Raumflug startete vor 25 Jahren

Welche Botschaft der gebürtige Heidenheimer Dr. Gerhard Thiele aus dem All mitbrachte

Vor genau 25 Jahren flog der Astronaut Dr. Gerhard Thiele ins All. Nach elf Tagen brachte der gebürtige Heidenheimer eine bemerkenswerte Botschaft mit zurück zur Erde.

Elf Tage, fünf Stunden, 38 Minuten. Viele Urlaube dauern länger und bleiben doch nicht annähernd so nachhaltig in Erinnerung wie jene Reise, zu der Dr. Gerhard Thiele am 11. Februar 2000 aufbricht. Um 18.43 Uhr deutscher Zeit startet er an Bord des Space Shuttle Endeavour vom Weltraumbahnhof Cape Canaveral in Florida (USA) aus ins All. Als er die Raumfähre am 23. Februar um 0.22 Uhr am Kennedy Space Center der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa wieder verlässt, liegen 181 Erdumrundungen hinter ihm.

Was nun folgt, ist ein Interview- und Vortragsmarathon, der Außenstehenden zweierlei verdeutlicht: Die sechsköpfige Besatzung des Orbiters hat Erfahrungen im Gepäck, die die auf der Erde Lebenden bis auf wenige Ausnahmen bestenfalls ansatzweise nachzuvollziehen vermögen. Und bei aller Faszination haben diese elf Tage, fünf Stunden und 38 Minute nichts mit einer entspannten Urlaubsreise zu tun.

Die Besatzung der SRTM-Mission (stehend von links): Janice Voss, Kevin R. Kregel, Dominic L. Gorie, Janet L. Kavandi sowie (sitzend von links) Mamoru Mohri und Gerhard Thiele. Nasa

Die SRTM-Mission (Shuttle Radar Topography Mission) ist vielmehr mit anspruchsvoller Arbeit verbunden. Schließlich geht es darum, eine Unmenge von Messdaten zu sammeln, aus denen am Ende eine dreidimensionale Karte der Erdoberfläche entstehen soll. Dazu werden vereinfacht gesagt Radarwellen zur Erde gesandt, dort reflektiert und von Antennen empfangen. Eines dieser Instrumente befindet sich an einem 60 Meter langen Mast aus Carbonfaser, der in einer Flughöhe von 233 Kilometern bei Tempo 27.000 aus der Shuttle-Ladebucht ausgefahren wird. Die unterschiedliche Laufzeit der Signale ergibt dann ein Höhenmodell.

Die Vorbereitungen auf das ambitionierte Vorhaben beginnen bereits 1996. Thiele versäumt es später nicht, darauf hinzuweisen, er sei zwar eines der bekannten Gesichter der Mission, zu ihrem Gelingen hätten allerdings Hunderte von Menschen beigetragen. Dass sich der Start der Endeavour mehrfach verzögert, passt ins Bild: Bereits 1987 als Astronaut ausgewählt, muss Thiele etliche Jahre warten, ehe es für ihn tatsächlich ins All geht. 1993 gehört er zur Ersatzmannschaft der D2-Spacelab-Mission und betreut diese als Backup-Nutzlastspezialist von Oberpfaffenhofen aus, wo sich das Kontrollzentrum des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt befindet.

Schmetterlinge im Bauch

Erst an besagtem 11. Februar 2000 verlässt er dann selbst die Erde. Während die Zeit bis zum Countdown verstreicht, sitzt die Aufregung neben ihm im Shuttle: „Ich hatte eine gehörige Menge Schmetterlinge im Bauch“, sagt er später im Gespräch mit der Heidenheimer Zeitung. Aber auch die nötige Abgeklärtheit, mit dieser Situation umzugehen: „Wer sagt, dass er überhaupt keine Angst hat, weiß nicht, was er tut, oder er sagt die Unwahrheit. Beides keine guten Voraussetzungen für den Astronautenberuf.“

Ohnehin lässt das Abenteuer durchaus Platz für Emotionen, wie dieses Beispiel zeigt: Den als Patch bezeichneten Flicken auf dem Overall der Astronautinnen und Astronauten entwirft Thiele für die SRTM-Mission. Zu sehen sind darauf ein Teil der Erde mit Längen- und Breitengraden, als Zeichen für die Zukunft so viele Sterne, wie die Mitglieder der Crew Kinder haben, und ein Regenbogen, der die Erde umgibt. „Wenn Sie genau hinschauen“, verrät Thiele, „können Sie sehen, dass der Regenbogen in den Farben Schwarz, Rot und Gold erscheint. Das habe ich denen in Amerika untergejubelt.“

Zusammen mit seiner ebenfalls aus Heidenheim stammenden Mutter Marianne und seinem Vater Gerhard trägt sich Gerhard Thiele (Zweiter von rechts) im Mai 2000 zur Freude des damaligen Oberbürgermeisters Bernhard Ilg ins Goldene Buch der Stadt ein. Nasa

Es ist ein Teil der Heimatgefühle, die auch Thieles Geburtsstadt einschließen. „Leider war es jedes Mal wolkig, wenn wir Deutschland überquerten“, sagt er in der Rückschau mit Bedauern. Die Technik lässt sich davon freilich nicht ausbremsen. Genau sieben Tage, 16 Stunden, 24 Minuten und 38 Sekunden nach dem Start wird Heidenheim von der Endeavour aus aufgezeichnet.

Die Landung glückt bestens, und Thiele hat wie jeder treusorgende Vater ein Mitbringsel für seine vier Kinder im Gepäck. Es ist, weil Souvenirstände im Weltall noch Mangelware sind, ideeller Natur. Eine Botschaft: „Bewahrt Euch Eure Träume.“ Mit diesem Satz signiert der promovierte Physiker auch ein Foto, das ihn zusammen mit zwei kleinen Heidenheimer Jungen zeigt. Sie wollen bis in die kleinste Verästelung wissen, was sich dort oben getan hat.

Interviews im Viertelstundentakt

Immer wieder wird diese Bitte an Thiele herangetragen. Bis heute. Und schon gleich nach der Rückkehr im Februar 2000 am Johnson Space Center in Houston. Im Viertelstundentakt gibt er Interviews und bemüht sich, dies stets mit der gleichen Frische zu tun. Eine schwierige Aufgabe, räumt er der HZ gegenüber ein, gleichwohl sei es ihm wichtig, „dass ich wirklich jedem das Beste gebe und die bestmöglichen Eindrücke schildere“. Gerhard Thiele: Überflieger mit Bodenhaftung.

Ein weiteres Mal ist Thiele auf dem Sprung ins All. 2003 bereitet er sich im sogenannten Sternenstädtchen, dem nach dem Kosmonauten Juri Gagarin benannten Ausbildungszentrum bei Moskau, als Ersatzmann für den Holländer André Kuipers auf einen Flug zur Internationalen Raumstation vor. Ziel der Sojus-TMA-4-Mission ist es, die neunte Langzeitbesatzung zur ISS zu bringen.

Leiter der Esa-Astronautenausbildung

Am Ende bleibt es Thiele versagt, beim Start vom Weltraumbahnhof Baikonur in der kasachischen Steppe in einem der Sitze festgeschnallt zu sein. Er übernimmt anschließend die Leitung der Astronautenausbildung der Europäischen Weltraumorganisation Esa, wird wissenschaftlicher Mitarbeiter am Europäischen Institut für Weltraumpolitik in Wien. Bis heute ist der mittlerweile 71-Jährige als Lehrbeauftragter an der Rheinisch-Westfälisch Technischen Hochschule in Aachen tätig.

In den Vorträgen, die er nach wie vor hält, geht es immer wieder um die elf Tage, fünf Stunden und 38 Minuten an Bord der Endeavour. Um Erinnerungen, Erfahrungen und Wünsche. So wie schon im Februar 2000. Damals teilt er die Einschätzung des Astronauten John Glenn – dieser umkreist 1962 als erster US-Amerikaner in einem Raumschiff die Erde –, wer einmal im All gewesen sei, wolle auf jeden Fall wieder dorthin. Thiele: „Ohne Einschränkung: ja!“ Bewahrt Euch Eure Träume.

Deutsche Raumfahrer

Außer Gerhard Thiele waren bislang weitere elf Deutsche im All: Sigmund Jähn (1978), Ulf Merbold (1983, 1992 und 1994) Reinhard Furrer (1985), Ernst Messerschmid (1985), Klaus-Dietrich Flade (1992), Ulrich Walter (1993), Hans Schlegel (1993 und 2008), Thomas Reiter (1995 und 2006), Reinhold Ewald (1997), Alexander Gerst (2014 und 2018) sowie Matthias Maurer (2021).

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