Weshalb die Heidenheimer Pauluskirche älter aussieht, als sie tatsächlich ist
Gut gehalten attestiert man anerkennend einem betagten Menschen, dem man sein wahres Alter nicht ansieht. Umgekehrt verhält es sich bei der Heidenheimer Pauluskirche. Sie ist jünger als sie wirkt. Und das ganz bewusst. Zur Sprache kommen dürfte diese Eigenheit auch am 17. Dezember. Dann wird mit einem Festgottesdienst an die Einweihung vor 125 Jahren erinnert.
Weshalb erhielt die Pauluskirche dieses Gesicht, das sie seit jeher zu einem unverwechselbaren Solitär in der Heidenheimer Innenstadt macht? Die Antwort gibt's im neuen Kirchenführer: „Geplant und gebaut wurde sie im Sinn und Stil des Historismus, der im Deutschen Kaiserreich ungemein populär war.“
Im Unterschied zu vielen anderen Kirchen fand später keine grundlegende Modernisierung statt, wurden Details nicht geschleift. Erfreulicherweise. Denn erhalten blieb somit der Originalzustand mit den neugotischen Dekorationen. Eine Konstante im sich unablässig verändernden Ortsbild. Dieses stellte sich lange sehr beschaulich und zugleich überschaubar dar. Mit der Industrialisierung wuchsen indes Einwohnerzahl und Ansprüche. Und so genügte die Michaelskirche – bis dahin Stadtkirche – irgendwann gleich in mehrfacher Hinsicht nicht mehr.
Kirchenbaufonds zur Finanzierung der Pauluskirche aufgelegt
Ein weiteres Gotteshaus sollte her, also wurde ein Kirchenbaufonds aufgelegt, der wohlhabende Arzt Dr. Christian Meebold übereignete der Gemeinde einen großen Teil seines innerstädtischen Anwesens als Baugrund, und als Architekt konnte der Stuttgarter Oberbaurat Felix von Berner gewonnen werden. Ihm ging der angesichts der ambitionierten Pläne nicht zu verachtende Ruf voraus, ein sparsamer Baumeister zu sein. Der Spatenstich erfolgte am 10. Mai 1895, die Grundsteinlegung am 20. Oktober desselben Jahres. Bereits gut drei Jahre später, am 18. Dezember 1898, dem vierten Adventssonntag, wurde die neue Kirche eröffnet. Und auch nur deshalb nicht noch früher, weil zwei verregnete Sommer für Verzögerungen gesorgt hatten.
Die Kirche an der heutigen Helmut-Bornefeld-Straße beeindruckte von Anfang an mit ihrer Größe: 74,50 Meter vom Fußboden bis zur Turmspitze, 1.000 Sitzplätze. Und sie überraschte die Besucher, die die dunkelrote Backsteinfassade hinter sich ließen und erstmals unter dem Tympanon, also dem Paulus zeigenden Bogen über dem Portal der Turmvorhalle hindurch den Innenraum betraten. Erstaunlich hell, farbig und freundlich präsentierte sich dieser.
Dazu tragen auch die drei Chorfenster bei, entworfen von Friedrich Wilhelm Wanderer, Professor an der Nürnberger Kunstgewerbeschule. Mehrfach wurden während der Weltkriege die Glocken zweckentfremdet und für die Rüstung eingeschmolzen. Seit 1949 versehen die aktuellen vier ihren Dienst. Die leichteste bringt 669 Kilogramm auf die Waage, die schwerste 3.355.
Ebenso hörenswert: Die Rieger-Orgel, am Pfingstsonntag 1995 als drittes Instrument nach dem Kirchenbau eingeweiht, aus mehr als .2700 Pfeifen bestehend und 1,1 Millionen Mark teuer. Zum Vergleich: Gekostet hat der Bau der Pauluskirche einst 440.000 Mark. Erhebliche Summen mussten bei späteren Arbeiten in die Hand genommen werden – 1963 erfolgte die Erneuerung der Heizung, 1974 war der Turm an der Reihe.
Deshalb ist die Rieger-Orgel ist eine Besonderheit:
Allein 2,5 Millionen Mark flossen 1989/1990 in die Sanierung des Innenraums. Dabei handelte es sich weitgehend um eine Grundreinigung, stand doch im Vordergrund, den ursprünglichen Zustand zu erhalten. Obwohl die Pauluskirche auch seither weniger Jahre auf dem Buckel hat, als die Optik vermuten lassen könnte, gilt festzustellen: Sie hat sich gut gehalten.
Die Glocken kamen am 10. Dezember zurück - die Geschichte dahinter:
Gottesdienst mit dem Landesbischof am 17. Dezember
Mit einem Festgottesdienst feiert die evangelische Paulus-Wald-Kirchengemeinde am Sonntag, 17. Dezember, ab 10 Uhr in der Pauluskirche deren 125-jährige Geschichte. Die Predigt hält Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl. Unter Leitung von Bezirkskantor Leonard Hölldampf ist ab 18 Uhr an gleicher Stelle das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach zu hören.