Saisonabschluss der „Kulturschiene“

Was William Wahls Musikkabarett auch im Heidenheimer Lokschuppen einzigartig machte

William Wahl bescherte mit seinem Musikkabarett einen grandiosen Saisonabschluss der „Kulturschiene“ im Heidenheimer Lokschuppen.

Sein neues Programm „Nachts sind alle Tasten grau“ sei aber weniger lustig als das alte, habe sich Musikkabarettist William Wahl schon entgegenhalten lassen müssen. Er selbst würde das nicht sagen, er würde eher sagen, es sei trauriger. Und das wiederum würde sein Publikum, das am Montagabend keinen Platz im Lokschuppen leer gelassen hatte, nicht sagen: „Traurig“ wäre so ziemlich das letzte Adjektiv, das den Zuhörern an diesem Abend in den Kopf kommen würde.

Dabei hat William Wahl durchaus traurige Themen bearbeitet: Unglückliche Liebe und das noch unglücklichere Ende derselben, Midlife-Crisis, älter werden, Einsamkeit und Dating-Plattformen, die Regentschaft der Algorithmen, die begrenzte Kapazität von Gehirnen und Menschen in der Krise, um nur ein paar der Inspirationen zu nennen, die William Wahl zu Liedern verarbeitet. Und darin wird auch nichts beschönigt. Das Schicksal, das zusammen-, aber eben auch wieder auseinanderführt, der stetig steigende körperliche Abbau, das Gefühl, dass so viele Menschen dümmer sind, dabei sind sie nur jünger, die Krise, die ein SUV beheben soll, Jesus und die hohen Erwartungen seiner Eltern – zugegeben, das alles könnte sehr, sehr traurig machen. Jeglicher Ansatz von Trübsal wird allerdings durch die Art des Vortrags im Keim erstickt: Zu köstlich sind die Texte, vielfältig und eingängig die Melodien, wunderbar der Gesang und die Klavierbegleitung ungeheuer virtuos.

Die Freude an verflossener Liebe

„Viel ist es nicht“, meinte William Wahl gleich zu Beginn über das, was er sich für sein Publikum ausgedacht habe. Aber auch das würde das Publikum im Lokschuppen heftig bestreiten. Nicht nur, dass die Themenauswahl eine große Bandbreite hatte, die Liedtexte strotzten nur so von Wortjonglage und Satzakrobatik, Hintersinn und Scharfsinn und eine gehörige Prise Albernheit, und dazu Reime zum Niederknien und Zwerchfellreizen. Schenkelklopfen war durchaus möglich, allerdings nur mit der Vorarbeit Aufpassen und Mitdenken. Zwar behauptete Wahl, Gehirne seien nur dafür ausgerichtet, durch die Savanne zu streifen, hier und da eine Beere zu pflücken und dann und wann an Kadaver zu lecken, doch würde das Publikum nach dieser gelungenen Vorstellung auch das bestreiten und entgegenhalten, Gehirne seien durchaus auch in der Lage und willens, seinem Programm zu folgen und sogar daran Freude zu empfinden.

Wobei Freude ja manchmal merkwürdige Ausrichtungen hat: William Wahl zum Beispiel empfindet sie beim Hören französischer Chansons über verflossene Lieben, denn „das ist so schön, da möchte man auch mal wieder eine verflossene Liebe haben“. Die hatte er nach eigenem Bekunden zuhauf, und so hat auch er ein Chanson parat – unerwiderte Lieben sind schließlich die künstlerisch wertvollsten, weil am fruchtbarsten für die kreative Verwertung. Sein Liebeslied für die Ehefrau gerät da schon eher fragwürdig: „Die Frau fürs Grobe“ ist ihr Kosename, denn trinkt er Cappuccino mit Schaum, fällt sie mal eben einen Baum, spielt er Rachmaninow und Haydn, kann sie es gar nicht unterscheiden. Die unverflossenen Lieben sind eben leider die unvergötterten.

Feiern und Reihern in Köln

Auch wenn Wahl über seine Heimat Köln berichtet und reimt und singt, ist das wohl so eine unverflossene Liebe. Seiner Warnung, nicht an das Klischee von Klüngel, Kölsch und Karneval zu glauben, die Wahrheit sei schließlich viel, viel schlimmer, folgte das Lied über das Savoir Vivre in Köln, das da lautet: Feiern und Reihern und der Kreislauf aus Karneval, Games.com und Christopher Street Day, die Lebenslust am Rhein, die ohne Kärchern nicht denkbar ist.

Auch zwischen den Liedern war es eine Lust, den Gedankengängen Wahls zu folgen, wenn er über Emojis philosophierte oder bedauerte, dass seine CD irgendwo auf Platz 74811 zwischen „Gesängen der bulgarischen Ostkirche“ und „Schlank im Schlaf auf Plattdeutsch“ rumgurkt. Diese „spezialisierte Hochleistung“, wie Wahl das Denken nennt, war das Publikum allerdings durchaus bereit zu erbringen, nicht nur, weil mittendrin und am Ende zuverlässig die Pointen aufscheinen. Schließlich ist das Nicht-Denken laut Wahl noch schwieriger, das funktioniere am besten beim Reden, am allerschwierigsten aber sei das Umdenken, in etwa vergleichbar mit dem Vorgang des Verfahrens, bei dem man ja auch nicht umkehre, sondern sich das Ergebnis schönrede.

Shisha-Bar und schicke Kita

One-Man-A-Cappella-Gesang zum Thema „Gendersternchen“ mit Innenarchitektinnen innen und außen, das interaktive Rätsellied über Namen, die Bewertung der Partnerin mit fünf von zehn Sternen, die bei Nörgeln rasch auf vier sinken – die Mühe, die sich Wahl bei der Zusammenstellung dieses Programms gegeben hatte, die hat sich gelohnt, auch wenn er meinte, weniger hätte es auch getan. Nein, nichts davon hätte das Publikum vermissen mögen. Und das gilt ganz besonders für die beiden Coversongs: Udo Jürgens‘ „Griechischen Wein“ holte er aus der Taverne in die Shisha-Bar und Korbinian-Flynn darf in die „schicke Kita“ – zur Melodie von „Chiquitita“.

William Wahl ist etwas geglückt, was selten geworden ist: Im großen weiten Feld des Kabaretts hat er eine ganz eigene Nische gefunden. Und das wäre dann so ein Wort, das einem nach dem Abend in den Kopf kommen kann: einzigartig.

So geht es in der Kulturschiene weiter

Mit William Wahl hat die Saison 2023/2024 der Kulturschiene einen hochkarätigen Schlusspunkt gesetzt. Die nächste Saison beginnt am 10. Oktober. Dann wird das Humor- und Satirekollektiv „Luksan Wunder“ aus Berlin mit „Comedy zwischen Internet und echtem Leben“ zu Gast sein.

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