Wie aus weiblicher Sicht die Vorstellung von Picasso korrigiert wurde
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Im Handstreich und mit einem Lächeln hatten zwei Frauen sie kurzerhand abgesetzt: das männliche Genie in der Kunst und mit diesem die das Genie inspirierenden weiblichen Musen. Die Künstlerin Hannah Cooke und die Autorin Rose-Marie Gropp hatten nach 90 Minuten intensiven Diskurses bei der Veranstaltung des Heidenheimer Kunstmuseums in Sachen Picasso zu diesem Coup angesetzt. Sie taten dies am Freitagabend vor vorwiegend weiblichem Publikum, um eine Vorstellung zu korrigieren, die in Picasso vor allem ein aus sich schöpfendes Genie sieht und damit vieles übersieht, was seine Kunst erst über die Zeit hinaus in die Museen und in die Kunstgeschichte getragen hat. Dazu gehören aus Sicht von Gropp zuvorderst die vielen Frauen, die den spanischen Maler ein Leben lang begleitet haben, die er selbst aber nur in zwei Kategorien einzuteilen wusste: Göttinnen oder Fußabstreifer. Zumindest wird Picasso dieser Satz nachgesagt.
Elf Lebensläufe recherchiert
Begonnen hatte die Veranstaltung im Margarete-Hannsmann-Saal der Stadtbibliothek mit der Vorstellung des Buches von Anne-Marie Gropp, der Kunstkritikerin und früheren Redakteurin im Feuilleton der FAZ. Unter dem Titel „Die Frauen und Picasso“ hat sie elf Lebensläufe von Frauen penibel und teils aus neuen Quellen recherchiert, die phasenweise mit Picasso zusammengelebt hatten, diesem Muse, Geliebte oder Ehefrau waren – und die sich darüber mitunter selbst verloren.
In ihrer Untersuchung ging es Gropp, wie sie dezidiert betonte, nicht darum, Pablo Picasso den unzweifelhaften kunsthistorischen Rang abzustreiten, sondern das „System Picasso“ aufzuzeigen, mit einem Mann als “Zentralgestirn“ und den Frauen, die darum kreisen. “Er brauchte immer neue Frauen und immer junge Frauen.“ Fast alle, so Gropp, hätten in ökonomischer Abhängigkeit zu Picasso gestanden, ein Umstand, der es ihnen kaum möglich gemacht hatte, sich selbst von Picasso zu trennen.
Beziehungen in der Kunst gespiegelt
„Picasso hat die Frauen betrogen und gegeneinander ausgespielt“, so Lena Grundhuber, die Moderatorin des Abends, frühere Kultur-Redakteurin der Südwest-Presse in Ulm und heutige Pressesprecherin des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste. „All diese Beziehungen aber, so Grundhuber, spiegeln sich in der Kunst von Picasso wider.“ Ganz augenscheinlich etwa in der Darstellung von Marie Thérèse Walter, einer seiner Geliebten. Nach der gemalten Liebeslyrik zu Beginn der Beziehung zerfetzt an deren Ende Picasso seine Porträts Walters mit den Stilmitteln des Kubismus. Dass gerade diese Bilder einer Dekonstruktion auf dem Kunstmarkt haussiert haben, quittierten die Frauen auf dem Podium mit einigem Befremden.
Neben Cooke, deren Ausstellung „How to Face Picasso“ noch bis 15. Oktober im Kunstmuseum Heidenheim zu sehen ist, waren auf dem Podium noch die Kuratorin Katrin Hahn vom Picasso-Museum Münster und die Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Helga Ströhle aus Gerstetten, nach ihrer Einschätzung von Picasso und seinem Verhältnis zu den Frauen gefragt. Als Kuratorin wehrte sich Hahn dagegen, in einer Art vorbeugender Zensur „kritische“ Bilder von Picasso nicht mehr zu zeigen. Die Besucher müssten weiter frei darin bleiben, sich selbst ein Urteil bilden zu können. Dass auch sie Schwierigkeiten mit manchen Werken von Picasso habe, gab Hahn ohne weiteres zu – dies aber mehr mit den von Altersgeilheit lebenden Bildern im Spätwerk. „Da werden Frauen zu Zeichen degradiert.“
Innerlich stets leer geblieben
Wie Gropp schätzte auch die Fachärztin Ströhle Picasso als eine narzisstische Persönlichkeit ein – „aber nicht als einen Zerstörer". Bei aller ihm entgegengebrachten Liebe sei Picasso innerlich immer leer geblieben. „Deswegen hat er die Frauen verachtet.“ In der Beziehung zu einem Narzisten würden die Frauen zum Objekt. Es gebe aber auch Narzistinnen, so Ströhle, die dafür als Beispiel Dora Maar anführte, die französische Malerin, Fotografin, Modell und Muse von Picasso.
In vielen Verkleidungen hat sich Picasso selbst in seinen Werken inszeniert, so etwa als Minotaurus. Zeigen nun die Zeichnungen und Drucke mit diesem wonnige Liebesszenen oder nicht doch eine Vergewaltigung? Der weibliche Blick sei heute wachsamer, meinte Cooke. Und nicht nur das: Die Rolle der Frau im heutigen Kulturbetrieb habe sich verändert. „Das ist evident und absolut gerecht.“ In ihrer Replik auf Picasso sei es ihr nicht so sehr um den Maler und Menschen gegangen. „Der ist ja schon 50 Jahre tot.“ Aber man finde man noch die alten Muster künstlerischen Selbstverständnisses – selbst bei Frauen. Äußerungen der Künstlerinnen Tracy Enim oder Martina Abramovic, wonach Frauen nicht gleichzeitig Künstlerin und Mutter sein könnten, haben Cooke heftig empört und zum Beweis des Gegenteils ermutigt. „Das ist das Erbe des Genie-Gedankens, darum weg mit den Genies.“