„Lange Zeit fielen wir überall auf.“ Dieser Satz wäre ein guter erster Satz für einen Roman. „Lange Zeit fielen wir überall auf.“ Das ist gut. Sogar mehr als das. Aber es ist nicht der erste Satz eines Romans. Er steht auf Seite zwölf ziemlich weit unten. Eher bescheiden taucht er auf. Und das wiederum passt zum Autor. Martin Szegedi ist kein Mann, der unbedingt den Effekt sucht, auch nicht, wenn er schreibt.
Normalerweise schreibt Martin Szegedi Gedichte. Sechs Lyrik-Bände von ihm sind bereits erschienen. Diesmal allerdings ist es ein Roman. Sagt der Autor. Denn eigentlich handelt es sich bei dem Buch um eine Autobiographie. „Die Entblößung bis auf die Knochen“ lautet der Titel. Weil der Autor sich im Epilog des Buches allerdings über die eigene Geschichte hinaus sozialkritische Einlassungen erlaubt, spricht er selber lieber von einem Roman.
Ausreise gen Westen
Und der ist zunächst mal ein echter Szegedi. Denn Inhalt geht vor Verpackung. Auch in Sachen Prosa formuliert er im Zweifel lieber echt, als kunstvoll gedrechselt. So ist er halt. Und wie es dazu kam, dass er wurde, wie er jetzt, mit 71, ist, schildert er auf eben diese ungekünstelt echte Art und Weise, die zu dem, was er berichtet, besser nicht passen könnte. Zwar sind einige Namen geändert, auch Heidenheim heißt Edenheim, aber ansonsten ist alles wahr. Bis in kleinste, letzte Details. „Die Entblößung bis auf die Knochen“ eben.
Martin Szegedis Geschichte spielt vor dem Hintergrund seiner Aussiedlung aus Rumänien in die Bundesrepublik. 1984 war das. Dort die sozialistische Ceausescu-Diktatur, hier soziale Marktwirtschaft und Demokratie. „Auch die Demokratie hat ihre Schattenseiten, ihre dunklen Ecken. In der Diktatur ist es umgekehrt: Sie ist ein großes Dunkel mit zwei, drei Lichtflecken. Aber in jeder Gesellschaft gibt es gewisse Zwänge.“ Die Anpassung an die neue Umgebung ist nicht leicht. Auch deshalb, weil Martin Szegedi sie sich nicht leichtmachen will. „Ich wollte alles durchdringen, was mit mir und in den Tiefen dieser Gesellschaft passierte.“
Wobei diese Gesellschaft damals ihn wiederum mit ihren Augen betrachtet. Nicht überall, aber meistens doch. „Ich war als Siebenbürger Sachse stolz auf meine deutsche Herkunft, aber hier war ich ein Rumäne. Manche glaubten, wir wären wegen des Wohlstands gekommen. Tatsächlich aber waren wir gekommen, weil ich mich in Rumänien nicht verwirklichen konnte.“ Was nicht zuletzt für den Lyriker gilt, der schon auf dem Weg gewesen war, sich einen Namen zu machen.
Rückkehr ins Leben
Glücklich ist Martin Szegedi zu Hause bei Frau und Tochter. Tagsüber blüht er bei der Arbeit auf, als Elektriker im Maschinenbau. Und nachts dichtet er. Oft pausenlos. Ohne Schlaf. Tag um Tag. Und weil Martin Szegedi zum tiefen und langen Nachdenken neigt, lassen ihn auch Gedanken daran nicht los, dass man ihn hier für einen verkappten Kommunisten halten könnte, der zum Spionieren herübergekommen ist. Auf der anderen Seite könnte jedes Wort von ihm hier den in Rumänien zurückgebliebenen Verwandten und Freunden zum Schaden gereichen. Denn zusammen mit seinen Ausreisepapieren hat man ihm auch die Drohung mit auf den Weg gegeben, dass der lange Arm der Revolution ihn überall erreichen könne.
Am Ende wird alles zu viel: Nervenzusammenbruch, paranoide Schizophrenie, zwei Selbstmordversuche, längere Aufenthalte in der Psychiatrie. Seine Frau, sein Arbeitgeber, seine Kollegen halten zu ihm. „Wenn ich verlassen, wenn ich entlassen worden wäre, hätte ich keine Chance mehr gehabt. Ich bin sehr dankbar.“ So kehrt er zurück ins Leben. Und so zieht Martin Szegedi im Buch, das er „meinen fleißigen und hilfsbereiten Mitbürgern“ gewidmet hat, auch ein Fazit: „Das Leben ist mit vielen unbarmherzig, aber wenn man nicht allein gelassen wird, schafft es auch der Schwächste, es zu meistern.“
Wie man an das Buch kommt
Martin Szegedis Roman „Die Entblößung bis auf die Knochen“ ist bei „Books on Demand“ erschienen und unter der ISBN 978-3-7693-1386-4 überall im Buchhandel erhältlich.