Was das Baggern mit dem Laufenlernen gemeinsam hat
Als ich klein war, irgendwann Anfang der Achtzigerjahre, wurde ein paar Straßen weiter ein Mehrfamilienhaus gebaut, ein ziemlich großer Kasten, mit Tiefgarage. Und weil gerade Ferien waren, radelte ich jeden Tag zur Baustelle, um dabei zuzuschauen, wie die riesige Grube ausgehoben wurde. Ich konnte stundenlang gebannt verfolgen, wie der Mann im Bagger seine Hebel und Pedale bewegte, wie er Schaufel um Schaufel Erde auf Lastwagen hob. Es sah so leicht aus. Nach ein paar Stunden kletterte er dann aus seiner Kabine, setzte sich auf die Ketten seines Baggers, verzehrte sein Wurstbrot und öffnete eine Flasche Bier dazu.
Auch wenn ich mich später als Mitarbeiter eines Architekturbüros eher dem Hochbau zuwandte, blieb mir die Faszination für tief buddelnde Bagger erhalten. Das singende Geräusch in den Hydraulikzylindern, der Geruch von Diesel und Schmierfett, die Unaufhaltsamkeit, mit der sich diese Ungetüme in den Boden fressen – all das kann mich bis heute gefangen nehmen.
Eine Einladung, die man nicht ausschlagen kann
Allerdings: Ich bin noch nie Bagger gefahren. Wann hat man dazu schon die Gelegenheit?
Diese ergab sich, als im Kollegenkreis nun gebaut wurde. Ein – zugegeben: sehr kleiner – Bagger stand im Vorgarten, um das Gelände zu modellieren. Die spontane Einladung, das Baggerfahren doch einmal auszuprobieren, konnte ich nicht ausschlagen. Kann ja nicht so schwer sein.
Nun ist es wie mit vielen Dingen, die sehr einfach aussehen: Sie sind es meist nicht. Ein Schlagzeuger, der sein Instrument mit scheinbarer Leichtigkeit bedient, ist in der Regel ein ausgekochter Profi. Bei wem das Musizieren nach Arbeit aussieht, der sollte sich noch eine Weile zum Üben zurückziehen. Ausnahmen sind Heavy-Metal-Musikerinnen und -Musiker: Bei ihnen gehört es zum Image, das Publikum will ihnen ansehen, welche Mühe es kostet, solch bedrohliche Musik aus den Instrumenten zu zerren. Das aber führt uns jetzt arg weit weg vom Baggerfahren. Freilich: Auch Baggerfahren erfordert Routine, Gefühl und womöglich eine Spur von Talent.
Vom Segen der Hydraulik
Die Segnungen der Hydraulik machen es zwar möglich, dass ein Bagger ein Vielfaches der menschlichen Arbeitsleistung bewältigen kann, ohne dass der Bedienende sich dabei Schwielen holt. Allerdings muss man sich als Baggerfahrender erst einmal das Gefühl dafür verschaffen, wie diese schwarzen Ölleitungen, die glänzenden Zylinder, die Bedienhebel und die Ventile dazwischen zusammenhängen.
Man könnte das Baggerfahren mit dem Gehen vergleichen. Die aufrechte menschliche Fortbewegung ist nur deshalb so ein Erfolgsmodell, weil beim Gehen zahlreiche Muskeln, Sehnen, Knochen und steuernde Nervenimpulse geschmeidig ineinandergreifen und so einen flüssigen Bewegungsablauf ermöglichen.
Genau daran scheitere ich als Novize auf dem Baggersitz. Nach kurzer Einweisung gelingt es mir, den Baggerarm anzuheben, ihn auszustrecken, die Schaufel (der Profi sagt dazu natürlich Löffel) quasi nicken zu lassen. Aber alle Bewegungen erfolgen nur nacheinander und wirken dabei nicht nur unkoordiniert – sie sind auch sinnlos. Nur das Bein anzuheben und wieder zu senken, macht eben noch keinen Wanderer aus.
Die anderen Gewerke beobachten mit freundlichem Interesse
Die anwesenden Bauarbeiter schauen dem Spektakel mittlerweile amüsiert zu. Einen so lausigen Baggerfahrer sieht man schließlich nicht alle Tage. Den Hinweis auf die erste Fahrstunde nehmen sie freundlich nickend zur Kenntnis. Nicht eben ermunternd ist der Eindruck, dass sie sich regelrecht über mein Gestümper freuen.
Verblüffend ist aber, dass das menschliche Gehirn durchaus in der Lage ist, auch aus nur winzigen Teilerfolgen ein ganzes Bild zusammenzusetzen. Es mag anfangs Zufall sein, wenn ein hydraulisch gesteuerter Bewegungsablauf funktioniert, aber die erfolgreiche Abfolge von Hebelbewegungen kann mit etwas Glück erneut abgerufen werden. Es dauert eine Weile, aber irgendwann gelingt es mir, in einem Rutsch den Arm auszuklappen, die Schaufel mit Erde zu füllen, nach links zu schwenken und die Erde wieder auszukippen. Hammer!
Ich fühle mich, als hätte ich gerade gleichzeitig Lesen, Schreiben und Gehen gelernt. Eigentlich schade, dass man sich an die ersten eigenen Schritte nicht erinnern kann. Mit Feingefühl kann mein Gebaggere beileibe noch nicht glänzen, dafür ist meine Hochachtung für jene Menschen einmal mehr gestiegen, die solche Maschinen so geschickt bedienen können.
Hier alle Teile der Serie "Mikroabenteuer" der Heidenheimer Zeitung lesen.