Eine Hütte im Wald, mit Wasserfall. Das ist das Plakat. Überall in der Stadt kündet es von einer neuen Ausstellung im Heidenheimer Kunstmuseum. Und diese beginnt dort mit einer Hütte. Sogar tatsächlich mit der Hütte, also der Hütte vom Plakat. Bloß ohne Wald. Und scheinbar auch ohne Bezug zu all dem, was man sich im Kunstmuseum auch immer erwarten mag. Eine neue Stille? Jedenfalls lautet so der Titel der Schau. „Neue Stille“.
Um was geht’s? Nun, um das in vollem Umfang herauszufinden, kommt es diesmal im Kunstmuseum womöglich auch darauf an, auf welchem Weg man die Ausstellung durchschreitet. Wo fängt man an? Gleich die Treppe hoch, an der Hütte vorbei, wohin einen mit Macht die Neugier lockt? Nein, behaupten jetzt wir einfach mal, besser unten.
Hase und Vogel
Dort lautet das Motto „Ein Platz in der Welt“. Daniel Beerstecher ist der Künstler, der ihn uns zeigt. Zur Stille, von der schon die Rede war, passt hier, dass sich Beerstecher, um es vereinfachend vielleicht halbwegs auf den Punkt zu bringen, mit dem Gegenteil dessen beschäftigt, was die meisten Plätze dieser Welt mittlerweile für uns bereithalten: Lärm, Hektik, solch alltägliche Dinge.
Beerstecher hingegen ist der Mann der Entschleunigung. Er läuft den ersten „Slow Walk Marathon“, in 350 Stunden von Donaueschingen bis Neuhausen ob Eck, er fährt, und zwar ausschließlich windgetrieben, mit dem Segelboot durch die Bergwelt Patagoniens, durchquert mit dem Surfbrett unterm Arm die Sahara oder – Joseph Beuys erklärte einst einem toten Hasen die Kunst – schnallt sich wie Mozarts Papageno einen Käfig auf den Rücken, um für einen gefiederten Freund den Reiseführer zu geben: „Wie ich meinem Vogel die Welt erkläre“, heißt es dann.
Von unten nach oben
Das alles ist per Video und anderweitig dokumentiert und findet, diese dabei ins Absurde oder Surreale ziehend, inmitten von Landschaften statt. Womit ein zweites Schlüsselwort zu dem, was das Kunstmuseum nun neu bietet, gefallen wäre. Denn im Subtext der beiden Ausstellungen wird auch die Frage gestellt, ob 250 Jahre nach Caspar David Friedrich inzwischen sogar von einer Rückkehr der Romantik gesprochen werden könne. Zurück zur Natur, so was in der Art. Und Daniel Beerstechers Antworten zielen – an mit Absurdität garnierten landschaftlichen Sehnsuchtsorten – in die Richtung, dass Mensch und Natur längst nicht mehr in Einklang zu bringen sind.
So fängt das an im Kunstmuseum. Dann geht’s die Treppe hoch, an der Hütte vorbei, in den großen Ausstellungssaal – und dort ist man erst mal baff. Denn der halbe Raum ist leer. Man könnte ihn auch still nennen. Aus der Ferne locken drei Landschaftsgemälde von Clemens Tremmel. Es sind Bilder, wie sie auch Caspar David Friedrich gemalt haben könnte, und zwar in dem Sinne, dass sich hier ein Maler von sicher real existierenden Landschaften emotional hat packen lassen, seine Landschaft aber dann aus vielen solchen Eindrücken erst im Atelier zusammensetzt.
Bildschirmhintergründe
Bei Clemens Tremmel kommt nun hinzu, dass er, im Bewusstsein dessen, was schon im Parterre bei Daniel Beerstecher anklingt, nämlich dass von einer verklärenden Naturwahrnehmung heute nicht mehr die Rede sein kann, an seine mit Öl auf Aluminium gemalten Landschaften gleichsam zerstörerisch Hand anlegt. Das klingt, um mal in Schubladen zu denken, wenig romantisch, sondern vielmehr sehr modern. Aber das passt, wenn man bedenkt, dass sich ja, nicht zuletzt, weil sie die klassischen Formen sprengten, auch die erst später so genannten Romantiker von einst sich in ihrem Selbstverständnis als modern einstuften.
Die Wand, an der die trotz heftiger Kratzer und klaffender Metallschlitze viel Ästhetik ausatmenden Bilder von Clemens Tremmel hängen, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als Teil eines Raumes im Raum, den man, ehe man ihn betritt, zunächst umrunden sollte, und zwar gegen den Uhrzeigersinn. Was hier dabei zunächst außen zu sehen ist, setzt sich durchweg kritisch mit unserem heutigen Verhältnis zur Natur und dem, was wir unter Romantik verstehen, auseinander. Es geht bei Jonah Gebka und Robert F. Hammerstiel unter anderem darum, welche Landschaften uns denn heute präsentiert werden, zum Beispiel auf Bildschirmhintergründen am Computer oder bei Online-Spielen. Menschen wirken hier wie Fremdkörper. Was macht das mit uns, wenn wir, dazu geschönte, idealisierte Landschaften öfter auf dem Bildschirm wahrnehmen als in der Natur? Oder ist das einfach nur ein anderes Medium als die Leinwand, auf der Caspar David Friedrichs ja ebenfalls idealistisch geschönte Bilder auf die Betrachter wirkten. Alles nur Sehnsuchtsbilder?
Tusche und Garnfäden
Ist man außen herum, geht’s im Kunstmuseum nun hinein in einen Kabinettraum. Teppichboden, nach oben hin hell, aber geschlossen, Sitzgelegenheit. Ein Raum der Ruhe und Stille. Darin düstere kleinformatige Gemälde von Jan Gemeinhardt, die an die schwarze Romantik am Ende des 18. Jahrhunderts gemahnen, Karen Irmers beim ersten Kennenlernen still wie ein Gemälde aus der Düsseldorfer Schule wirkende Videoarbeit „Hauch“, ein Blick in einen Nebelwald, der, wenn man will, zwölf Minuten dauert, oder Thomas Bergners tatsächlich analoge Landschaftsfotografie, deren Stunde dann schlägt, wenn es dunkel wird und die sich schlafenlegende Zivilisation die Landschaft weitestgehend in Ruhe lässt.
Und schließlich Linda Männels phänomenale Seestücke mit jeder Menge Himmel und Wolken, deren Basis immer Tuschemalerei auf Leinwand bildet, deren kolossaler Eindruck aber vor allem durch die in einem zweiten, sehr, sehr aufwendigen Schritt horizontal in den Bildgrund gestickten farbigen Garnfäden entsteht. Diese zweite Ebene mischt sich beim Betrachten auf faszinierende Weise mit dem schwarz-weißen Untergrund. Und hier wie überhaupt im Inneren des Raums im Raum gilt es vor allem der stillen Betrachtung. Jedenfalls hofft das der Museumsschef Marco Hompes, dem mit dieser Ausstellung, ganz nebenbei bemerkt, auch ein kuratorischer Coup gelungen ist. Im Schnitt sieben bis dreißig Sekunden, das hat man herausgefunden, verweilen Betrachter in Museen vor einem Bild. Das soll, das muss in Heidenheim besser, länger werden.
Sehnsuchtsorte
Schließlich: die Galerie, ganz oben im Kunstmuseum. Dort hängen die Landschaften des jungen Heidenheimers Liron Braun, der, wie an dieser Stelle zu lesen war, heute mit dem Roland-Riegger-Preis für Junge Kunst ausgezeichnet wird. Daneben eine Sitzecke, in der es sich die Besucher mit vor Ort deponierten romantischen Gedichten gemütlich machen können.
Und last but not least: die Hütte. Das Video zur Hütte im Wald und mit Wasserfall. Des Eingangsrätsels Lösung. Jonas Maria Ried und Florian Post hatten diesen auf den ersten Blick sehr romantischen Sehnsuchtsort für ein Jahr lang im Allgäu aufgebaut. Waldeinsamkeit? Davon kann sich in Heidenheim jeder nun sein eigenes Bild machen. Natürlich ist das eine höchst doppeldeutige Geschichte. Aber ist das nicht oft so mit Sehnsüchten?
Vernissage und Preisverleihung
Die Ausstellungen „Stille“ und „Ein Platz in der Welt“ werden am Freitag um 18 Uhr mit einer Vernissage im Kunstmuseum eröffnet. Bei dieser Gelegenheit wird auch der Roland-Riegger-Preis für Junge Kunst an den Heidenheimer Liron Braun verliehen. Geöffnet ist das Kunstmuseum von Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen von 11 bis 17 Uhr und mittwochs von 13 bis 19 Uhr. Die erste öffentliche Sonntagsführung durch die neuen Ausstellungen beginnt am 10. November um 11.15 Uhr.