Warum Robert Balci Musik wie Leistungssport betreibt
Robert Balci lebt Musik. Das allein ist noch ein Satz, den jeder Musikfreund gerne über sich hören würde. Bei Balci wird es aber augenfällig: Wenn der Heidenheimer von seiner Musik erzählt, greift er mit der Linken in der Luft die wildesten Akkorde, trommelt im nächsten Moment auf der Tischplatte und springt in den Themen hin und her, um am Ende wieder zur Ausgangsfrage zurückzufinden. „Ich höre sogar im Snackautomaten bei der Arbeit Musik“, sagt er und summt vor, welches Geräusch der Apparat macht, wenn er Nüsse oder Schokoriegel auswirft. Wenn Balci morgens die Augen öffnet, ist die Musik schon da.
Wer sich in der Region über „Enter Sandman“ hinaus für Metal interessiert, wird schon einmal über den Namen Robert Balci gestolpert sein. Seit Ende der 1980er-Jahre ist der heute 52-Jährige in der Szene aktiv, hat in etlichen Bands gespielt und mindestens so viele gegründet. Seit 2014 führt er mit „Enslave the Chain“ eine Formation an, die technisch sehr anspruchsvollen Power-Metal spielt. Wenn er davon erzählt, spürt man, dass diese Band endlich seinem Ideal nahekommt: Musik auf hohem technischen Niveau, bei der die Komplexität aber nicht zum Selbstzweck wird. Es muss immer noch rocken. „Ich bin eher Trainer als Spieler“, sagt Balci über sich. Er gibt zu, dass er seine Mitmusiker antreibt, sie permanent zu Höchstleistungen anstachelt. In einem Song den einfacheren Weg zu gehen, gibt es für ihn nicht. Wenn eine komplexe Wendung nicht gleich funktioniert, müsse man eben so lange üben, bis es klappt. Er übe jeden Tag viele Stunden, sagt er.
1990 war Balci einer der besten Drummer in Heidenheim…
Das erste Foto Balcis auf einem Plattencover fand sich 1990 auf der Rückseite von „Just for our sake…?“, dem zweiten Album der Heidenheimer Thrash-Band „Death In Action“. Balci war bei der Aufnahme noch keine Zwanzig, was er aber eintrommelte, setzte Maßstäbe. Sein Spiel klang locker, zugleich anspruchsvoll und variantenreich. Und er schien seine Kollegen vor sich her zu treiben, wie es ein glänzender Thrash-Schlagzeuger immer tun sollte.
Ein überaus talentierter Drummer, der später zu einem herausragenden Gitarristen wird – ein ungewöhnlicher Weg. Als Kind sah er den Schlagzeuger der Klaus-Lage-Band im Fernsehen, um den Jungen war es geschehen. Weil die Familie aber in einer Wohnung lebte, brauchte er Überredungskunst, bis er sein erstes Schlagzeug bekam. „Ich konnte sofort einen Vier-Viertel-Takt spielen“, erzählt er. Das Trommeln flog ihm förmlich zu, mit dem Heidenheimer Ensemble „Vibraslap“ kam er bis zu einem Bundeswettbewerb. „Ich war damals Hektiker pur“, sagt er, „mir ging es nur um schneller, besser, weiter.“
Vielleicht spürte er, dass er am Schlagzeug seine eigene Kreativität limitieren würde. Balci ging noch mit „Death In Action“ auf Tour, am 8. Juli 1990, Deutschland wurde an diesem Tag Fußballweltmeister, verkaufte er aber sein Schlagzeug. Tags darauf fing er bei Edelmann zu arbeiten an. Da hatte er schon ein paar Jahre Akustikgitarre gespielt, jetzt kam die E-Gitarre dazu, Balci übte in jeder freien Minute. Er erzählt, wie einmal eine Freundin zu Besuch kam und er Stunde um Stunde Gitarre spielte – bis sie wieder ging. Er beteuert, das sei ihm bis heute peinlich.
… dann stieg er auf die Gitarre um
„Ich habe zwei Jahre wie verrückt geübt“, erinnert er sich. An damals schon großen Bands wie „Iron Maiden“ oder „Metallica“ orientierte er sich gar nicht erst, sein Idol war Yngwie Malmsteen, ein in den USA lebender Schwede, der seit Mitte der Achtziger Standards in neoklassischer Flitzefingerei setzte.
Eine mögliche Erklärung für Balcis musikalischen Ehrgeiz könnte sein Hintergrund sein – das Gastarbeiterkind, das immer besser sein muss als die anderen. Balci winkt ab: „Ich bin ein Heidenheimer Schwabe, ich habe mich auch nicht integriert, ich wollte einfach so sein.“
Seine Eltern kamen als Armenier aus der Türkei nach Deutschland. Sein Vater arbeitete über Jahrzehnte bei Bosch in Giengen. Dass er den Sohn Robert taufen ließ, hängt mit der Dankbarkeit für Robert Bosch zusammen. An seinem Lebensende verfügte Avedis Balci sogar, dass der Dank an den Arbeitgeber in seiner Todesanzeige stehen sollte. Dennoch willigte der fleißige Vater ein, dass Sohn Robert nach der zehnten Klasse („Ich war der einzige Kanake auf dem HG“) ein Jahr der Musik widmete, bevor er zu Edelmann ging. „Musik war die Flucht für mich“, sagte Balci im Rückblick. Seine Eltern, aber auch sein Bruder, der das Heidenheimer Obsthaus betrieb, hätten immer hart gearbeitet. Dass er ein jugendlicher Bohemien war, ist nicht anzunehmen. Balci arbeitet auch als Musiker wie besessen.
Mit „Stormwitch“ wäre Balci beinahe Profimusiker geworden
1992, seit zwei Jahren konzentrierte er sich da auf die Gitarre, bekam Balci die Gelegenheit, bei „Stormwitch“ einzusteigen. „Ich war eigentlich zu jung für die Band“, sagt er heute. Dennoch schnupperte erstmals in die Welt der Profimusiker hinein. „Um Berufsmusiker zu werden, hätte ich aber die Lehre schmeißen müssen“, sagt er. Davor habe ihn aber das vom Vater geerbte Streben nach Sicherheit abgehalten.
Bei Edelmann arbeitet er bis heute als Offsetdrucker im Dreischichtbetrieb, bildet auch angehende Drucker aus. Da sei er genauso streng wie im Proberaum mit seiner Band, sagt er und lacht. Bei „Stormwitch“ blieb er dagegen nur für fünf Konzerte, damals begann in der Band bereits die Zeit der endlosen Besetzungswechsel. Ein paar Mal holte ihn die Band für ein paar Konzerte zurück, etwas Festes wurde daraus nicht mehr.
Nach dem Ausstieg gründete er 1994 die Band „Screaming“ mit Bassist Robert D’Amico, der ihm seither durch mehrere Formationen folgte. Später zogen sie „Defending the Faith“ hoch, eine Band, die fast wahnwitzig schnellen Power-Metal spielte. Weil sie lange Zeit keinen Drummer fanden, der das verrückte Material spielen konnte, übernahm auch live ein Computer diesen Job. Mit dieser Band erreichte er die Bühne des „Summer Breeze“-Festivals, die größte Bühne seiner Karriere. Nach dem Ende von „Defending the Faith“ sei er in ein Loch gefallen. Ein Jahr lang staubte die Gitarre im Keller ein.
Mit „Enslave the Chain“ spürte Balci den künstlerischen Auftrieb wieder. Mit Tobias Schwenk hat die Band mittlerweile einen Sänger an Bord, der sich auch vor herausfordernden Gesanglinien à la „Nevermore“ oder frühen „Fates Warning“ nicht scheut. Die 2022 veröffentlichte EP mit fünf Songs erhielt durch die Bank gute Kritiken. Ein Vollblutmusiker wie Balci müsste da doch glücklich sein, oder? Er zögert einen Moment. Nein, so richtig glücklich sei er nicht. Er wäre mit seiner Band gerne noch eine Stufe höher. „Mitpissen“ nennt er das, den eigenen Bandnamen auf den Plakaten der großen Metal-Festivals sehen. „Ich will aber auch keine Angst haben müssen“, fügt er hinzu. Ein Leben als Profimusiker wäre unberechenbar. Und: „Wer sein Hobby zum Beruf macht, hat kein Hobby mehr.“ Dieses Spannungsfeld muss er aushalten, auf die Gefahr hin, dass seine Musik nur einer Schar Eingeweihter ein Begriff bleiben wird.
„Enslave the Chain“ tritt bei der Heidenheimer Musiknacht am „Populär“ auf. Geplant ist ein volles, 100-minütiges Programm. Außerdem ist die Band Ende Juni beim mittlerweile praktisch ausverkauften „Rock am Härtsfeldsee“ zu erleben.