Wer im Landkreis Heidenheim einen neuen Hausarzt braucht, hat mitunter Probleme, eine Praxis zu finden, die neue Patienten aufnimmt. Der Versorgungsgrad mit Hausärzten liegt rein formal bei 93,5 Prozent, auf 1624 Einwohner kommt ein Arzt oder eine Ärztin. Vor vier Jahren sah es noch besser aus, damals lag die Versorgungsquote bei 105,6 Prozent. Eine Verbesserung der Situation ist nicht in Sicht, im Gegenteil: „Es kommt ein massives Problem auf uns zu“, sagt Dr. Stefan Wolf. Der neue Vorsitzende der Heidenheimer Kreisärzteschaft ist zwar selbst niedergelassener Facharzt in Heidenheim, spricht aber für den gesamten Vorstand der Kreisärzteschaft, bei dem er ein Stimmungsbild eingeholt hat.
Mehr als ein Drittel ist über 60 Jahre alt
In Zahlen sieht das Problem so aus: Von den 83 Hausärztinnen und Hausärzten, die derzeit im Landkreis tätig sind, sind 22 zwischen 60 und 64 Jahren alt, zehn bereits 65 oder älter. Anders ausgedrückt: 39 Prozent der Hausärzte sind über 60 Jahre alt. Die Generation der Babyboomer steht kurz davor, in Rente zu gehen, was drastische Folgen haben könnte: „Die Situation, die jetzt schon unangenehm ist, wird sich zuspitzen“, so Wolf. Bei den Fachärzten sehe es im Übrigen nicht viel besser aus, hier folge das Problem mit ungefähr fünf Jahren Verzögerung, schätzt der Gastroentrologe.
Wie viele Menschen im Landkreis Heidenheim keine Hausarztpraxis haben, kann man nicht genau feststellen. Aber Stefan Wolf berichtet von einem Indikator: „In der Notfallpraxis am Klinikum Heidenheim kommen sechs Prozent der Patienten nicht aufgrund eines Notfalls, sondern weil sie Dauermedikamente brauchen“, berichtet er. Diese Zahlen seien im Juni und Juli dokumentiert worden. „Die hausärztliche Versorgung deckt offenbar nicht mehr den Bedarf“, so der Vorsitzende der Kreisärzteschaft. Zwar sind derzeit noch alle elf Kreisgemeinden mit mindestens einer Hausarztpraxis versorgt, aber immer wieder schließen auch Praxen ohne einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin.
Ärzteausbildung im Heidenheimer Klinikum
Was kann man tun, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken? Ein wichtiges Instrument sei der Weiterbildungsverbund im Klinikum Heidenheim, wo derzeit vier junge Menschen in der Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin seien. Diese haben zwar keine Verpflichtung, sich anschließend im Landkreis Heidenheim niederzulassen, aber es bestehe zumindest eine gute Chance, so Wolf. „Der Weiterbildungsverbund muss aber intensiviert werden“, sagt der Ärzte-Vorsitzende, man suche nach Strategien, wie dies gelingen könne. Wichtig sei auch, dass mehrere Lehrpraxen im Landkreis Heidenheim Medizinstudentinnen und -studenten im praktischen Jahr (PJ) betreuen.
In der Verantwortung, an der Lösung des Problems mitzuarbeiten, sieht Dr. Stefan Wolf aber keineswegs nur die Ärzteschaft, sondern: „Jeden – von der großen Politik bis hin zum Patienten.“ Die Rahmenbedingungen seien schwierig und würden jungen Medizinerinnen und Medizinern keinen großen Anreiz bieten, sich niederzulassen. Hier sei die Politik gefragt. Aber auch auf lokaler Ebene könne einiges dafür getan werden, um den Landkreis Heidenheim attraktiv zu machen, „damit Ärzte auch hier leben wollen“, so Wolf. Wichtig sei beispielsweise auch günstiger Wohnraum für Studierende in der Nähe des Klinikums, der derzeit aufgrund von Abriss und Neubau der Wohnbebauung im Klinikumfeld fehle.
Anspruchshaltung beim Patienten
Beim Patienten sieht er bisweilen eine schwierige Anspruchshaltung und wenig Gespür dafür, wie kostbar die Zeit beim Arzt sei: „Manche verstehen ihre Krankenkarte als Flatrate für die medizinische Versorgung.“ Die kassenärztliche Vereinigung (KV) nennt in ihrer 150-seitigen Publikation zur ambulanten medizinischen Versorgung 2023 in Baden-Württemberg einen weiteren Grund für den Mangel an Hausärzten: Bei jungen Medizinerinnen und Medizinern gebe es einen Trend dazu, in Teilzeit und in Anstellung anstatt in der eigenen Praxis zu arbeiten. Zu Beginn des Jahres 2023 hätten landesweit bereits 32 Prozent der KV-Mitglieder in Teilzeit gearbeitet. „Gerade von der nachrückenden Generation wird häufig gewünscht, Beruf und private Interessen besser in Einklang bringen zu können“, heißt es dazu in dem Bericht. Die Lösung für dieses Problem liegt in kooperativen Praxisformen und in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), in denen Ärztinnen und Ärzte in Anstellung arbeiten. Die Zahlen solcher Organisationsformen nehmen auch kontinuierlich zu, wohingegen die KV einen Rückgang bei den klassischen Einzelpraxen feststellt.
Hausärztinnen und Hausärzte als erster Ansprechpartner des Patienten sichern eine sinnvolle und effiziente Versorgung: „Die Hausärzte sind sehr wichtig für uns Fachärzte“, stellt Dr. Stefan Wolf in seiner eigenen Tätigkeit fest. Patienten ohne Hausarzt würden direkt zum Facharzt kommen, mitunter aber zum falschen, weil die fachliche Einschätzung durch den Hausarzt fehle - was dann am Ende das Gesundheitssystem unnötig belastet. „Die kooperative Zusammenarbeit ist von essenzieller Bedeutung“, so Wolf.
Was tun, wenn der Hausarzt fehlt?
Eine wichtige Anlaufstelle für Patientinnen und Patienten ist die Servicenummer 116 117, unter der rund um die Uhr an allen Tagen der Woche Rat bei dringenden medizinischen Anliegen erhältlich ist. Über die Telefonnummer wird zu sprechstundenfreien Zeiten auch der ärztliche Bereitschaftsdienst vermittelt. Außerdem erreicht man die Terminservicestelle, die gesetzlich Krankenversicherten hilft, einen Termin bei Haus-, Kinder- und Jugend- sowie Augen- und Frauenärzten zu bekommen. In lebensbedrohlichen Situationen sollte man aber die Nummer 112 für den Rettungsdienst wählen.