Wunsch statt Zwang

Was das neue Betreuungsrecht für Menschen im Landkreis Heidenheim bedeutet

Früher wurden Menschen entmündigt, seit 1992 werden sie betreut. Nun wurde das Betreuungsrecht reformiert – zugunsten aller Beteiligten, findet Stefan Kauffmann, Geschäftsführer des Betreuungsvereins Heidenheim.

Was das neue Betreuungsrecht für Menschen im Landkreis Heidenheim bedeutet

Rechtliche Betreuung: das bedeutet nicht etwa die Pflege von Menschen oder deren Wohnung putzen, sondern in Vertretung des Betreuten Geld überweisen, Fristen im Auge behalten, Operationen zustimmen oder Mietverträge unterzeichnen. Also alles, was mit rechtlichen Konsequenzen verbunden ist und was der Betreute nicht selbst erledigen oder überschauen kann.

1136 betreute Menschen leben aktuell im Landkreis Heidenheim. Diese Zahl hat Stefan Kauffmann von der Betreuungsbehörde beim Landratsamt Heidenheim abgefragt. Zum Jahresbeginn ist ein neues Betreuungsrecht in Kraft getreten, laut Kauffmann die umfassendste Reform seit der Abschaffung der Entmündigung 1992. Verändert hat sich dadurch für alle Beteiligten etwas, für die Betreuten, für die Betreuer, aber auch für den Betreuungsverein, der neue Aufgaben zu erfüllen hat.

Was hat sich für die Betreuten in Heidenheim verändert?

„Durch die Reform hat sich die Qualität der Betreuung verbessert“, sagt Kauffmann. Im Vordergrund stehe, das Selbstbestimmungsrecht der Betreuten zu stärken. Die Wünsche der Betreuten müssten stärker berücksichtigt werden. Dies müssten die Betreuer auch in ihren jährlichen Berichten dokumentieren. Das Selbstbestimmungsrecht habe dann seine Grenzen, wenn der Betreute sich Schaden zufügt. Kauffmann nennt zum Beispiel die Entscheidung über medizinische Eingriffe, die der Betreute nicht verstehen kann. Oder wenn jemand zum Beispiel ein teures Auto kaufen möchte, aber kein Geld dazu hat. „Es gibt verschiedene Schattierungen“, sagt Kauffmann und auch die Fähigkeit der Menschen sei manchmal schwankend. „Im Zweifel können einfach beide unterschreiben.“ Bei ganz kritischen Fragen könne das Betreuungsgericht hinzugezogen werden. Die Grenze werde auch überschritten, wenn jemand sich selbst gefährdet. „Wenn der Betreuer zum Beispiel Rauschgift oder Medikamente besorgen kann, da muss der Wunsch nicht erfüllt werden.“

Wer muss betreut werden und wer entscheidet darüber?

Wann muss eigentlich jemand betreut werden? Auch in dieser Frage hat die Reform die Rechte der Betreuten gestärkt, wie Kauffmann ausführt. Der Gesetzgeber habe klargestellt, dass andere Hilfen Vorrang haben vor der rechtlichen Betreuung. „Wenn etwa eine Schuldnerberatung oder ambulante Hilfen als Unterstützung reichen, dann muss keine rechtliche Betreuung angeordnet werden," so Kauffmann.

Wer entscheidet eigentlich darüber, ob jemand betreut werden muss? Das Verfahren ist laut Kauffmann mehrstufig und war es schon immer. Zunächst werde der Fall an das Betreuungsgericht gemeldet. Ein medizinisches Gutachten muss bestätigen, über welche Bereiche die Person nicht mehr selbst entscheiden kann. Danach komme die Betreuungsbehörde beim Landratsamt ins Spiel, die über das was und wer befindet. Neu ist: Die Betroffenen können nun auch bei der Auswahl des konkreten Betreuers ihre Vorstellungen einbringen und so weit wie möglich in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Die Reihenfolge sei festgelegt. Angehörige hätten als Betreuer Vorrang. Gibt es im familiären Kreis niemanden, würde nach Ehrenamtlichen gesucht, erst danach kämen die hauptamtlichen Betreuer ins Spiel. Von diesem gebe es im Landkreis etwa 30.

Wenn der Betreuer nicht mehr weiterweiß?

Verbesserungen hat die Reform aber auch für die Betreuer gebracht, was gleichzeitig mit neuen Aufgaben für die Mitarbeitenden des Betreuungsvereins einhergeht. Im Moment begleitet der Verein laut Kauffmann 214 ehrenamtliche Betreuer, 136 davon betreuen Angehörige wie betagte Eltern oder behinderte Kinder. Die restlichen 78 seien sogenannte Fremdbetreuer, die sich der Begleitung eines fremden Menschen angenommen haben. Sie alle können die Unterstützung des Betreuungsvereins in Anspruch nehmen. 265-mal sind die Mitarbeitenden allein dieses Jahr zu Rate gezogen geworden. Fragen beziehen sich zum Beispiel auf die jährlichen Berichte, auf rechtliche Fragen oder Hilfe bei Behördengängen. Mitglied im Verein müssen die Betreuer nicht sein, eine Vereinbarung reiche aus, die für Fremdbetreuer seit der Reform jedoch verpflichtend sei.

Was passiert, wenn der Betreuer selbst krank wird?

Wenn der Betreuer einmal ausfällt, sei es durch Krankheit oder längeren Urlaub, dann springt seit der Reform der Betreuungsverein ein und übernimmt die Vertretung. „Wir sind eine Art Sicherheitsnetz, und davon wurde auch schon in zwölf Fällen Gebrauch gemacht“, sagt Kauffmann. Er und seine drei Kolleginnen betreuen selbst 62 Menschen dauerhaft, wobei sie mehrheitlich bei schwierigen Fällen eingeschaltet werden.

Noch reicht die Zahl der Betreuer im Landkreis Heidenheim aus, doch Kauffmann rechnet damit, dass aufgrund der Altersstruktur der Bevölkerung die Zahl der Betreuungen zunehmen wird in den kommenden Jahren. Die größte Gruppe der Betreuten sind betagte Menschen, gefolgt von behinderten Menschen, die kleinste Gruppe ist die der psychisch Erkrankten. Deshalb ist neben der Beratung auch eine der Aufgaben des Vereins, neue Betreuer zu gewinnen.

Selbstbestimmt vorsorgen

Jeder Mensch kann durch einen Unfall, eine Erkrankung oder andere Umstände in die Situation geraten, die eigenen rechtlichen Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln zu können. Doch jeder kann im Vorfeld regeln, was im Falle eines Falles geschehen soll und welche Menschen dann entscheiden. Der Betreuungsverein Heidenheim bietet regelmäßig Vorträge an sowie auch Schulungen für Menschen, die Betreuer werden möchten. Der nächste Termin ist am 4. Oktober, 15 Uhr im Landratsamt.

Einen Vortrag über das selbstbestimmte Vorsorgen mit Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung und Betreuungsverfügung hält Geschäftsführer Stefan Kauffmann am Mittwoch, 6. September, 18 Uhr im Rahmen einer Reihe des Pflegestützpunktes ebenfalls im Landratsamt. Weitere Infos zur Betreuung sowie den Angeboten gibt auf der Internetseite des Betreuungsvereins: www.btv-hdh.de.

Jetzt einfach weiterlesen
Jetzt einfach weiterlesen mit HZ
- Alle HZ+ Artikel lesen und hören
- Exklusive Bilder und Videos aus der Region
- Volle Flexibilität: monatlich kündbar