Früher erschien der Oberbürgermeister vor der Fledermaus. Bernhard Ilg hatte es zum Standard erhoben, den Abend eines Heidenheimer Neujahrskonzert mit seiner Botschaft für die Stadt und den Erdkreis zu eröffnen, bevor er das Wort an die Musik weitergab. Sein Nachfolger Michael Salomo ließ am Samstag im Festspielhaus dem Prinzen Orlofsky in Person der Sopranistin Theresa Maria Romes den Vortritt, ehe er in seinen Grußworten die weithin leuchtende Ausstrahlung der Opernfestspiele hervorhob und, unterm Strich, die Kultur für unverzichtbar erklärte. Das würden, zumal in Zeiten wie diesen, sicher nicht alle politischen Mitspieler so unterschreiben wollen. Insofern war das jetzt mal ein Wort.
Wenn die Rede auf eine Fledermaus und auf den Prinzen Orlofsky kommt, dann ist automatisch auch Johann Strauß sofort mit im Spiel. Der Sohn, wie es gleich nach dem Namen immer dazu heißt, um ihn nicht nur vom Vater zu unterscheiden, sondern aus einer ganzen Dynastie von Straußen hervorzuheben. Man schreibt ihn, zugegeben wohl richtigerweise, seit einiger Zeit mit einem doppelten s. Wenn das an dieser Stelle anders ist, dann, sagen wir mal, möge man das ganz einfach dem Umstand geschuldet sein lassen, dass dem scharfen s seit dem Inkrafttreten der unseligen Rechtschreibreform schon genug Leids getan ward und wir nun den Spieß mal umdrehen wollen und die Sprache in dieser Sache für lebendig erklären und den Walzerkönig weiterhin so wie den Vogel schreiben wollen.
Tralalalera
Von Strauß war die Rede. Gleich ein halbes Dutzend Mal sollte das der Fall sein an diesem Abend, der, wir werden darauf andeutungsweise immer mal wieder zurückkommen, das Motto „Berauscht“ verpasst bekommen hatte. Das giung von der „Fledermaus“-Ouvertüre bis zur finalen Zugabe mit dem Loblied auf Champagner I. aus derselben Operette. Dort bewegt man sich „Im Feuerstrom der Reben“, wie es so schön heißt. Mit anderen Worten: Es wird gebechert. In der Operette fast immer nur Champagner, in der Oper eher Wein. Bier ausgeschenkt wird vielleicht am Waldrand beim „Freischütz“. Von dem war allerdings nicht die Rede am Samstag, außer ganz kurz, als der Moderator des Abends, Axel Brüggemann, gegen besseres Wissen gewissermaßen in der Wolfsschlucht falsch abbog und den „Freischütz“-Komponisten Carl Maria von Weber auch zum musikalischen Schöpfer des „Wildschütz“ erklärte. Bei Albert Lortzing wird allerdings weit weniger scharf geschossen.
Dafür selbstverständlich auch gesungen. Womit wir endlich bei den Solisten und überhaupt der Musik des Abends angelangt wären. Und die war bekanntlich fest in Heidenheimer Hand. Mit dem Grafen aus eben dem „Wildschütz“ zum Beispiel meldete sich der Heidenheimer Bariton Gerrit Illenberger, Heiterkeit und Fröhlichkeit verbreitend, wie’s der Text verlangt. Als Mozarts Don Giovanni kam Illenberger bei einem Neujahrskonzert selbstverständlich mit der bei uns sogenannten „Champagnerarie“ um die Ecke, und großen Effekt machte er mit Figaros berühmter Auftrittsarie aus Rossinis „Il barbiere di Siviglia“. Tralalalera, kann man da nur sagen.
Beamten unter sich
Wir fassen zusammen: Es wurde nach Noten getrunken, gelacht, getanzt an diesem launigen und – frei nach Straußen „Nacht in Venedig – etwas beschwipserlten Abend. Und wie, um dies alles auf einmal zu erledigen, ging auch der beamtete Müßiggänger Danilo aus Franz Lehárs „Die lustige Witwe“ wieder mal schnurstracks „zu Maxim“. Doch nicht nur dort, sondern ebenso im Festspielhaus wurde selbstverständlich auch geküsst, wofür die aus Sontheim an der Brenz gebürtige Sopranistin Theresa Maria Romes verantwortlich zeichnete, die sich in dieser Disziplin mit „Meine Lippen, die küssen so heiß“ zu Wort meldete und beileibe nicht nur als Franz Lehárs Giuditta reüssierte.
Alle im Festspielhaus angetretenen, in der Szene aufstrebenden Heidenheimer Gesangssolisten machten dort wahrhaftig bella figura. Das gilt auch für den Dritten im Bunde, den Heidenheimer Bassist Gabriel Fortunas, den Tieftöner der Runde, der zwar wenig zu küssen hatte, den man sich aber durchaus ebenfalls wenigstens ein bisschen beschwipst vorstellen durfte, da er sich, mit großem Tonumfang nach Rache schreiend, unter anderem auch als Mozarts Osmin vorstellte, jenem (beamteten?) Haremswächter, der bekanntlich auch vom Wein benebelt noch immer rechtzeitig erkannt hat, dass hinter seinem Rücken eine „Entführung aus dem Serail“ vonstattengehen soll.
Tico-Tico
Heidenheimer ist bekanntlich auch der hiesige Opernfestspieldirektor Marcus Bosch. Und die Cappella Aquileia wiederum gibt es nur, weil es Heidenheim und dessen Opernfestspiele gibt. Dirigent und Orchester werden, aber da erzählt man nichts Neues, auch international gerühmt. Und Dirigent und Orchester, dieses tatsächlich nun zum ersten Mal, waren selbstverständlich auch beim Neujahrskonzert zugange. Und, wie zu erwarten, ging bei der Gelegenheit die Post ab, selbst wenn in diesem Programm aus Operette, Oper und Musical Carl „Vogelhändler“ Zellers Briefchristel nicht eigens auftauchte.
Dafür gab’s ohne Gesang keinesfalls nur Walzer satt. Apropos: In all seinen schillernden Facetten so subtil wie Bosch und die Cappella muss man zum Beispiel den „Kaiserwalzer“ erst mal hinbekommen. Und dass man auch im Zweivierteltakt Vollgas geben kann, das bewies die Cappella völlig losgelassen und losgelöst mit Zequinha de Abreus "Tico-Tico" (no Fubá) im vom begeisterten Publikum frenetisch geforderten Zugabenteil gleich zweimal. Wie hatte Moderator Brüggemann doch festgestellt: Heidenheim ist ein echter Hot Spot der Klassik geworden. Wenn das ein Bremer behauptet, glauben es vielleicht sogar die Heidenheimer.
Das Festspielhaus war zweimal ausverkauft
Ausverkauft war das Heidenheimer Neujahrskonzert im Festspielhaus übrigens nicht nur am Samstagabend, sondern auch bei der Wiederholung am gestrigen Sonntag.