Warum Streuobstwiesen im Landkreis Heidenheim so wichtig sind - und so bedroht
Das Wetter hätte man sich vielleicht etwas besser gewünscht an diesem Vormittag Mitte Mai am Hürbener Ortsrand: Es ist mit elf Grad nach wie vor sehr kühl. Die Sonne schafft es nicht zwischen den grauen Wolken hervor und es weht ein kalter Wind.
Doch der Streuobstwiese, die heute einmal näher unter die Lupe genommen werden soll, ist das ganz offenbar egal: Fast schon majestätisch stehen sie da, die bis zu 100 Jahre alten Apfel- und Birnenbäume. Die einen sind bereits weitestgehend grün, die anderen blühen noch in zartem Weiß und Rosa. Und zu ihren Füßen auf der Wiese ist es bunt: Neben dem Hahnenfuß, der alles auf den ersten Blick in ein leuchtendes Gelb taucht, wachsen bei näherem Hinsehen auch zahlreiche andere Wildblumen und sprenkeln das Grün und Gelb mit Weiß, Rosa, Blau und Violett. Die Wiese ist schon fast kniehoch. In zwei bis drei Wochen, wenn die Hauptblüte vorbei ist, steht die Mahd an.
Mahd auf den Streuobstwiesen im Landkreis Heidenheim: Sense statt Rasenmäher
Wer aber glaubt, mit einer Fahrt auf dem Aufsitzrasenmäher sei es auf der Streuobstwiese getan, der hat sich geschnitten. Warum, erklärt Rainer Prechtel vom Obst- und Gartenbauverein Hürben. Was Streuobstwiesen anbelangt, ist er Experte und kämpft seit Jahren für ihren Erhalt. „Die Wiesen werden schonend und traditionell gemäht: mit der Sense oder mit moderneren Balkenmähern.“ Auf diese Weise wird der Boden nicht verdichtet und viele unterschiedliche Arten von Wildblumen haben die Chance, sich erneut auszusäen. Oftmals wird auf den Streuobstwiesen auch nur streifenweise gemäht: „So haben die Insekten die Chance umzuziehen“, erklärt der Hürbener.
Von den vielen Insekten, die hier auf der Wiese leben, profitieren auch die Vögel, die ebenfalls ideale Lebensbedingungen vorfinden. In einem alten Apfelbaum haben Fledermäuse ihr Zuhause gefunden und begeben sich von hier aus abends auf ihren Rundflug über Hürben. Die Höhle hat einst wohl mal ein Specht in den Stamm gebaut. Bis zu 5000 Arten von Pflanzen, Insekten, Vögeln und Säugetieren leben auf einer Streuobstwiese.
Streuobstwiesen im Kreis Heidenheim: von Bebauung verdrängt
In Hürben kann man noch in Teilen den typischen Gürtel von Streuobstwiesen um den Ort herum erkennen. Vor Jahrzehnten sah es in vielen Ortschaften noch so aus. Doch nach und nach breiten sich Wohnbebauung und Gewerbe aus. Die Streuobstwiese hier am Hürbener Ortsrand soll aber bleiben und ist von der Stadt Giengen geschützt.
Die Ausbreitung der Bebauung ist aber nicht der einzige Grund, warum die Streuobstwiesen in ihrem Bestand bedroht sind: Immer weniger Menschen wollen sich um die Pflege der Kulturlandschaft kümmern. Die Streuobstwiesen können nicht einfach sich selbst überlassen werden: Mindestens zweimal im Jahr wird gemäht, die Bäume müssen geschnitten werden, das Obst will geerntet und verarbeitet werden. Das alles macht Arbeit, bringt aber wenig Ertrag.
Sontheimer Walter Unseld: Streuobstwiese als Familienprojekt
Zwar gibt es auch finanzielle Förderungen, doch nicht für jeden Wiesenbesitzer macht das Sinn. Der Sontheimer Walter Unseld beispielsweise kümmert sich gemeinsam mit der ganzen Familie um einen kleinen Streuobstbestand bei Sontheim/Brenz.
Die Fläche gehört seinem Vater, der mit seinen 83 Jahren nach wie vor mithilft. Förderungen zu beantragen, sagt Unseld, ist ein enormer bürokratischer Aufwand: „Und es gibt sie nur ab einer gewissen Anzahl von Bäumen. Wir haben einfach nicht genug.“ Und so begreift es Unseld eben als „Familienprojekt“: Großeltern, Eltern, Kinder und Enkelkinder helfen bei der Mahd und Heuernte sowie bei der Obsternte im Herbst.
Streuobstwiesen im Kreis Heidenheim: Oben das Obst, unten das Heu
Ursprünglich entstanden die meisten der Streuobstwiesen aus der Not heraus: „Im 18. und 19. Jahrhundert war das Obst knapp und teuer“, erklärt Rainer Prechtel vom OGV. Also begannen Landwirte damit, selbst Obst anzubauen: Oben wuchsen die Äpfel, unter wuchs die Wiese, die als Weide diente oder als Heu geerntet werden konnte. Das alles änderte sich nach dem Krieg: „Man begann damit, Äpfel nach bestimmten Kriterien anzubauen“, erklärt Prechtel: „Sie sollten möglichst groß, möglichst süß und möglichst schön sein.“
All die Sorten Äpfel, die man heute im Supermarkt kaufen könne, bauen auf einer einzigen Sorte auf. Der Nachteil: Sie sind nicht so resistent wie die alten Sorten, die auf den Streuobstwiesen zu finden sind. „Diese Sorten reichen teilweise in die Zeit der Römer zurück. Sie haben sich an etliche möglichen Bedingungen angepasst.“
Streuobstwiese in Hürben: alte Sorten blühen später
Bei genauerem Hinsehen ist das auch auf der Streuobstwiese in Hürben zu sehen: Während bei vielen Apfelbäumen in den Vorgärten die Blühte bereits abgeschlossen ist, sind noch viele Flecken hier in Weiß und Rosa getaucht: Die alten Sorten blühen später. Das ist deshalb überlebensnotwendig, weil sich bei vielen anderen Pflanzenarten der Beginn der Blühte durch den Klimawandel nach vorne verschoben hat. „Das ist eigentlich Gift“, erklärt Prechtel: „Oft fliegen zu dieser Zeit die Insekten noch nicht, die für die Bestäubung notwendig sind.“ Zudem drohe im zeitigen Frühjahr nach wie vor Frost, was die zarten Knospen und Blühten schädigen kann.
Das alles ist Wissen, das zunehmend verloren geht. Immer weniger Menschen wollen sich um die Streuobstwiesen kümmern. Die klassischen Nebenerwerbslandwirte gibt es nicht mehr. Und so sieht der Hürbener Rainer Prechtel auch ein großes Stück weit die Politik in der Verantwortung, sich durch entsprechende Förderungen für den Erhalt der Streuobstwiesen als Kulturlandschaften und wichtige Lebensräume einzusetzen. Und er wirbt auch um mehr Verständnis: Wenn an einer Stelle Bebauung entsteht, werden häufig Streuobstwiesen an anderer Stelle als sogenannte Ausgleichsflächen gepflanzt, um das „Öko-Konto“ der Gemeinde auszugleichen. „So einfach ist es aber nicht“, betont Prechtel: „Die Streuobstwiesen müssen dann auch gepflegt und betreut werden, damit sie für die Zukunft erhalten bleiben.“