Interview mit Uli Redelstein und Thomas Völklein

Was die Heidenheimer Krankenhausseelsorger in ihrem Beruf erlebt haben

Uli Redelstein und Thomas Völklein gehen nach Jahrzehnten als Krankenhausseelsorger in den Ruhestand. Welche Bedeutung ihr Beruf hat, erzählen sie im Interview.

Thomas Völklein und Uli Redelstein sind seit vielen Jahren Krankenhausseelsorger am Heidenheimer Klinikum, jetzt stehen beide kurz vor dem Ruhestand. Im Gespräch blicken sie auf ihr bewegtes Berufsleben zurück, in dem Leid und Tod eine wesentliche Rolle gespielt haben, im dem es aber auch viele fröhliche und bewegende Momente gab.

Herr Redelstein, Sie sind seit 28 Jahren, Sie, Herr Völklein, seit 31 Jahren Seelsorger im Heidenheimer Klinikum. Was ist Seelsorge eigentlich?

Thomas Völklein: Seelsorge bedeutet, sich dem Menschen zuzuwenden. Der Begriff kann einschränkend wirken, weil die Seele als ein Teil des Menschen zusammen mit Geist und Körper gesehen wird. Ich habe aber ein ganzheitliches Verständnis von Seelsorge, das bedeutet Zuwendung in einer akuten Notsituation in der ein Mensch Zustimmung und Ermutigung braucht.

Uli Redelstein: Für uns ist es ein Angebot, das wir im Auftrag unserer Kirchen allen Menschen im Krankenhaus machen. Wir stellen uns auch als Seelsorger vor, wir sind keine Psychoonkologen oder Ärzte. Ich habe einen Artikel darüber gelesen, dass sich die Neurowissenschaft lange gefragt hat, wo die Seele sitzt. Es wurde leider kein Fundort festgestellt. Aber wenn man etwas in seinem Körper nicht findet, heißt das noch lange nicht, dass es nicht existent ist. Wenn ich Seelsorge anbiete, biete ich Begleitung für Menschen, also Patienten, Angehörigen und Mitarbeitenden.

Sie sind also in erste Linie Gesprächspartner für Menschen in Not?

Völklein: Ja, in einer Ausnahmesituation. Im Krankenhaus kommt für viele das, was sie bisher getragen hat, ein Stückweit ins Schwanken. Sie fragen sich, wer sie sind und wie sie mit einer Krankheit umgehen sollen.

Redelstein: Manchmal denkt man, eine Blinddarmentzündung oder ein Beinbruch sind banal, aber für viele Patienten sind diese banalen Dinge von zentraler Bedeutung, weil sie aus ihrem Alltag herausgerissen werden. Es geht auch um Alltagsbewältigung.

Es muss also nicht immer jemand gestorben oder todkrank sein, sondern Sie helfen auch in alltäglichen Situationen?

Völklein: Es gibt natürlich auch diese Extremsituationen. Aber es gibt ja auch eine Entbindungsstation und wenn beispielsweise ein Kind geboren ist, gebe ich auch oft meinen Segen. Über diese Mut machenden Worte freuen sich viele junge Familien. Mein Dienst hat nicht nur mit Krisen zu tun, sondern auch mit Leben.

„Es gibt nicht nur Extremsituationen“, sagt Klinik-Seelsorger Thomas Völklein. Rudi Penk

Wie funktioniert das im Alltag? Gehen Sie gezielt auf Menschen zu oder kommen Sie auf Anraten, beispielsweise von Ärzten?

Redelstein: Es gibt ganz unterschiedliche Wege. Wir haben die Zuständigkeit für die Stationen unter uns aufgeteilt, jeder hat seine Schwerpunktbereiche.

Also ist ihre Zuständigkeit nicht nach evangelisch und katholisch getrennt?

Redelstein: Nein. Wir haben unsere Bereiche und versuchen, dort täglich präsent zu sein. Oft erfahren wir dann von Mitarbeitenden, dass es jemandem nicht gut geht. Außerdem bringen wir Neuzugängen, die ihre Konfession angegeben haben, einen Begrüßungsbrief und stellen uns kurz vor.

Völklein: Auch daraus ergeben sich oft Gespräche. Außerdem gibt es viele chronische Patienten, etwa Krebspatienten, die ich über einen längeren Zeitraum hinweg begleite.

Sie leisten also sehr viel psychologische Arbeit.

Völklein: Das ist ein anderes Wort dafür. Wir müssen sehr viel wahrnehmen, Empathie empfinden, ein Gespür für die Menschen haben. Auch wir arbeiten viel analytisch, aber wir sind keine Psychologen.

Redelstein: Wir haben beide eine fünfjährige berufsbegleitende Ausbildung gemacht, und dabei spielte auch Selbstreflexion eine große Rolle, um Nähe und Distanz gut ausbalancieren zu können.

In Ihrer täglichen Arbeit überwiegen wahrscheinlich die tragischen Situationen, in denen es Menschen sehr schlecht geht. Wie gehen Sie selbst damit um, permanent mit Leid und Tod konfrontiert zu sein?

Redelstein: Wichtig ist, dass man gut auf sich selbst aufpasst. Wir machen auch beide Supervision für uns selbst, teilen, was wir mit anderen erleben.

Völklein: Wir sind beide mit dem Fahrrad da, kommen beide vom Sport, haben beide Leichtathletik gemacht. Man muss auch einen ganz starken Bezug zum Leben haben. Ich bewege mich viel, mache Musik und das stärkt mich auch immer wieder.

Redelstein: Ich habe Frau und Kinder, bin Opa. Das erdet und das ist sehr wichtig. Und wir beide haben sehr viel Humor, wir lachen viel gemeinsam und das ist von großer Bedeutung.

Völklein: Für mich spielt mein Glaube natürlich auch eine Rolle. Wir wollen aber auch nicht verschweigen, dass einem schon sehr vieles nachgeht.

Hat sich in den vielen Jahren, in denen Sie als Seelsorger tätig sind, das Verhältnis der Menschen, die Sie betreuen, gegenüber Gott und Glauben verändert?

Redelstein: Ja, das hat viel mit den Veränderungen in unseren Kirchen zu tun. Ich erlebe aber immer noch, dass viele Patienten und Angehörige ein sehr anrührendes Bedürfnis nach Begleitung haben. In Gesprächen geht es auch viel um Grundfragen: Wie geht es weiter? Und dann merkt man, dass ganz viele Menschen noch gläubig im Sinne von offen für Transzendenz sind. Mir geht es darum, in diesen Begegnungen den Raum für Gott offen zu halten und Menschen zu ermutigen, ihre eigenen Antworten zu finden.

Völklein: Viele Patienten bringen auch Beziehungsfragen ein, hegen viel Wut und Groll. Und sind dann auch wütend auf Gott. Auch das gehört zu meinem Glauben, dass die Menschen klagen dürfen. Das kostet manchmal schon Kraft, aber dafür bin ich da.

Redelstein: Ein Patient auf der Palliativstation hat mir gesagt, dass er nichts mit Glauben und Kirche zu tun hat, als ich mich vorgestellt habe. Ich bleib trotzdem ein bisschen bei ihm und habe ihm einfach Zeit und Raum zum Erzählen gelassen. Am Ende hat er sich dafür bedankt, dass ich ihn nirgendwo hingedrängt habe. Aus solchen Gesprächen gehe ich auch bereichert raus.

Also spielen Gespräche über Gott und Religion in Ihrem Alltag eher eine untergeordnete Rolle? Sie kommen nicht mit der Bibel ans Krankenbett, wenn jemand sagt, es gehe ihm schlecht.

Völklein: …und dann sagen wir, Seite 699 (lacht)…

… und „der liebe Gott wird´s schon richten“.

Völklein: Das wäre die Karikatur eines schlechten Seelsorgers. Aber wir lösen bei Menschen schon etwas aus, wenn wir als Pfarrer kommen. Weil dann bestimmte Fragen gestellt werden dürfen, die vorher nicht gestellt worden sind.

Wie kann man das verstehen?

Völklein: Auf der Intensivstation sind wir beide auch in der Ethik-Visite. Dabei geht es darum, dass wir mit Ärzten und Pflegenden am Ende eines Lebens ethische Fragen bedenken. Wir haben eine Familie begleitet, als es darum ging, ob man weiter Intensivtherapie macht. Und gleichzeitig hat man gespürt, dass man nicht weiterkommt. An einem Tag bin ich nach der Ethikvisite zu der Frau gegangen, die ihren Mann begleitet hat, und habe als Seelsorger mit ihr gesprochen. Dabei kamen plötzlich ganz andere Fragen auf und Erinnerungen, was ihr Mann im letzten halben Jahr zu ihr gesagt hat über seine Einstellung zum Leben und zum Tod. Wir konnten einen guten Weg finden bis hin zum Abschied mit der ganzen Familie.

„Das Wichtige ist die Ehrlichkeit“, sagt Krankenhausseelsorger Uli Redelstein. Rudi Penk

Redelstein: Das Wichtige ist die Ehrlichkeit im Gespräch. Und das geht weit über die Patienten hinaus. Was wir beide sind, sind wir auch für Angehörige, Mitarbeitende und das System Krankenhaus. Wir verkörpern etwas, das nicht sofort verwertbar ist. Die Mitarbeitenden können uns vertrauen, weil wir nicht unmittelbar im System verwoben sind, aber gleichzeitig eine hohe Kompetenz haben.

Gibt es im Heidenheimer Klinikum auch muslimische Seelsorger?

Redelstein: Ja, es gibt zwei ehrenamtliche muslimische Seelsorger.

Völklein: Zu denen haben wir einen sehr guten Draht, wir sind in regem Austausch.

Sie würden aber grundsätzlich auch muslimische Patienten betreuen?

Redelstein: Natürlich, das war ja lange auch so bevor es die beiden Kollegen gab. Wir sind für alle Menschen da und fragen nicht zuerst nach Religion oder Konfession.

Gibt es in Ihren vielen Dienstjahren Situationen, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Völklein: Vor vielen Jahren habe ich eine Schlaganfall-Patientin betreut, die nicht mehr sprechen konnte. Ich habe dann mitten im Sommer ein bekanntes Weihnachtslied mit ihr gesungen, auf einmal hat sie mitgesungen. Durch Singen wurde ihr möglich, etwas zu formulieren. Das war für mich ein erhebender Moment.

Redelstein: Zu Beginn der Corona-Pandemie, Mitte März 2020, waren alle Schotten dicht, davon waren auch Krankenhäuser betroffen. Ich kam auf eine Station und ein Mitarbeiter sagte zu mir: „Wenn Sie als Seelsorger sich auch noch vom Acker machen, dann können wir einpacken.“ Da wurde mir klar, welche Bedeutung wir für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben. Wir sind verlässliche Partner, die sich nicht vertreiben lassen, die solidarisch sind und dazugehören. Seither spielt Mitarbeiterseelsorge eine viel größere Rolle als vor Corona.

Mit welchen Anliegen kommen die Mitarbeiter zu Ihnen?

Redelstein: Das ist ganz unterschiedlich. Wir sind für viele vertraut. Der Druck unter dem diese Mitarbeiter stehen, ist sehr groß, so dass viele an ihre Grenzen kommen. Auch, wenn sie ihrem eigenen Anspruch an gute Pflege und Medizin nicht mehr gerecht werden können. Häufig erzählen die uns dann von ihrer Not. Es geht aber auch um private Probleme.

Völklein: Manchmal reicht es, eine Tasse Kaffee zusammen zu trinken oder zwischen Tür und Angel miteinander zu sprechen. Deshalb ist es auch gut, dass wir regelmäßig da sind, damit wir den Menschen begegnen können.

Nachdem Sie beide jetzt in den Ruhestand gehen, wie geht es mit der Klinikseelsorge weiter?

Völklein: Ich habe mit Ines Carina Kettinger eine Nachfolgerin.

Redelstein: Mein Nachfolger ist Diakon Michael Weiß, aber meine Stelle wird reduziert, damit gibt es künftig 100 Prozent evangelische und 100 Prozent katholische Seelsorge. Meine derzeitige Kollegin, Pastoralreferentin Lydia Hageloch, macht weiter mit 50 Prozent.

Und was machen Sie im Ruhestand?

Völklein: Ich werde mich mehr meiner Familie und dem Sport widmen, und ich habe noch angefangen, Cello zu spielen.

Redelstein: Ich gehe am 30. Juli in den Urlaub, und am 1. September beginnt mein Sabbat-Jahr. Ich habe mir ein Jahr angespart und gehe dann erst in Rente. Ich schließe also die Tür erstmal zu und möchte schauen, wohin es mich zieht. In den letzten Jahren waren Tod, Sterben und Trauer dominante Themen. Jetzt möchte ich schauen, welche anderen Themen und Aufgaben dran sind.

Völklein: Auch wir bekommen ein Sabbat-Jahr. Ich bleibe Pfarrer, werde aber vom Dienst entpflichtet. Ich werde auch Kollegen mit unterstützen, habe aber jetzt erstmal alles aufgegeben: Sowohl mein Engagement in einer Trauergruppe als auch im Hospiz.

Bei der Kirche angestellt

Der katholische Pastoralrefent Uli Redelstein (65) und sein evangelischer Kollege, Pfarrer Thomas Völklein (66), sind als Krankenhausseelsorger zwar im Heidenheimer Klinikum tätig, aber nicht dort angestellt. Das Beschäftigungsverhältnis besteht bei beiden mit den jeweiligen Kirchengemeinden. Beide Seelsorger besetzen 100-Prozent-Stellen. Daran, dass es 200 Prozent Krankenhausseelsorge gibt, wird sich nichts ändern, auch wenn die Stelle von Uli Redelstein künftig auf zwei Personen aufgeteilt wird.

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