte Zahlen, klare Daten, harte Fakten: Pünktlich zum anstehenden Jahreswechsel präsentierte der Streaming-Dienst Spotify kürzlich seinen Nutzerinnen und Nutzern deren ganz persönlichen Jahresrückblick in Sachen Musikverhalten. Parallel und weitaus geräuschloser blickt Spotify bereits ins Jahr 2024. Was sich dort anbahnt, sorgt bei Musikerinnen und Musikern derzeit für Empören. Der schwedische Streaming-Gigant hat angekündigt, sein Vergütungsmodell für Musikinterpreten zu überarbeiten.
Konkret bedeutet das: Ab 1. Januar muss ein Titel mindestens 1.000 Mal pro Jahr von einer bestimmten Zahl unterschiedlicher Nutzer gestreamt werden, ehe Spotify überhaupt anfängt, Geld auszuzahlen. Welt- und deutschlandweit wehren sich Musiker gegen diese Neuregelung. Zu ihnen gehören auch die Sängerin Lia Reyna aus Königsbronn sowie die Gerstetter Musiker der Band „Erpfenbrass“.
„Ein hässliches Monopol“ urteilt „Erpfenbrass“-Mitglied Sebastian Jäger über die derzeitige Position von Spotify. Besonders kleine und noch unbekannte Künstler würden unter den Vergütungsänderungen leiden. Denn ihre Songs werden zumindest zu Beginn der Karriere weit weniger häufig gestreamt, als die großer Weltstars. Die 1000-Streams-Marke zu knacken, fällt ihnen freilich deutlich schwerer. Im unglücklichsten Fall kann ein Musiker beispielsweise exakt 999 Streams vorweisen, erhält dafür letztlich aber keinen Cent.
Rein um den finanziellen Verlust geht es in dieser Debatte laut Jäger jedoch nicht. Durch das neue Vergütungsmodell falle vielen kleinen Musikern und Bands kein nennenswertes Einkommen weg. „Manche unserer Songs wurden bislang etwa 200.000 Mal gestreamt. Insgesamt macht das rund 100 Euro Vergütung im Jahr aus“, berichtet Jäger. Sein Bruder und Band-Kollege Jan Jäger ergänzt: „Letztlich sind das Peanuts.“ Spotify bewege sich immer mehr in eine Richtung, in der nur noch Hobbymusiker und die ganz Großen von ihrer Präsenz bei dem Streaming-Dienst profitieren würden. „Alle dazwischen bleiben auf der Strecke.“
Ähnlich blickt auch Singer-Songwriterin Lia Reyna auf die Situation. Die Königsbronnerin hat eine Petition von Pro Musik, dem Verband freier Musikschaffender, unterschrieben, die den sofortigen Stopp der Vergütungsänderungen bei Spotify fordert. „Ich selbst wäre von diesem neuen Modell ebenfalls betroffen“, erzählt Reyna. „Bisher hat man von Spotify eh nur wahnsinnig wenig Geld bekommen. Jetzt gibt es praktisch gar nichts mehr, zumindest für kleine Künstler.“
Anders als Jägers sieht sie in dem neuen Modell durchaus einen finanziellen Verlust. Über die Jahre würde sich durch Streams ein gewisser Betrag ansammeln, wenngleich Lia Reyna durch Klicks auf ihren Youtube-Videos deutlich mehr verdiene als bei Spotify. Wie viel Geld das Schweden-Unternehmen pro Stream auszahlt, variiert von Land zu Land. In Deutschland erhalten Musiker im Schnitt 0,0033 Euro für einen Stream, für 1.000 Streams gibt es also rund 3,30 Euro.
Rund 40 Millionen Euro wird Spotify laut eigener Aussage durch das neue Vergütungsmodell jährlich einsparen. Streaming-Einnahmen kommen bei Spotify in einen großen Topf, das Geld wird unter denen verteilt, die Anspruch auf Vergütung haben – in erster Linie also künftig große Acts.
Primär, und da sind sich Lia Reyna und die beiden „Erpfenbrass“-Musiker einig, mangele es Spotify schlichtweg an Wertschätzung gegenüber kleineren Künstlern. „Eigentlich handelt Spotify hier ja dumm. Das Unternehmen will ja, dass man seine Musik bei ihm zum Streamen anbietet“, findet Sebastian Jäger, der die Petition von Pro Musik ebenfalls unterschrieben hat. Dass diese Spotify zum Umdenken bewegt, halten alle drei Musikschaffenden für eher unwahrscheinlich, auch wenn die Hoffnung zuletzt sterbe. Rund 48.500 der angestrebten 50.000 Unterschriften konnte die Petition wenige Tage vor Weihnachten verzeichnen.
Sollte das neue Auszahlungsmodell nicht nur greifen, sondern auch von Dauer sein, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob es für Musiker nicht sinnvoller wäre, ihre Diskografie gänzlich aus Spotify zu entfernen. „Damit schneidet man sich ins eigene Fleisch“, findet Lia Reyna. „Man will ja sichtbar sein.“ Auch Jan Jäger erklärt, selbst Spotify-Nutzer zu sein, der CD-Markt sei schon lange tot. Spotify ist eindeutig Streaming-Marktführer, auch wenn andere Dienste wie etwa Napster, Apple Music oder Amazon Music Künstler etwas höhere Tantiemen ausschütten.
„In der Blasmusikszene verkaufen manche Musiker ihr neustes Album zunächst als Downloadlink, bevor es später bei den Streaming-Diensten verfügbar ist“, erläutert Sebastian Jäger. In Ideen wie diesen sehe er eine Tendenz, neue Formate zur Vermarktung der eigenen Musik zu finden. Für wichtig hält Jäger es, dass Musiker den Mund aufmachen und die Politik auf das Dilemma aufmerksam machen.
Musikproduzent Christian Vaida über Spotify
Auch der Musikproduzent Christian Vaida aus Heidenheim blickt kritisch auf das neue Vergütungsmodell von Spotify: „Die Schere zwischen großen und kleinen Musikern wird dadurch noch mehr geweitet.“ Vaida selbst ist nicht mit eigenen Songs auf Spotify vertreten und erhält auch keine Einnahmen durch von ihm produzierte Musik, die auf Spotify gestreamt wird. Die gehen laut dem Produzenten an die Rechteinhaber, also zumeist an die Musiker selbst und das zugehörige Label.
Parallelen sieht Vaida in der aktuellen Streaming-Entwicklung und dem sogenannten Pro-Verfahren, das 1998 von der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte, kurz GEMA, eingeführt wurde. Durch das Pro-Verfahren waren in erster Linie Live-Musiker und deren Aufführungsrechte betroffen, damals auch Vaida selbst als Musiker. Kritiker sahen in dem Verfahren eine Umverteilung „von unten nach oben“, denn vereinfacht gesagt gingen dadurch GEMA-Einnahmen von kleinen Acts praktisch auf null herunter. Profitiert haben hingegen die Großen.
Die Petition von Pro Musik findet sich auf der Plattform change.org unter dem Titel „Statement zu angekündigten Vergütungsänderungen bei Spotify: Wir fordern sofortigen Stopp!“.