Besserer Schutz für Fußgänger

Welche Gesetzesänderung im Juni 1964 viele Heidenheimer verunsicherte

Als im Juni 1964 eine Änderung der Straßenverkehrsordnung in Kraft tritt, ist mancher plötzlich überfordert. Ein Blick ins Archiv der Heidenheimer Zeitung bringt die Details ans Licht.

60 Kilometer. Die Distanz, die die 26 Teilnehmer beim Rundstreckenrennen des Radfahrervereins Steinheim am 28. Juni 1964 um den Preis des Möbelauslieferungslagers Krause zurückzulegen haben, ist überschaubar. Aber die Strecke ist selektiv. Wie sonst könnte es dem Sieger, Peter Schindler aus Herpersdorf, gelingen, bei der auf 60 Runden angelegten Zeitenjagd das gesamte Feld zu überrunden?

Während die beiden Heidenheimer Heini Paul und Fritz Joos als beste Kreisvertreter die Plätze vier und sechs belegen, ist der Berichterstatter hin und weg vom Auftritt des Gewinners: „Es war frappant und stilistisch wunderbar zu sehen, wie der Zweite der deutschen Amateur-Stehermeisterschaft seine Runden zog und in gleichmäßiger Fahrt Boden gutmachte.“

Autos und Passanten kommen sich in die Quere

Weniger gute Haltungsnoten erhalten die Fußgänger, die oft unter Verrenkungen auf ihrem seit dem 1. Juni geltenden Vorrecht beharren. Kraftfahrzeuge, Radfahrer und Fuhrwerke dürfen jetzt nur noch mit mäßiger Geschwindigkeit an Zebrastreifen heranfahren und müssen gegebenenfalls anhalten. Passanten haben also Vorrang. Theoretisch. Denn die Buchstaben der Straßenverkehrsordnung und die Lebenswirklichkeit auf deutschen Straßen sind zwei verschiedene Dinge. Und die gesetzliche Vorgabe, die Straße auf dem markierten Weg „in angemessener Eile“ zu überschreiten, befreit nicht von der Notwendigkeit, es bisweilen mit fliegenden Rockschößen zu tun.

Stadtverkehr Mitte der 1960er-Jahre: In Heidenheim sind regelmäßig Doppelstockbusse unterwegs. Archiv

Grund ist die allseitige Verunsicherung, die auch bei einem Treffen der Berufskraftfahrer in Giengen beklagt wird. Das Echo auf die Neuerung, so viel ist schnell klar, fällt unterschiedlich aus. Die Heidenheimer Kreisverkehrswacht appelliert an die Fußgänger, mit Blick auf ihre eigene Sicherheit die Zebrastreifen auch in verkehrsstillen Zeiten zu benutzen. Ein Sprecher der Polizei bezeichnet die Regelung unterdessen als nicht ideal, weil sie nur einer Gruppe von Verkehrsteilnehmern einen Vorteil verschaffe. Das Amt für öffentliche Ordnung wiederum will die weitere Entwicklung beobachten.

Bahnschranke bremst die Heidenheimer Feuerwehr aus

Das tut auch die Heidenheimer Feuerwehr. Sie schaut dem Rauch hinterher, der von einem Dachstuhlbrand in den Himmel über Schnaitheim aufsteigt. Untätig müssen die zum Unglücksort eilenden Einsatzkräfte mit ihrem Löschfahrzeug sechs Minuten lang vor einer Bahnschranke warten, die sich im ungünstigsten Moment senkt und sie zu einem Zwischenstopp zwingt.

Ebenso ärgerlich wie dieser Vorfall, der nicht zu ignorierende Argumente für die Verlegung der Bundesstraße und für den Wegfall zweier schienengleicher Bahnübergänge liefert: Während bereits Hilfe unterwegs ist, wird weitere siebenmal der Notruf gewählt. Nicht aber, um den Brand zu melden. „Nur die Neugier plagte sie“, ist anderntags in der Heidenheimer Zeitung zu lesen, „sie übersehen anscheinend völlig, dass bei einem Brandfall der Bereitschaftsdienst in der Feuerwache anderes zu tun hat, als Fragen Sensationshungriger zu beantworten.“

Oberbürgermeister Elmar Doch (rechts) und Wolfgang Schrag, Präsident der Bundesbahndirektion Stuttgart, stoßen am 16. Juni 1964 auf den Umbau des Heidenheimer Bahnhofs an. Archiv

Ausdrücklich erwünscht ist Wissbegier bei der feierlichen Eröffnung des für 1,7 Millionen Mark umgebauten Heidenheimer Bahnhofs. Hunderte von Schaulustigen drängen sich vor der noch abgesperrten Empfangshalle, während sich an Gleis 1 bereits die Prominenz zuprostet. Oberbürgermeister Dr. Elmar Doch stößt mit Dr. Wolfgang Schrag, dem Präsidenten der Bundesbahndirektion Stuttgart, auf das Vorhaben an, das exakt 100 Jahre nach der Eröffnung der Eisenbahnstrecke Aalen – Heidenheim seinen Abschluss findet.

Die Arbeiten haben 29 Monate gedauert. Schrag bittet deswegen um Nachsicht und lenkt den Blick in die Zukunft: Es bestehe Hoffnung, dass der Schienenweg zwischen Stuttgart und Aalen bald schon vollends elektrifiziert werde und dann auch Heidenheim günstigere Bahnverbindungen bekomme …

Die Heidenheimer Delegation um OB Elmar Doch (vorne, Zweiter von rechts) gedenkt im Juni 1964 in Clichy des verstorbenen Beigeordneten der Stadt, René Auffray. Archiv

Elmar Doch vernimmt die Kunde mit der nötigen Abgeklärtheit, weiß er doch einzuschätzen, wie viel Wasser bis zur Umsetzung ambitionierter Bahnprojekte die Brenz hinabfließt. Oder die Seine. Auf ihr verbringt der Rathauschef anfangs des Monats an Bord eines Dampfers einen Abend bei Kerzenschein, während er zusammen mit dem Gemeinderat Heidenheims französische Partnerstadt Clichy besucht.

Offenkundig um pünktliches Eintreffen bemüht, reist die Delegation mit dem Bus und nicht mit der Eisenbahn an. Schneller ginge es natürlich mit dem Flugzeug. Aber es wäre auch kostspieliger, zumal die Gründung der ersten Billig-Airline noch auf sich warten lässt. Die Faszination des Reisens durch die Lüfte beschränkt sich deshalb für die meisten aufs staunende Betrachten.

Ein Kampfflugzeug als Publikumsmagnet

So steht die Taufe des Hochleistungssegelflugzeugs SF26 im Mittelpunkt eines Balls, den die Fliegergruppe Heidenheim im Konzerthaus veranstaltet. Rudi Regel, stellvertretender Vorsitzender des Vereins, und eine Stewardess der Lufthansa geben dem zu großen Teilen aus Sperrholz bestehenden Leichtgewicht den Namen Windspiel.

Völlig andere Flugeigenschaften verspricht ein „Starfighter“, den sich 15.000 Menschen genauer ansehen wollen. Das Kampfflugzeug steht im Mittelpunkt einer Ausstellung vor der Karl-Rau-Halle, mit der die Luftwaffe Werbung in eigener Sache betreibt. Parallel dazu ist das Donaumoos Schauplatz der größten Luftlandeübung in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Von Sontheim und Niederstotzingen aus gut zu beobachten, springen 2300 US-amerikanische Fallschirmjäger ab. Außerdem werden Artilleriegeschütze, Munition, Fahrzeuge und Verpflegung abgeworfen.

Bei der Luftlandeübung „North Wind“ im Donaumoos schwebt im Juni 1964 ein Artilleriegeschütz an einem Fallschirm zur Erde. Archiv

Das Spektakel geht nicht ohne Probleme ab: Nicht alle Fallschirme öffnen sich wie geplant, und so bohrt sich ein Jeep in die Erde. Obendrein bricht sich ein Soldat bei der Landung ein Bein. Unglaubliches Glück hat derweil eine Fallschirmspringerin bei Hof. Ihre Ausrüstung funktioniert nicht wie geplant, auch der Reserveschirm versagt. Der nahezu ungebremste Sturz aus 1000 Metern Höhe endet im weichen Erdreich. Erstaunlicherweise kommt die 20-Jährige mit leichten Prellungen davon.

Warum ausgerechnet 60 Jahre zurück?

Im Dezember 2008 war der Lokschuppen Schauplatz eines Festabends, bei dem eine seit 60 Jahren bestehende freie und unabhängige Presse in Heidenheim im Mittelpunkt stand. Damals mischten sich Aus- und Rückblicke. Unter anderem wurde die Idee geboren, regelmäßig in Erinnerung zu rufen, worüber die HZ jeweils 60 Jahre zuvor berichtet hatte. Die Serie startete mit der Rückschau auf 1949. Mittlerweile gilt das Augenmerk dem Jahr 1964.

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