Der Elektronikkonzern TDK plant am Standort Heidenheim etliche Produktionslinien teils stillzulegen, teils ins Ausland zu verlagern. Bis ins Jahr 2027 sollen vor Ort 300 der derzeit 540 Arbeitsplätze abgebaut werden. Doch das sind nur Zahlen. Hinter jedem einzelnen Arbeitsplatz steht auch ein Mitarbeiter, steht ein Mensch. Ein Gespräch mit vier Betroffenen.
Erst seit zwei Jahren arbeitet Serafino Sabino bei TDK, doch ein Job in der Industrie ist für den 56-Jährigen nicht neu: 36 Jahre lang hatte er zuvor bei Osram gearbeitet. „Mein ganzes Leben war geprägt von der Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes, ich bin quasi mit Existenzängsten groß geworden.“ Zwar hat er alle Krisen, die Osram durchlief, überstanden, hat seinen Arbeitsplatz behalten, „aber diese Unsicherheit prägt einen tief“. Vor zwei Jahren bot sich die Gelegenheit, nach Heidenheim zu TDK zu wechseln. „Die wollten mich haben, so schnell wie möglich, und ich habe zugesagt.“ Er habe die Ungewissheit an seinem früheren Arbeitsplatz einfach nicht mehr ausgehalten.
„Ich war schockiert“
Verbunden war für Sabino mit dem Wechsel des Arbeitgebers auch der tief sitzende Wunsch, endlich zur Ruhe zu kommen. „Ich hatte gehofft, meine Ängste loszuwerden. Ich war, wie schon bei Osram, dazu bereit, alles zu geben für meinen Arbeitgeber und für den Standort.“ Schnell habe er gemerkt, dass bei TDK in Heidenheim etwas nicht stimmt: „Ich komme aus der Industrie, ich spüre das.“ Aber er habe weitergemacht, die Bedenken ignoriert, gedacht, das passe schon so. Doch dann kam bei der Betriebsversammlung im April die Hiobsbotschaft von der geplanten Streichung der Arbeitsplätze. „Das war ein Déjà-vu für mich, ich war schockiert. Alles ist wieder auf Anfang“, erzählt Sabino. Er ist Einrichter an einer der Produktionslinien, die abgebaut werden sollen. „Dieser Gedanke zermürbt mich.“
Sabino hat zwei Kinder, ein Haus gekauft, Kredite zu bedienen: „Ich will arbeiten, wollte immer arbeiten, nie jemandem zur Last fallen.“ Doch in seinem Alter sei es nicht so einfach, nochmal etwas zu finden. „Ich weiß nicht, was kommt, und das löst große Ängste aus.“
40 Jahre Familiengeschichte
Mit dem Eintritt bei TDK setzte Dennis Paxian eine Familiengeschichte fort. 40 Jahre lang war sein Vater im Unternehmen tätig, „ich habe meinen Beruf als Industriemechaniker erlernt, um hier arbeiten zu können“. Er ist 38 Jahre alt, arbeitet seit sechs Jahren bei TDK. „Es war eine große Ehre für mich, mit meinem Vater Hand in Hand zu arbeiten in so einem großen Unternehmen.“ Doch dann kam der Moment des Erwachens: „Plötzlich wissen wir nicht mehr, wo wir stehen, was morgen sein wird.“ Auch Paxian ist Einrichter, und das mit Leidenschaft: „Die Menschen, die bei TDK arbeiten, sind nicht meine Arbeitskollegen, sie sind meine Familie. Wir müssen kämpfen und dürfen nicht zulassen, dass das zerrissen wird.“
Auch ihn plagen seit dem Bekanntwerden der Abbaupläne Existenzängste. „Ich habe keine Kinder, aber die Angst, was kommen wird, lässt mich nicht mehr schlafen, ich habe Alpträume.“ Entsetzt ist Paxian wie seine Kollegen darüber, dass das Standortmanagement keinerlei Bereitschaft zeigt, einen Kompromiss zu suchen. „Wir sind bereit, auf sehr vieles zu verzichten, um den Standort zu erhalten, aber das wird einfach vom Tisch gefegt.“ Früher habe man im Unternehmen den Standort Heidenheim als Tor zu Europa bezeichnet, heute sei er dem Konzern nichts mehr wert.
Gleichgültigkeit macht fassungslos
Seit Monaten plagt auch Patrick Zimmermann die Schlaflosigkeit. „Die Gleichgültigkeit, mit der das Management die Alternativvorschläge zum Stellenabbau bei der Betriebsversammlung quittiert hat, hat mich fassungslos gemacht“, sagt Zimmermann, der auch Mitglied des Betriebsrats ist: „Die saßen vorne und haben gegrinst.“ Dass es mit dem Standort nicht zum Besten bestellt sei, habe sich schon vor zwei Jahren gezeigt. „Auslaufende Verträge von guten Mitarbeitern wurden nicht verlängert, es kamen immer mehr Leiharbeiter. Das Schichtmodell wurde umgebaut, oft hieß es, die Auftragslage sei nicht gut, dann mussten wieder Überstunden geleistet werden.“ All das habe Auswirkungen auf ihn und auch andere Mitarbeiter gehabt. „Dieses Hinhalten, die Unsicherheit, auch die finanziellen Einbußen: Das macht etwas mit einem.“
Die Betriebsversammlung im März sei „ein massiver Schock“ für ihn gewesen. „Die hat mir und vielen anderen gezeigt, dass wir keinerlei Wertschätzung erfahren, für das Management weniger bedeutend sind als eine Nummer. Menschlich sind wir denen nichts wert. Wir fühlen uns betrogen, belogen und im Stich gelassen“, sagt der 35-Jährige, der seit 2018 bei TDK arbeitet.
„Das Schlimmste ist die Ungewissheit“
„Das Schlimmste ist die Ungewissheit, keiner weiß, ob es ihn erwischt oder nicht“, beschreibt der 43-jährige Markus Großberger die Situation. Er arbeitet seit sieben Jahren bei TDK, ist auch Einrichter an einer jener Linien, die geschlossen werden sollen. „Ich weiß derzeit nicht, was werden soll. Wenn ich arbeitslos werde, müssen meine Kinder ihre Hobbys aufgeben.“ Auch er hat ein Haus abzubezahlen. „Obwohl man alles gegeben hat, fühlt sich das an wie eine persönliche Niederlage. Obwohl man weiß, dass man nicht dafür verantwortlich ist.“ Er habe gedacht, bis zur Rente bei TDK arbeiten zu können, „und plötzlich bricht alles weg.“
Unverständnis, Wut und Fassungslosigkeit gegenüber der Standortleitung eint alle vier TDK-ler und wahrscheinlich auch noch viele andere ihrer Kollegen. „Wie mit uns umgegangen wird, hätte ich mir niemals vorstellen können, das gab es früher nicht“, sagt Sabino. „Das passt einfach nicht zu der Leitkultur, die viele japanische Konzerne, auch TDK nach außen hin zeigen.“ Dazu gehöre auch, dass die Mitarbeiter in Heidenheim ungarische Kollegen an den Maschinen hätten einlernen sollen. „Wir sollten quasi dabei mithelfen, unsere Arbeitsplätze abzubauen und ins Ausland zu verlagern. So etwas kann sich nur jemand ausdenken, der keinerlei Respekt vor den eigenen Mitarbeitern hat.“
Und das, obwohl Großberger wie auch seine Kollegen davon überzeugt ist, dass der TDK-Standort Heidenheim Zukunft haben könnte. „Es gibt Möglichkeiten der Umstrukturierung, wir stellen zukunftsfähige Produkte her.“ Um andere Stellen beworben hat sich Großberger bisher noch nicht: „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ So verhält es sich auch bei Paxian: „Ich habe mich auch noch nicht beworben, habe noch einen kleinen Funken Hoffnung. Ich liebe meinen Job, und wenn ich meine erste Bewerbung abschicke, habe ich diese Hoffnung völlig aufgegeben.“
Wenig Zuversicht
Wenig Zuversicht, ihre Arbeitsplätze behalten zu können, haben Serafino Sabino und Patrick Zimmermann. „Wir wollen alle hierbleiben und unseren Job weiterhin gut machen. Aber alles, was zählt, ist billig, billig, und es heißt, unser Standort sei zu teuer“, sagt Zimmermann. Er glaube nicht, dass sich an der Entscheidung des Managements noch etwas ändern lässt. „Aber wir alle werden so lange wie möglich dafür kämpfen, den Standort zu erhalten.“ Ein Problem sieht Zimmermann auch darin, dass es trotz aller Klagen über den Facharbeitermangel in der Region zu wenige Jobs gibt. „Wenn wir arbeitslos werden, wird das sicherlich schwierig.“
Sabino sieht auch sein Alter als Problem bei der Jobsuche. Er habe schon einige Bewerbungen geschrieben, aber nur Absagen bekommen: „Aber ich will arbeiten bis zur Rente, ich brauche die Arbeit, ich will schließlich meinen Kindern und anderen Menschen auch ein Vorbild sein.“
Produktion soll ins Ausland
„Henry“ wird im TDK-Management das Umstrukturierungsprogramm genannt, das vorsieht, am Heidenheimer Standort elf der derzeit 19 Fertigungslinien schrittweise an Standorte in Ungarn und China zu verlagern. Drei weitere Produktionslinien sollen komplett geschlossen werden, sodass nur noch vier Linien erhalten bleiben. Vorgesehen ist, 300 der derzeit 540 Arbeitsplätze abzubauen.
Ein von Betriebsrat und IG Metall in Auftrag gegebenes Gutachten bei einem Institut hat die Situation vor Ort analysiert. Die Fachleute kommen zu dem Ergebnis, dass zwar Handlungsbedarf besteht, aber durch Umstrukturierungen und interne Veränderungen lediglich 50 Stellen abgebaut werden müssten, um den Standort zukunftssicher zu machen. Von Seiten des Standortmanagements wird dieser Alternativvorschlag jedoch abgelehnt.