Der Heidenheimer Andreas Stoch ist seit Jahren gewählter SPD-Abgeordneter für den Wahlkreis Heidenheim im Stuttgarter Landtag. Dort hat er auch etliche bedeutende Positionen inne. Im Sommer-Interview spricht er über eine politische Arbeit, welche gestalterischen Möglichkeiten es gibt, und was er verändern würde, wäre er nicht Oppositionsführer sondern in der Regierungsverantwortung.
Herr Stoch, Sie sind Fraktionsvorsitzender der SPD im Landtag und Oppositionsführer. Außerdem sind Sie der Landesvorsitzende Ihrer Partei. Und dann sind sie auch noch Abgeordneter für den Wahlkreis Heidenheim. Können Sie bei dieser Fülle von Ämtern und Aufgaben den Belangen des Landkreises und seiner Bürgerinnen und Bürger überhaupt gerecht werden?
Andreas Stoch: Das hinzukriegen, ist vor allem eine Frage der Organisation. Ich bin hier gewählt, und deshalb ist es für mich selbstverständlich, dass ich mich um die Belange des Wahlkreises kümmere. Ich bin ja auch Kreistagsmitglied, und auch das ist sehr wichtig, um mit vielen kommunalen Vertretern in engem Austausch zu stehen. Jeder Bürgermeister im Landkreis hat meine Handynummer, wir haben einen sehr engen Draht zueinander.
Reicht das aus?
Für mich ist nicht entscheidend, dass ich mich 24 Stunden im Landkreis Heidenheim befinde, sondern dass die Menschen mich als Unterstützer wahrnehmen, wenn es schwierige Situationen gibt. Das ist nicht mit einem 9-to-5-Job zu machen, meine Woche hat sieben Tage und der Arbeitstag oft zwölf oder mehr Stunden. Wenn man in eine politische Verantwortung geht, will man auch Dinge beeinflussen. Deshalb sind diese Führungsaufgaben für mich immer noch eine Ehre. Wer kann schon sagen, bei Koalitionsverhandlungen im Bund mit am Tisch gesessen zu haben und die Auswirkungen dessen auch vor Ort zu spüren?
Was meinen Sie damit?
Beispielsweise war ich mitverantwortlich für das Startchancen-Programm. Jetzt kommen auch im Landkreis Heidenheim Fördermittel an, beispielsweise bei der Lina-Hähnle-Schule in Giengen oder bei Schulen in Heidenheim.
Erst kürzlich wurde bekannt, dass Ihr grüner Abgeordneten-Kollege Martin Grath sein Amt abgibt. Wie sieht es bei Ihnen aus? Werden sie bei der Landtagswahl im Frühjahr 2026 wieder kandidieren?
Ich bin, was Politik angeht, mit 54, noch relativ jung an Jahren. Ich habe zwar schon 15 Jahre im Landtag auf dem Buckel, aber ich möchte schon wieder kandidieren. Ich denke, dass auch viele in meiner Partei davon ausgehen, dass ich die SPD als Spitzenkandidat in den Wahlkampf führe. Das Ziel, auf das ich hinarbeite, ist, meine SPD im Landkreis und im Land so stark zu machen, dass wir in der nächsten Landesregierung vertreten sind.
Um Ihre SPD im Landkreis Heidenheim stand es ja zuletzt nicht zum Besten. Im Vorfeld der Kreistagswahl gab es große interne Differenzen und viel öffentlich ausgetragenes Gezänk, in einigen Kommunen musste die SPD deutlich Federn lassen. Wie ist denn die Situation vor Ort?
Die SPD im Kreis ist eine sehr gut organisierte Partei. Bei Bundes- oder Landtagswahlen liegen wir immer sehr weit über dem Landesdurchschnitt. Dahinter steht eine stabile und starke Basis. Daran, was in Einzelfällen passiert ist, merkt man, dass es manchmal auch menschelt, und manche Menschen auf persönlicher Ebene nicht miteinander zurechtkommen. Das möchte ich nicht kommentieren. Ich glaube, dass zu wenig miteinander und zu viel übereinander geredet wurde. Das ist bedauerlich, aber so etwas bahnt sich auch oft über einen längeren Zeitraum an. Die Ergebnisse bei der Kommunalwahl waren unterm Strich aber nicht so schlecht.
Wie sieht es an der Basis aus? Haben Sie auch Mitgliederverluste?
Alle großen Parteien haben diese Tendenz. Das liegt weniger an Austritten als vielmehr an Sterbefällen. Das kann durch Neueintritte oft nicht kompensiert werden. Aber wir konnten im Vorfeld der Kommunalwahl auch neue Mitglieder gewinnen.
Derzeit gibt es immer wieder unerfreuliche Nachrichten aus der heimischen Wirtschaft. TDK und Voith planen, Stellen abzubauen, und um Varta steht es auch nicht gut. Wie kann die Politik hier unterstützen, was können Sie als Abgeordneter da tun?
Wir leben politisch und wirtschaftlich in einer der schwierigsten Situationen, seit es die Bundesrepublik gibt.
Andreas Stoch
Wir leben politisch und wirtschaftlich in einer der schwierigsten Situationen, seit es die Bundesrepublik gibt. In Baden-Württemberg haben wir in den vergangenen Jahrzehnten durch Kreativität, Innovationsgeist und Fleiß einen erheblichen Wohlstand erarbeitet. Aber jetzt geraten die Eckpfeiler dieses Wirtschaftsmodells ins Wanken. Wir können nicht mehr endlos auf fossile Energien setzen, der Klimawandel zwingt uns zu Veränderungen. Wir müssen es schaffen, unsere Gesellschaft und die Wirtschaft auf Klimaneutralität umzustellen. Das führt zu erheblichen Herausforderungen. Aber so zu tun, als ob es diesen Wandel nicht gäbe, bringt auch nichts. Hinzu kommt auch noch der Fachkräftemangel. Da kann nur Qualifizierung und Weiterbildung helfen, und da tun wir als Land noch viel zu wenig, ist die Landesregierung zu passiv.
Was also müsste getan werden?
Es muss ein breit angelegtes Fachkräfte-Qualifizierungsprogramm aufgesetzt werden, sowohl für die Menschen, die zu uns kommen, als auch für jene, die hier sind, und die zusätzliche Kompetenzen brauchen.
Reicht das aus?
Wir müssen auch den Blick der Öffentlichkeit auf Unternehmen lenken, die in Schwierigkeiten sind. Nehmen Sie das Beispiel Varta, ein Unternehmen, das auf Speicherung von Energien setzt, eigentlich das Gebot der Stunde. Doch das Unternehmen ist durch Managementfehler in eine Schieflage geraten. Es gilt, den Betrieb zu sanieren und zu verhindern, dass er von Hedgefonds unter den Nagel gerissen wird. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist es extrem wichtig, dass das Unternehmen auch zukünftig stabil ist. Wir brauchen diese Unternehmen, sie sind ein Anker für viele Menschen. Wir müssen um jeden Arbeitsplatz kämpfen. Gleiches gilt für Voith und TDK in Heidenheim.
Aber wie kann sich ein Abgeordneter hier einbringen?
Man kann sich mit Betriebsrat und Geschäftsleitung ins Benehmen setzen und versuchen, auch Alternativen zur Abwanderung von Arbeitsplätzen zu entwickeln. Von der Landesregierung fordere ich, die Unternehmen beim Wandel in die neue Welt mehr zu unterstützen. Man kann durchaus mit öffentlichen Geldern unterstützen, das zeigen andere Bundesländer.
Aber das kostet sehr viel Geld, und das in Zeiten knapper Kassen.
Jeder Ökonom sagt, dass gerade in schwierigen Situationen die öffentliche Investition übrigbleibt, um Wachstum zu fördern. Nehmen Sie das Beispiel Wohnungsbau: Baden-Württemberg hat den größten Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Wir brauchen Wohnungen für sozialen Frieden, und wenn wir Fachkräfte aus anderen Bundesländern und dem Ausland hierher holen wollen, brauchen wir auch Wohnraum. Aber auch die Baufirmen brauchen die Aufträge. Deshalb müsste die Landesregierung auch hier deutliche mehr Geld in die Hand nehmen. Wir brauchen dringend mehr Fördergelder.
Das Land hat noch Speck auf den Rippen.
Andreas Stoch
Und woher soll dieses Geld kommen?
In den vergangenen Jahren wurde bei den Haushaltsansätzen immer extrem vorsichtig geplant, was zunächst ja auch richtig ist. Deshalb wurden sehr häufig Überschüsse erwirtschaftet, bis 2022. Damals waren es 6,6 Milliarden Euro. Das heißt, das Land hat noch Speck auf den Rippen. Man kann auch ohne Umgehung der Schuldenbremse mit Krediten arbeiten.
Die Kommunen klagen seit Jahren darüber, dass sie von Land und Bund hängengelassen werden. Deren Aufgaben werden immer weiter nach unten gereicht und bleiben bei den Kommunen hängen, oft ohne die nötige finanzielle Unterstützung. In welchen Bereichen müsste da noch nachgebessert werden?
Ein klassisches Beispiel für die Aufteilung der Finanzierung ist der Bildungsbereich. Hier gibt es immer noch eine Aufteilung der finanziellen Verantwortung: Das Land zahlt die Lehrkräfte, die Kommune die Schulgebäude und die Ausstattung. Wir haben einen Lehrermangel, durch den es Unterrichtsausfälle gibt. Trotzdem müssen Lehrkräfte noch Aufgaben übernehmen, die eigentlich gar nicht ihre wären. In unseren Schulen findet kaum Arbeitsteilung statt, und das hat auch etwas mit der Finanzierung zu tun. Das nicht lehrende Personal wird von der Kommune bezahlt, die anderen vom Land. In modernen Bildungssystemen gibt es viel mehr Menschen, die die Lehrkräfte unterstützen. Hier müsste das Land stärker in die Verantwortung gehen, die Kommunen entlasten und sich an der Finanzierung dieses Personals beteiligen. Es darf keinen Unterschied machen, ob ein Kind in einer finanzstärkeren oder -schwächeren Kommune aufwächst, aber heute ist das leider so.
Ein weiteres Problem für die Kommunen ist der Ausbau der Kinderbetreuung. Hier müsste sich doch auch etwas ändern, was die Finanzierung betrifft.
Da stellt sich die gleiche Frage. Hier leben wir noch in einer Welt, in der man nicht gedacht hat, dass Kindergarten zur Bildung gehört, sondern dass diese mit dem ersten Tag in der Grundschule beginnt. Aber alle Wissenschaftler sagen, dass Bildung in der Kita beginnt. Wendet man diese Logik an, bedeutet das, dass das Land sich viel stärker für die frühkindliche Bildung einsetzen sollte. Das haben wir in unserer Regierungszeit 2011 auch begonnen. Als grün-rote Landesregierung haben wir die Grunderwerbssteuer erhöht, aber mit diesem Geld den Ausbau der Kitas finanziert und die Schulsozialarbeit ausgebaut. Beim Thema Bildung mit Geld zu argumentieren, darf nicht sein.
Die Kinderbetreuung belastet die kommunalen Kassen sehr stark, auch weil die Anforderungen immer höher werden.
Ja, durch die steigenden Kosten werden die Kommunen in die Enge getrieben. Deshalb muss die Landesregierung bei der frühkindlichen Bildung besser unterstützen. Warum sollte jemand, der sein Kind in die Kita schickt, Gebühren zahlen? Wir haben uns ja auch irgendwann mal vom Schulgeld verabschiedet. Konsequent wäre, wenn man erkennt, dass in der Kita Bildung stattfindet. Es müsste auch darüber geredet werden, das letzte Kindergartenjahr verpflichtend zu machen.
Herr Stoch, aus der Opposition heraus lässt sich leicht schimpfen. Sie waren ja selbst mehr als drei Jahre lang Kultusminister. Wären Sie wieder in dieser Position, was würden Sie konkret ändern und was wurde aus dem, was Sie angestoßen haben?
Zwischen 2011 und 2016 haben wir unterschiedliche Reformen angestoßen, die in Baden-Württemberg viel zu spät eingeleitet wurden. Die konservativen Regierungen vor uns hatten ein Familienbild, das nicht mehr mit der Realität übereinstimmte. Wir haben das Land vom letzten Platz bei der frühkindlichen Bildung auf einen der ersten Plätze geführt. Nachdem die CDU 2016 wieder in die Regierung kam, wurden viele dieser Bildungsreformen gestoppt. Es blieb alles wie es ist. Acht Jahre Stillstand sind zum Nachteil unserer Kinder. Man muss als Kultusminister am Kabinettstisch starke Ellbogen haben und sich gegen andere durchsetzen. Ich habe mich damals erfolgreich gegen den geplanten Abbau von Lehrerstellen gewehrt.
Was also würden Sie konkret unternehmen?
Die Kitas brauchen mehr Personal, aber auch mehr Unterstützung für die Fachkräfte. Das hilft dabei, dass sich Erzieherinnen und Erzieher auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren können. Man muss mit den Mitteln arbeiten, die man hat, und versuchen, Dinge auch unter schwierigen Bedingungen zu verbessern.
Was kann die Landespolitik tun, um die Kommunen nachhaltig finanziell zu entlasten?
Man sollte großen Respekt vor der kommunalen Selbstverwaltung haben. Das Land nimmt den Kommunen Geld weg und gibt es ihnen später über Förderprogramme teilweise wieder, wobei dabei immer eine Eigenbeteiligung nötig ist. Deshalb wird aus vielen Kommunen beklagt, dass das Land sie am Gängelband hält. Die Kommunen müssen besser finanziert werden, auch was die Bereiche Ganztagesbetreuung und frühkindliche Bildung betrifft. Gleiches gilt auch für die Flüchtlingsunterbringung. Das ist auch eine Frage des sozialen Friedens.
In den Kommunen im Landkreis geht immer mehr Infrastruktur kaputt, denken wir an Sporthallen, die aufwändig saniert werden müssen. In den Fördertöpfen scheint immer weniger Geld zu sein, oder warum kommt so wenig im Landkreis an, obwohl häufig Anträge gestellt werden?
Von einem starken Gemeinwesen profitieren wir alle.
Andreas Stoch
Zunächst mal sind kommunale Einrichtungen, wie eine Sporthalle, kommunale Aufgabe, auch was den Unterhalt und die Instandhaltung betrifft. Die Förderprogramme sind eine Hilfe, die den Kommunen diese Aufgabe erleichtern soll. Häufig gibt es einen Sanierungsstau, aber auch Bund und Land müssen daran interessiert sein, dass eine kommunale Infrastruktur funktioniert. Von einem starken Gemeinwesen profitieren wir alle. Ein Staat sollte auf Dauer aber nicht mehr Ausgaben als Einnahmen haben oder alles nur über Schulden finanzieren.
Lassen Sie uns noch über die Finanzierung des Klinikums reden. Die ist seit Jahren in der Diskussion, Fördergelder für den Neubau gibt es oft erst verspätet und nicht in der erhofften Höhe. Was liegt da im Argen?
Die Kliniken in Deutschland sind insgesamt in einer schwierigen Situation. Die Kostensteigerungen der vergangenen zwei Jahre, durch Inflation und gestiegene Personalkosten, können nicht durch Einnahmesteigerungen ausgeglichen werden. Eigentlich hätte Deutschland schon lange eine Klinikreform gebraucht. Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat sich jetzt an dieses Thema gewagt. Heidenheim hat eine gute Ausgangsposition, allein durch die Lage in der Mitte des Landkreises hat es die Funktion eines zentralen Versorgungskrankenhauses. Im Ostalbkreis ist die Situation ganz anders. In Baden-Württemberg haben wir auch das Problem, dass lange zu wenig Geld für Investitionen gegeben wurde, und das ist Landesaufgabe. Die Fördertöpfe müssten deutlich besser gefüllt werden. Das Investitionsvolumen pro Jahr müsste bei 700 bis 800 Millionen Euro liegen, aber es stehen nicht einmal 500 Millionen zur Verfügung. Das Land muss mehr Geld in die Investitionskosten-Förderung geben. Was das Klinikum Heidenheim für den nächsten Bauabschnitt beisteuern muss, belastet natürlich das Betriebsergebnis. Deshalb muss die Landesregierung dringend mehr Geld zur Verfügung stellen, um diesen wichtigen Teil der Infrastruktur für die Bevölkerung zu modernisieren.