Toilettenspülungen sind Türöffner ins Nichts: aus den Augen, aus dem Sinn. Was aber passiert eigentlich mit all dem, das sich auf Knopfdruck ein für alle Mal unseren Blicken entzieht? Die Antwort darauf findet sich auf einem Gelände nördlich des Mergelstetter Entsorgungszentrums und wird gerade für 50 Millionen Euro auf den neuesten Stand der Technik gebracht. Wobei gerade genau betrachtet einen Zeitraum von etwa sieben Jahren umfasst. Nach dem Spatenstich im September 2023 wird es nämlich wohl bis 2030 dauern, ehe die Stadt Heidenheim eine rundum erneuerte Kläranlage ihr Eigen nennen kann.
Gerhard Horlacher ist seit einem Vierteljahrhundert Bau-Chef im Heidenheimer Rathaus. Viel Wasser hat er in diesem Zeitraum die Brenz hinabfließen sehen. Und dem 58-Jährigen, der auch für das exakt 342,6 Kilometer lange Kanalnetz der Stadt Verantwortung trägt, liegt viel daran, dass möglichst wenig in den Fluss gelangt, was nicht dorthin gehört. Die Einschätzung, worum es sich dabei handelt, hat etwas mit seiner persönlichen Weltsicht zu tun.
Eine weitaus größere Rolle spielen allerdings wissenschaftliche Erkenntnisse, politische Vorgaben und Grenzwerte. Mit Blick auf Letztgenannte informierte die Verwaltung den Gemeinderat bereits 2017 über die Notwendigkeit, den Abbau des Stickstoffs im Abwasser zu verbessern. Eine Machbarkeitsstudie, viele Diskussionen, Planungen und Beschlüsse später entsteht jetzt eine komplett neue Kläranlage, weil sich mit der bisherigen Technik die verschärften Vorgaben nicht mehr erreichen lassen.
„Dem Bauingenieur geht das Herz auf, wenn er sich anschaut, was hier entsteht“, sagt Horlacher beim Gang über die Baustelle. Das Auffassungsvermögen des interessierten Laien hingegen sieht sich angesichts der Dimension der Bauwerke und der Komplexität der sich später darin abspielenden technischen Abläufe bis an die Grenze ausreizt.
Zehn Millionen Kubikmeter
Vereinfacht dargestellt, strömt das Abwasser zunächst in das Rechengebäude. Bei rund zehn Millionen Kubikmetern im Jahr – sie stammen nicht nur aus Toiletten in Heidenheim, Gerstetten, Herbrechtingen und Steinheim samt Teilorten, sondern auch von Gewerbe- und Industriebetrieben und sammeln sich zudem nach Regenfällen und der Schneeschmelze – werden an dieser ersten Station allerhand grobe Verschmutzungen mechanisch entfernt.
Laub und Hygieneartikel zum Beispiel, „aber eigentlich so ziemlich alles, was man sich vorstellen kann, vom Gebiss über Goldschmuck und Feuerlöscher bis zum Gewehr“, wie Projektleiter Steffen Abele (38) zu berichten weiß. Ist mal ein Pfannenwender darunter, dann lässt sich daraus schließen, dass Essensreste übers Klo entsorgt wurden. „Das sollte man auf keinen Fall tun“, mahnt Horlacher, „weil so eine Rattenplage provoziert werden kann.“
Eine verringerte Fließgeschwindigkeit führt dazu, dass im sogenannten Sand- und Fettfang feine Steinchen und Kies sowie Sand zu Boden sinken, während Öle und Fette abgeschöpft werden. Im Trichter des Vorklärbeckens, dessen Sohle Taucher bei spektakulären Einsätzen unter Wasser betoniert haben, werden grobe Stoffe wie Fäkalien abgesaugt und zu den 2021 erneuerten Faulbehältern gepumpt. In diesen bauen Bakterien die organischen Inhaltsstoffe ab.
Aus dem Faulgas, das sich hauptsächlich aus Methan und Kohlendioxid zusammensetzt, entstehen in zwei Blockheizkraftwerken zwei Millionen Kilowattstunden Strom im Jahr. Zum Vergleich: Ein Vier-Personen-Haushalt verbraucht in Deutschland durchschnittlich ca. 4000 Kilowattstunden.
Belebungsbecken fasst 10.000 Kubikmeter
Ein Volumen von insgesamt 10.000 Kubikmetern weisen die fünf Kammern des fast 100 Meter langen und 20 Meter breiten Belebungsbeckens auf. Es stellt für Horlacher das Herzstück des gesamten Vorhabens dar und ist Schauplatz der biologischen Abwasserreinigung, in der der aus Mikroorganismen bestehende Belebtschlamm die Hauptrolle spielt. In der ersten Stufe der Stickstoffelimination wird Ammonium unter Anwesenheit von gelöstem Sauerstoff in Nitrat umgewandelt, während in der zweiten Stufe Nitrat mithilfe leicht abbaubarer Kohlenstoffverbindungen zu elementarem Stickstoff wird. Bei diesem Prozess darf kein gelöster Sauerstoff vorhanden sein.
Fehlen – bisher auch baulich – noch die beiden Nachklärbecken. In ihnen sinkt der Belebtschlamm zu Boden. Er wird abgesaugt und weiterbehandelt, teilweise aber auch ins Belebungsbecken zurückgepumpt. Zurück bleibt sauberes Wasser. Es fließt wenige Meter entfernt in die Brenz.
Und wohin mit dem Rest? Die Ausbeute aus der Rechenanlage und dem Sandfang landet auf einer Deponie. Jahr für Jahr fallen außerdem etwa 5000 Tonnen Klärschlamm mit einem Trockensubstanzgehalt von 30 Prozent an. Um die Beseitigung kümmert sich ein Entsorgungsbetrieb, wobei sich Zementhersteller wie Schwenk des Materials gerne als Brennstoff für ihre Drehöfen bedienen. Offen ist, wie lange die aktuelle Praxis beibehalten werden kann, denn der Gesetzgeber will, dass ab 2029 das im Klärschlamm enthaltene Phosphor zurückgewonnen wird.
Ohnehin sei beim Umgang mit Abwasser nie ein Ende erreicht, sagt Horlacher und zeigt sich überzeugt, dass das Abscheiden von Spurenstoffen wie etwa Arzneimittelrückständen, Körperpflegeprodukten und Weichmachern in Plastik einer der nächsten Schritte sein wird. Um räumlich für künftige Aufgaben gewappnet zu sein, verschwinden im Zuge des großen Umbaus einige der vorhandenen Konstruktionen. Andere bleiben mit Blick auf eine veränderte Nutzung erhalten.
Grundsätzlich entspricht Abele zufolge der Bau von Tropfkörpern nicht mehr der heutigen Vorgehensweise. Deutlich wird an diesem Beispiel, wie sich Technologien im Laufe der Zeit ablösen: Erste Anlagenteile stammen aus dem Jahr 1937. Damals wurde das Wasser noch ausschließlich mechanisch gesäubert. Von 1961/62 datieren die ersten Mergelstetter Tropfkörper zur biologischen Reinigung des Abwassers. Der Bau des noch intakten Gasbehälters, der der Stromgewinnung dient, fällt auf das Jahr 1963.
Rechnet man Strom, Schlammentsorgung und Hilfsstoffe zusammen, verursacht die Mergelstetter Kläranlage jährliche Kosten in Höhe von etwa einer Million Euro. Das Personal ist dabei nicht berücksichtigt. Den finanziellen Aufwand für den aktuellen Umbau teilen sich die angeschlossenen Partnerkommunen entsprechend ihren Kontingenten. Heidenheim muss laut Horlacher dabei weitestgehend ohne öffentliche Fördermittel auskommen.
Teil der kritischen Infrastruktur
Am Ende, so seine Prognose, werde die Stadt über eine hochmoderne, zur kritischen Infrastruktur zählende Kläranlage verfügen, die auch als attraktiver und krisenfester Arbeitsplatz angesehen werden dürfe. Derzeit ist das offenkundig nicht uneingeschränkt so, „denn wir suchen schon länger vergeblich einen Elektriker, obwohl sehr viel automatisiert abläuft und niemand den ganzen Tag mit Gummistiefeln im Schlamm steht“.