Was man über den mutmaßlichen Täter weiß
Der Angeklagte im Prozess um den Mord in der Heidenheimer Degenhardstraße schweigt vor Gericht. Das ist in solchen Verfahren nicht ungewöhnlich, oft wartet die Verteidigung ab, was sich an Beweisen, Indizien und Zeugenaussagen findet, die ihren Mandanten belasten. Jedoch berichteten an den Prozesstagen viele Menschen aus seinem Umfeld über den 35-Jährigen und nicht zuletzt referierte eine Polizeibeamtin die Aussage, die der mutmaßliche Täter direkt nach der Tat bei ihr gemacht hatte.
Immer wieder tauchen zwei Seiten des Mannes auf, der einen 50-jährigen Heidenheimer in der Nacht auf den 14. März mit einem Kantholz in dessen Wohnung erschlagen haben soll: eine vom Alkohol enthemmte, unkontrolliert aggressive Seite, die sich in beängstigenden Gewaltorgien entlädt, aber auch ein anderes Gesicht, das einen Mann zeigt, der von Depressionen heimgesucht wird, der sich nicht im Leben zurechtfindet, den die Freundin „ganz lieb“ und die Clique „süß“ findet.
Kein Mensch, sondern ein Tier
„Ich bin kein Mensch, ich bin ein Tier. Ich bringe alle um, wenn es notwendig ist“, soll der 35-Jährige über sich selbst kurz vor der Tat gesagt haben. Das berichtete zumindest eine 35-jährige Zeugin, die eine gute Freundin des Opfers gewesen sein soll. Nach einem möglichen Tatmotiv befragt, schüttelte die Frau nur den Kopf: „Wir wissen nicht den Grund. Den weiß niemand.“
Der Angeklagte selbst wird ihn vermutlich auch nicht nennen können, da er sich bei der Polizei nur sehr bruchstückhaft an die Tatnacht erinnern konnte. Dass er die Zusammenkunft der Clique in der Wohnung des 50-Jährigen verlassen und eine Weile geschlafen hat, wusste er bei seiner Vernehmung nicht mehr. Davon hatte nur seine Freundin dem Gericht berichtet, die in der Tatnacht als einzige der anwesenden Zeugen nüchtern war. Dass er ein Kantholz als Tatwaffe benutzt haben soll, ist dem Mann auch entfallen, er gab bei der Polizei nur an, mit der flachen Hand auf das Opfer eingeschlagen und es mit Füßen getreten zu haben. Auch habe er gesagt, dass ihn ja niemand von den Schlägen auf das Opfer abgehalten habe, sonst hätte er damit aufgehört.
Geschlagen und an den Haaren gezogen
Dasselbe Muster des Abschiebens von Verantwortung gibt es offenbar bei einem anderen Vorfall, als der Mann im Oktober 2022 mit einem Barhocker auf seine Freundin losging, diese geohrfeigt, an den Haaren gezogen und mit Fäusten geschlagen hatte: Laut seiner Bewährungshelferin habe er sich an den Vorfall später nicht mehr erinnern können. Da sie aber immer noch seine Freundin sei, könne es ja nicht so schlimm gewesen sein, habe er der Bewährungshelferin erzählt. Eine weitere Parallele in beiden Fällen: Der 35-Jährige trat mit Füßen auf die am Boden liegenden Opfer ein, es scheint für ihn kaum eine Hemmschwelle zu geben.
Noch eine Besonderheit aus der Vernehmung war der Polizeibeamtin im Gedächtnis geblieben: Der Angeklagte hatte ihr bei dem Gespräch berichtet, dass er nach der Tat mit seiner Freundin in deren Wohnung gegangen sei und dort Sex mit ihr hatte. „Da bin ich erschrocken“, so die Polizistin. Im Gerichtssaal blieb es daraufhin sekundenlang vollkommen still, so ungeheuerlich scheint die Vorstellung.
Ein Suizidversuch
Mit dem psychiatrischen Gutachter Prof. Dr. Nenad Vasic hatte der Angeklagte einen Monat nach der Tat gesprochen. Dieser konnte deshalb berichten, dass der 35-Jährige in Timisoara in Rumänien geboren wurde und 2012 im Alter von 24 Jahren nach Deutschland kam. In Rumänien habe er eine Ausbildung zum Bürokaufmann begonnen, aber nicht abgeschlossen. In Deutschland war der Mann ungelernt in verschiedenen Jobs tätig. Schon seit dem Jugendalter habe er regelmäßig und in höherem Maß Alkohol konsumiert, so der Psychiater. 2016 sei seine Freundin gestorben, dieses Ereignis habe ihn aus der Bahn geworfen. „Es gab mehrere Schlägereien, die schließlich in einer Haftstrafe mündeten“, erläuterte Vasic.
Die Bewährungshelferin des Angeklagten berichtete davon, dass der mehrfach vorbestrafte Mann 2021 aus dem Gefängnis gekommen sei und damals sehr stabil war: „Er hat nicht getrunken, hatte Arbeit und wollte es angehen, seine Schulden zu tilgen.“ Im September hätte sich sein mentaler Zustand deutlich verschlechtert, im Oktober 2021 habe er einen Suizidversuch unternommen. Von diesem berichtete auch der psychiatrische Gutachter: Der Angeklagte habe sich mit Messerstichen selbst schwer verletzt, so dass er notoperiert werden musste. Danach sei er drei Wochen in der Psychiatrie gewesen, wo eine Depression diagnostiziert worden sei.
"Eine intelligente Person"
Vasic sagte, der Angeklagte sei „eine intelligente Person“. Er sei zur Reflexion fähig und habe überdurchschnittlich gute kognitive Fähigkeiten. Allerdings sprach er auch von einer deutlich dissozialen Persönlichkeit. Die seelische Erkrankung, an der der Mann leide, sei seine Alkoholsucht. Wie hoch der Blutalkoholgehalt bei der Tat war, ist im Nachhinein nicht mehr genau zu bestimmen, vom Psychiater wurde er auf rund zwei Promille geschätzt, er könnte aber auch höher gelegen haben. Dadurch sei zwar die Schuldfähigkeit des Mannes beeinträchtigt gewesen, seine Steuerungsfähigkeit aber nicht vollständig aufgehoben.
Der Gutachter sprach sich dafür aus, den Angeklagten nach Paragraph 64 des Strafgesetzbuches in einer forensischen Klinik zum Alkoholentzug unterzubringen: „Ohne eine Behandlung ist die Prognose für ihn in allen Bereichen negativ.“
Der Prozess wird am Mittwoch um 9.30 Uhr fortgesetzt. Nach den Plädoyers soll gegen Mittag das Urteil erfolgen.