Plötzlich weniger Lärm

Was sich im September 1964 am Himmel über Heidenheim änderte

Militärischen Fluglärm waren die Heidenheimer seit Langem gewohnt. Im September 1964 änderte sich dann etwas Grundlegendes.

60 Zentimeter lang ist eine Eisenstange, mit der im September 1964 ein 30-Jähriger einen Kriminalbeamten attackiert. Er hält sich beim Steinheimer Kreuz zunächst im Wald verborgen und stürzt sich dann unvermittelt auf den Polizisten. Dessen Kollege und weitere Personen überwältigen den Angreifer. Das Motiv des Mannes bleibt zunächst im Dunkeln.

Möglicherweise wäre der Übergriff unterblieben, hätte der Beamte einen Schäferhund mit sich geführt. Interpol, Militärs, Kripo, Bergrettungsdienste und das Rote Kreuz setzen die Tiere regelmäßig ein, ist in der HZ zu lesen. Und die weltweite Nachfrage ist groß. Bedient wird sie unter anderem aus dem Brenztal: Die 1903 gegründete Ortsgruppe des Vereins für Deutsche Schäferhunde bildet auf dem Giengener Schießberg Hunde für ihre späteren Einsätze aus. Es ist eine mühevolle und kostspielige Arbeit: „Bei intensiver Haltung braucht ein Hund für zwei Mark Futter pro Tag.“

Im Herbst 1964 auch in Heidenheim gang und gäbe: Mülldeponien unter freiem Himmel. HZ-Archiv

Um weitaus größere Summen geht es bei einem Ärgernis, das die Heidenheimer Stadtverwaltung beschäftigt: wilde Müllablagerungen. Die finden sich an immer mehr Stellen in der Landschaft, seit Anfang 1963 ein neues Gebührensystem mit Kontrollmarken und Banderolen eingeführt wurde. Auf einen Schlag sank damals die Zahl der zur Leerung bereitgestellten Abfalleimer um 30 Prozent.

Es braucht nicht viel Fantasie, um einen kausalen Zusammenhang herzustellen und sich die Folgen auszumalen. Unterm Strich müssen alle redlichen Bürger ein Defizit von 180.000 Mark tragen. Damit sich das ändert, denkt die Stadt an einen Mix aus Grund- und Leistungsgebühr. Er soll die Motivation beseitigen, den Dreck einfach in die Natur zu kippen.

Finanzielle Probleme im Heidenheimer Rathaus

An einer weiteren Stelle drückt die Verantwortlichen im Heidenheimer Rathaus der Schuh: Die Finanzlage der Stadt ist alles andere als rosig. Es fehlen 1,2 Millionen Mark, um den Haushalt ausgleichen zu können. Das Regierungspräsidium als Aufsichtsbehörde erklärt sich unter gewissen Bedingungen bereit, Darlehen in dieser Größenordnung zu genehmigen. Allerdings zeichnet sich für das nächste Jahr keine Besserung ab. Folglich stehen zwei Alternativen im Raum: Steuern und Gebühren erhöhen, oder aber sämtliche kommunalen Aufgaben auf ein Mindestmaß beschränken.

„Wir mussten und müssen in manchen Dingen eben kurztreten und sparsam wirtschaften“, sagt Bürgermeister und Stadtkämmerer Emil Ortlieb mit Blick auf die kommenden Monate, „sind aber, das kann gesagt werden, unseren Aufgaben bisher im Großen und Ganzen rechtzeitig und gut nachgekommen.“

Neues Hallenbad soll fünf Millionen Mark kosten

Unterdessen gibt es nicht nur Probleme finanzieller, sondern auch personeller Art: Weil nicht genügend Bedienstete zur Verfügung stehen, sind ab dem 7. September die Wannen- und Brausenbäder im Stadtbad jeweils dienstags geschlossen. Gleichwohl plant die Verwaltung den Bau eines neuen Hallenbades. Oberbürgermeister Elmar Doch zufolge dürften die Kosten rund fünf Millionen Mark betragen.

Der Rathauschef zeigt sich zuversichtlich, den bereits beschlossenen Architektenwettbewerb in Kürze starten zu können, schließlich sind die Kaufverhandlungen für das ins Auge gefasste Gelände weit fortgeschritten. Dazu gehört das knapp 2000 Quadratmeter große Bittel’sche Grundstück an der Karlstraße.

Kreuzung zwischen Olga- und Marienstraße: 1964 erhält dieser Bereich des innerstädtischen Verkehrs in Heidenheim einen neuen Zuschnitt. HZ-Archiv

Gebaggert, geschraubt, montiert wird derweil an vielen Ecken in der Stadt. So erhält der Kreuzungsbereich von Olga- und Marienstraße auf Höhe der Bahnhofsanlagen einen neuen Zuschnitt. Der kugelförmige Gasbehälter der Stadtwerke ist zur Hälfte fertiggestellt. Und in der Mergelstetter Kläranlage wachsen drei Tropfkörper in die Höhe.

Es herrscht also ordentlich Betrieb – auch am Himmel. Am Fuße der Steinheimer Heide richtet die Heidenheimer Flugmodellbaugruppe die Bezirksmeisterschaften aus, und trotz Dauerregens messen sich dort in mehr oder weniger wasserfester Kleidung 50 Teilnehmer. Unter ihnen der mehrfache deutsche Meister Hermann Jenne aus Heidelberg. Er sichert sich den Sieg in seiner Klasse.

Der Bau des neuen Gasbehälters auf dem Gelände der Heidenheimer Stadtwerke ist im September 1964 weit fortgeschritten. HZ-Archiv

Geschieht das nahezu lautlos, bekommt das Publikum beim Flugtag auf der Irpfel bei Giengen ordentlich etwas auf die Ohren. Neben einem Zeppelin und Segelflugzeugen drehen dort nämlich auch zwei Düsenjets der französischen Luftstreitkräfte ihre Runden, die 20 Minuten zuvor in Belfort an der französisch-schweizerischen Grenze gestartet sind.

Buchstäblich alles auf den Kopf stellt vorübergehend Gerd Müller. Am Steuer eines Doppeldeckers verzückt er nicht nur den HZ-Reporter mit einem „wunderschönen Kleeblatt, einem Rückenkreis mit dem Kopf nach unten, einer Rollen-Acht, einer gerissenen Rolle mit anschließendem Looping und einem Messerflug“. Die begeisterten Blicke zieht auch ein Fallschirmspringer auf sich, der jedoch aufgrund des Windes den angepeilten Landeplatz nicht erreicht. Der angekündigte Auftritt der US-amerikanischen „Skydivers“ fällt aus, weil eines ihrer Mitglieder kurz zuvor bei einem Absturz ums Leben kommt.

Schon 1964 wird ständig in den Ausbau der Mergelstetter Kläranlage investiert. HZ-Archiv

Was die Veranstaltung zu einem Spektakel macht, ist im Alltag ein Ärgernis: Tiefflieger. Auf Wohlwollen stößt deshalb, dass Heidenheim nicht länger in einem Tieffluggebiet liegt. Die Menschen ertrügen zwar „die pfeifenden Düsenflugzeuge und den gelegentlich zu hörenden Knall beim Durchbrechen der Schallmauer mit Fassung“, heißt es in der Heidenheimer Zeitung.

Gleichwohl hätten die Bewohner der Stadt, die zu diesem Zeitpunkt mit Blick auf die Einwohnerzahl (50.313) deutschlandweit unter 24.500 Gemeinden den 97. Platz belegt, allen Grund, sich zu beschweren. Damit soll es nun also vorbei sein, und auch an einem angenehmeren Stadtbild wird kräftig gefeilt. Der viel Staub aufwirbelnde Abbruch der Brenzschule geht voran, und Ende September stehen nur noch Mauerreste.

Im September 1964 wirbelt der Abriss der Heidenheimer Brenzschule viel Staub auf. HZ-Archiv

Entlang der Brenzbahn sollen währenddessen die schienengleichen Übergänge verschwinden. So steht es in einem Antrag des Landtagsabgeordneten Alfred Rauch (CDU). Weil sich die Ära der Dampflokomotiven ihrem Ende zuneigt, spricht er sich zudem für eine baldige „Verdieselung“ der Strecke aus.

Pure Muskelkraft ist hingegen auf dem sogenannten Herrenwegle in Herbrechtingen gefragt. Eigentlich. Denn einst für Fußgänger ein Ort der Ruhe und Erholung an der Brenz, hat es sich angeblich zu einer Rennpiste für Fahrräder und Mopeds entwickelt. Mehr als 1000 davon sollen binnen eines halben Jahres gezählt worden sein.

Damit nicht genug: Ein Jugendlicher versucht, auf dem Weg einer älteren Dame die Handtasche zu entreißen. Hiebe mit einem Regenschirm und das Eingreifen von Passanten vertreiben den Angreifer. Fazit des Berichterstatters: „Das bürgerliche Spaziersträßchen wurde mit der Zeit zum Jagdgebiet lichtscheuen Gesindels.“

Warum ausgerechnet 60 Jahre zurück?

Im Dezember 2008 war der Lokschuppen Schauplatz eines Festabends, bei dem eine seit 60 Jahren bestehende freie und unabhängige Presse in Heidenheim im Mittelpunkt stand. Damals mischten sich Aus- und Rückblicke. Unter anderem wurde die Idee geboren, regelmäßig in Erinnerung zu rufen, worüber die HZ jeweils 60 Jahre zuvor berichtet hatte. Die Serie startete mit der Rückschau auf 1949. Mittlerweile gilt das Augenmerk dem Jahr 1964.

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