Zehn Jahre nach der Tat

Wer ermordete die Heidenheimerin Maria Bögerl?

Das spektakulärste Verbrechen in Heidenheim jährt sich am 12. Mai 2020 zum zehnten Mal. Die Suche nach dem Täter im Modrfall Maria Bögerl läuft bis heute. Was geschah damals? Besteht noch eine Chance, die Tat aufzuklären?

Wer ermordete die Heidenheimerin Maria Bögerl?

Wo warst du an dem Tag, als Maria Bögerl entführt wurde? Fast jeder aus der Region, der alt genug ist, um sich zu erinnern, kann die Frage beantworten. Das Verbrechen ist im kollektiven Gedächtnis der Heidenheimer so gut verhaftet wie kaum etwas anderes.

Am 12. Mai 2010, einen Tag vor dem Feiertag Christi Himmelfahrt und damit einem verlängerten Frühlingswochenende, wird Maria Bögerl entführt. Die halbe Stadt hofft, bangt, fiebert mit, will helfen. Und trauert, als die Leiche drei Wochen später in einem Wald bei Nietheim gefunden wird. Damit schwinden alle Hoffnungen auf einen guten Ausgang dieser tragischen Geschichte, deren kriminalistisches Ende ebenso fehlt wie so etwas wie Gerechtigkeit.

Einiges wissen die Ermittler heute sicher, andere Dinge, wie zum Beispiel das Motiv, sind noch immer ein Rätsel. Doch was geschah damals vor zehn Jahren eigentlich? Antworten gibt eine Zusammenfassung der Ereignisse.

Was geschah am Tag der Entführung von Maria Bögerl

Es ist ein Mittwoch, 10.30 Uhr. Maria Bögerl wird aus ihrem Haus im Schnaitheimer Baindt entführt. Wie der Täter ins Haus gelangt, ist unklar, vielleicht über die Garage, vielleicht öffnet Maria Bögerl ihm selbst die Tür? Die Spurenlage lässt vermuten, dass sich Maria Bögerl gegen ihren Peiniger zur Wehr setzt – ohne Erfolg. Der Entführer verschleppt sie im eigenen Auto, einer schwarzen A-Klasse. Wie später bekannt wird, ist Maria Bögerl mit Handschellen gefesselt.

Keine Stunde später, gegen 11.20 Uhr, klingelt bei Thomas Bögerl, ihrem Ehemann, das Handy. Der Vorstandsvorsitzende der Kreissparkasse Heidenheim ist gemeinsam mit einem Mitarbeiter im Niederstotzinger Rathaus, wo er mit dem damaligen Bürgermeister Gerhard Kieninger spricht.

Thomas Bögerl spricht mit dem Erpresser

Als Thomas Bögerl die Nummer seiner Frau erkennt, verlässt er das Zimmer. Am anderen Ende meldet sich ein Mann mit dem Namen „Schmid“, gibt sich als Entführer zu erkennen und fordert eine Lösegeldsumme über 300 000 Euro. Das Geld soll zwei Stunden später in der Nähe des Autobahnbetriebshofes an der A 7 abgelegt werden. Die Stelle ist mit einer Deutschlandflagge gekennzeichnet. Diese Flagge ist Namensgeber der Sonderkommission „Soko Flagge“, die kurz darauf gegründet wird. Bis zu 80 Spezialisten ermitteln in Spitzenzeiten.

Auf Schwäbisch droht der Entführer noch: „Machen Sie keine Sperenzchen.“ Thomas Bögerl darf kurz mit seiner Frau sprechen, die bestätigt, dass der Entführer ihr mit der Ermordung drohe. Das ist das Letzte, was Thomas Bögerl von seiner Frau hört.

Geldübergabe unter Zeitdruck

Er schaltet die Polizei ein. Weil der Entführer eine bestimmte Stückelung der Scheine wünscht, versucht der kleine Kreis der Beteiligten, das Geld über die Ulmer Bundesbank-Filiale zu besorgen. Das dauert so lange, dass die knappe Frist des Entführers verstreicht. Verschiedene Medien schreiben später von „Lösegeld-Panne“ und kritisieren die Polizei, durch auffällige Einsatzfahrzeuge den Entführer verscheucht zu haben.

Thomas Bögerl wirft das Geld, das in einem blauen Müllsack verstaut ist, gegen 15.30 Uhr beim Vorbeifahren an der vereinbarten Stelle aus dem Fenster. Es wird nicht geholt, der Entführer meldet sich nie wieder.

Die Suche nach der entführten Maria Bögerl beginnt

Am Tag nach der Entführung beginnt eine groß angelegte Suche nach Maria Bögerl rund um Nietheim. In dem kleinen Ort wimmelt es plötzlich von Polizisten, Hundeführern der Rettungsdienste und Medienvertretern mit Kameras und Mikrophonen. Das einzige Gasthaus am Ort, die „Linde“, wird zur Einsatzzentrale. Zwei Tage nach der Entführung wird im Klosterhof in Neresheim die A-Klasse Maria Bögerls gefunden, im durchsuchten Wald taucht Maria Bögerls Handy auf, die Frau jedoch bleibt verschwunden. Nach einer Woche stellt die Polizei die flächendeckende Suche ein.

Maria Bögerl: ein Fall mit vielen Sackgassen und falschen Spuren

Am ersten Wochenende nach der Entführung wird erstmals ein Tatverdächtiger festgenommen, der jedoch schnell als unschuldig freigelassen wird. Die Spur entpuppt sich als falsch, wie so oft in diesem Fall. Immer wieder hofft die Polizei auf den entscheidenden Durchbruch, glaubt, den Täter ermittelt zu haben, dann wieder führen Trittbrettfahrer die Polizei an der Nase herum. Wohl in der Hoffnung, etwas vom Lösegeld, das 100 000 Euro beträgt, abzubekommen. Zuletzt wird im April 2017 ein Königsbronner festgenommen, der mit der Tat geprahlt hatte, was sich als Lüge herausstellt. Im Januar gab es eine Hausdurchsuchung im Hohenlohischen – alles Sackgassen.

Im Mai 2010 bangt Familie Bögerl um die Mutter und Ehefrau. In einem offenen Brief bittet sie den Entführer „Lassen Sie unsere Mama frei!“ Eine Woche nach der Entführung wendet sich Thomas Bögerl deutschlandweit dann in der ZDF-Sendung „XY… ungelöst“ an den Entführer.

Gab es keine Chance, Maria Bögerl leben zu finden?

Der TV-Appell bringt jede Menge neuer Hinweise, doch keine entscheidende Wende. Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand weiß: Die Leiche liegt, wie sich später herausstellt, unter einem Reisighaufen in einem Waldstück bei Nietheim. Ein Spaziergänger mit Hund findet sie drei Wochen nach der Entführung. Die Obduktion ergibt, dass der Täter Maria Bögerl schon am Tag der Entführung mit Messerstichen ermordet hat.

Die Anteilnahme ist groß. Es gibt Andachten und einen zentralen Trauergottesdienst in der Dreifaltigkeitskirche. Das Medieninteresse ist riesig. Immer wieder tauchen Berichte und neue Spekulationen auf. Die Soko hält sich die ganze Zeit sehr bedeckt. Sie verweist auf Täterwissen, das sie nicht preisgeben will.

Auch Thomas Bögerl wird immer wieder Opfer von Spekulationen, er sei in die Tat verwickelt. Ebenso geraten die beiden Kinder ins Visier der Ermittler, alles ohne Ergebnis. Sie werfen der Polizei schwere Fehler vor, ziehen sich aus der Öffentlichkeit so weit wie möglich zurück.

Am 11. Juli 2011 dann eine weitere tragische Entwicklung in der Geschichte. Thomas Bögerl nimmt sich in seinem Haus das Leben. Er hinterlässt nur einen kurzen Abschiedsbrief, in dem er nichts über die Beweggründe preisgibt, sondern der laut Polizei an die Kinder gerichtet ist.

Ermittler setzen auf DNA-Test auf dem Härtsfeld und in Giengen

Im Februar 2014 kommt es noch einmal zu einem Großaufgebot: Weil die Ermittler vermuten, dass der Täter ortskundig ist, kommt es in Neresheim zu einem DNA-Massentest. Fast 3000 Männer geben eine Speichelprobe ab. Im August 2014 das gleiche Spiel in Giengen, wo Männer in der Memminger Wanne getestet werden. Alles führt zu nichts.

Anfang 2016 wird die Soko „Flagge“ aufgelöst, es wird jedoch weiter ermittelt. Die Hoffnung, den Fall doch noch zu lösen, haben Polizei und Staatsanwaltschaft bis heute nicht aufgegeben.