Ungeplante und ungewollte Schwangerschaften gibt es im Lebenslauf vieler Frauen. Gesprochen wird aber selten über sie, vor allem dann nicht, wenn ein Schwangerschaftsabbruch erfolgt. Das Thema ist nach wie vor ein gesellschaftliches Tabu, für viele Frauen mit Schuldgefühlen verbunden, möglicherweise auch mit der Angst vor Angriffen und Verurteilung. Dabei gibt es viele Betroffene: Rund 200 Beratungsgespräche bei Schwangerschaftskonflikten führen die Mitarbeiterinnen der Awo-Schwangerenberatungsstelle pro Jahr. Wie viele Abbrüche danach folgen, wird statistisch nicht erfasst, man kann aber von einer hohen Prozentzahl ausgehen.
Die Beratung ist die zwingende Voraussetzung dafür, dass ein Schwangerschaftsabbruch straffrei bleibt – es sei denn, es liegen medizinische Gründe dafür vor. Denn nach wie vor gilt Paragraph 218, der sich seit 1871 im deutschen Strafgesetzbuch findet. Er besagt, dass ein Schwangerschaftsabbruch „mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe“ geahndet wird. 1995 wurde der Paragraph 218 a ergänzt, der den Abbruch straffrei macht, wenn er innerhalb der ersten zwölf Wochen erfolgt, von einem Arzt vorgenommen wird und sich die Schwangere mindestens drei Tage vor dem Eingriff von einer staatlich anerkannten Beratungsstelle hat beraten lassen.
Viele negative Auswirkungen
Die einzige solche Beratungsstelle im Landkreis Heidenheim ist die der Awo an der Heidenheimer Bergstraße. Die gesetzliche Regelung ist für Schwangerenberaterin Ulla Gesell nicht richtig: „Der Paragraph 218 führt zu einer Stigmatisierung der Frauen und hat viele negative Auswirkungen“, sagt sie in Übereinstimmung mit ihren Kolleginnen. „Das muss aus dem Strafgesetzbuch raus“, so Gesell. Die Selbstbestimmung über die Reproduktion ist für die Beraterin ein Menschenrecht. Im Koalitionsvertrag der Regierung von SPD, Grünen und FDP steht eine Neuregelung dieses Gesetzes, umgesetzt ist sie aber noch nicht. Vom 21. bis 28. September findet eine Aktionswoche zum „Safe Abortion Day“ (Tag der sicheren Abtreibung) statt, der zum Ziel hat, die Koalition zur Umsetzung des Vorhabens zu bewegen.
Was für eine ersatzlose Streichung des Paragraphen 218 spricht, erläutern die Heidenheimer Fachfrauen von der Beratungsstelle: „Stigmatisiert werden nicht nur die Frauen, sondern auch die Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche vornehmen“, sagt Schwangerenberaterin Claudia Müller. Dies führe dazu, dass viele Ärzte und Kliniken die Eingriffe gar nicht vornehmen, Frauen mitunter einen weiten Weg auf sich nehmen müssen und sich die Abbrüche auf spezialisierte Praxen und Kliniken konzentrieren. Dadurch sei die Privatsphäre der Frauen nicht mehr geschützt: „Man weiß genau, warum die Frauen dort reingehen“, so Müller. Außerdem sei der Schwangerschaftsabbruch nicht in der medizinischen Ausbildung verankert und die Krankenkassen übernehmen auch nicht die Kosten dafür.
Keine leichte Entscheidung
Die Frauen, die zur Beratung kommen, stammen aus allen Bevölkerungsschichten und Kulturkreisen. Oftmals haben sie bereits Kinder, eher selten seien die ganz jungen Schwangeren, berichten die Beraterinnen. „Wir weisen auf alle Möglichkeiten der Unterstützung hin, beispielsweise eine vertrauliche Geburt, frühe Hilfen, eine Familienhebamme oder finanzielle Unterstützung“, sagt Uta Gesell. „Wir wollen die Frauen zu einer guten Entscheidung begleiten, mit der sie danach auch leben können“, so die erfahrene Beraterin. Ein Dilemma sei es aber in jedem Fall: „Keine Frau kommt leichtfertig in diese Situation, und niemandem fällt die Entscheidung für einen Abbruch leicht“, erzählt Edith Heyer: „Hier wird viel geweint.“
Belastend finden die Schwangerenberaterinnen ihre Arbeit oft dann, wenn es um Pränataldiagnostik geht und Schädigungen beim Fötus festgestellt werden: „Das ist meist einfach nur tragisch“, sagt Uta Gesell. Claudia Müller sieht ihre Aufgabe in der Unterstützung der Frauen und damit den positiven Aspekt der Arbeit. Über belastende Situationen könne man im Team oder bei der Supervision sprechen. „Die Entscheidung trifft am Ende immer die Frau“, so Edith Heyer.
Schwierig werden die Beratungsgespräche dann, wenn die sprachliche Verständigung nicht gut klappt. Oft werde dann eine Dolmetscherin hinzugezogen, schwierig bleibe es aber, den kulturellen Hintergrund zu verstehen – zumal bei einem Thema, das generell tabuisiert werde. „Wichtig ist uns immer ein respektvoller Umgang mit allen Frauen, und wir versuchen auch, kultursensibel zu agieren.“
Wohin zum Schwangerschaftsabbruch?
Im Landkreis Heidenheim gibt es keine Praxis, die Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Im Klinikum Heidenheim werden Abtreibungen laut der Schwangerenberatungsstelle nur aus medizinischen Gründen vorgenommen. Eine Begründung dafür war vom Klinikum nicht zu erhalten. In einer Klinik in einem Nachbarlandkreis werden Abtreibungen gemacht, jedoch will das Krankenhaus nicht genannt werden, man habe nicht so viele Kapazitäten dafür und befürchte einen Ansturm. Frauen, die eine Einrichtung suchen, können sich beispielsweise auf familienplanung.de informieren. Aufgeführt werden dort unter anderem eine Praxis in Günzburg, Praxen in Stuttgart und Ludwigsburg oder die Uniklinik in Tübingen. Umfassend ist die Liste aber nicht, manche Kliniken und Praxen wollen dort nicht genannt werden.
Die Awo-Schwangerenberatungsstelle in Heidenheim (Bergstraße 8) ist telefonisch erreichbar unter 07321.21503 und per E-Mail unter schwangerenberatung@awo-heidenheim.de. Termine werden möglichst zeitnah angeboten, die Beratung ist kostenlos. Neben der Konfliktberatung bei ungewollten Schwangerschaften bietet die Beratungsstelle auch Gespräche zu allen anderen Themen rund um Schwangerschaft und Geburt, Sexualität, Liebe und Partnerschaft.