Abschied vom Charme der 1980er

Ein letzter Blick ins Heidenheimer Meeboldhaus vor dem Abriss

In wenigen Tagen beginnt der Abriss des Meeboldhauses in Heidenheim. Ein letzter Blick in Innere und die Antwort auf die Frage, wessen Namen das im November 1982 eingeweihte Gebäude trägt.

Die 1980er-Jahre waren ein buntes, bisweilen wildes Jahrzehnt. Schrille Frisuren schmückten die Köpfe, Modern Talking und Nena dominierten die Charts, Jacken aus Ballonseide und neonfarbene Leggins prägten die Mode nicht nur junger Menschen. Aus heutiger Sicht scheint vieles aus der Zeit gefallen. Auch architektonisch. Allerdings, ohne dass man sich zwangsläufig dafür schämen müsste, wie ein Beispiel aus der Heidenheimer Innenstadt zeigt. Das Meeboldhaus an der Grabenstraße verkörpert den Zeitgeist der 80er-Jahre: allen Krisen und Konflikten zum Trotz Kontur zeigen, Individualität leben, Spaß zum Ausdruck bringen.

Zumindest etwas bunt trieb es auch der Architekt Josef Götz, nachdem er vor gut viereinhalb Jahrzehnten einen von der Stadt ausgelobten Wettbewerb gewonnen und anschließend den Auftrag für die Pläne eines Gebäudes an der Westkante der Rathaus-Tiefgarage zu liefern hatte. Grüne Röhrenheizkörper spiegelten seinerzeit den aktuellen Farbgeschmack wider und haben ihn bis zum heutigen Tage konserviert.

Farbtupfer: grüne Heizkörper ziehen die Blicke auf sich. Dennis Straub

In bestem Verwaltungsdeutsch war anfangs vom „Erweiterungsbau der Volkshochschule“ die Rede. Was nach dem Baubeginn am 2. Juni 1981 peu à peu Gestalt annahm, mochte am Ende zwar in erster Linie der nüchternen Zweckbestimmung genügen, einen wichtigen Beitrag zur Stadtkernsanierung zu leisten und den Busbahnhof mit seinen zwölf Haltestellen vor der Tür zu vervollkommnen. Bei der offiziellen Einweihung am 25. November 1982 stellte sich das noch namenlose Haus aber darüber hinaus als Solitär selbstbewusst dem massigen Betonriegel des Rathauses entgegen.

Rohbau: 1981 nimmt das noch namenlose Meeboldhaus nach und nach Gestalt an. Im Hintergrund entsteht dort, wo zuvor das Gasthaus Zum Schwanen stand, gleichzeitig ein Neubau. Archiv

Viele Fenster, viele Schrägen, viele Winkel: Josef Götz hatte den Heidenheimern ein „Haus mit Handschrift“ in die gute Stube gesetzt. So formuliert es jetzt, da die Tage des Meeboldhauses gezählt sind, Stefan Bubeck, Leiter des Geschäftsbereichs Hochbau bei der Stadtverwaltung. „Von der Detailplanung her ist das ein wirklich schönes Haus, es hat Charakter“, sagt er und verweist auf Elemente, die der damalige Heidenheimer Oberbürgermeister Martin Hornung schon kurz nach dem Bezug hervorhob und als Bereicherung der Innenstadt würdigte: Arkaden auf Straßenniveau und Biberschwanzziegel auf dem stark gegliederten, mit Gauben und einem Balkon versehenen Dach.

Unterm Dach: Wenig Stauraum, dafür heimelige Atmosphäre. Dennis Straub

2,31 Millionen Mark waren veranschlagt für das Vorhaben, das im Laufe der Jahre und Jahrzehnte einer Vielzahl von Nutzungen genügen sollte. Im Erdgeschoss befanden sich zunächst Betriebsräume des örtlichen ÖPNV-Betreibers. Anfangs war das noch das private Busunternehmen Wahl und Söhne, später dann die Heidenheimer Verkehrsgesellschaft (HVG). Die Geschäftsstelle des Heidenheimer Sportbunds (HSB) kam gleich nebenan unter. Außerhalb des Gebäudes befand sich ein behindertengerechtes WC.

Selbstbewusst: Von der Grabenstraße aus betrachtet steht das Meeboldhaus im Mittelpunkt, Pauluskirche und Rathaus halten sich im Hintergrund. Dennis Straub

Die Volkshochschule, der es im Elmar-Doch-Haus auch aufgrund der Vielzahl von Deutschkursen für Spätaussiedler zu eng geworden war, bezog derweil die beiden vom Rathausgarten aus zugänglichen oberen Etagen und das Dachgeschoss. Nachdem die Bildungseinrichtung später ins ehemalige Rieger-Gebäude am Wedelgraben gewechselt war – unter anderem hatte der Sprachunterricht für Geflüchtete im Laufe der Zeit einen deutlich gestiegenen Raumbedarf mit sich gebracht -, belegte der Geschäftsbereich Demografie und Gesellschaft die Büros. Im Erdgeschoss fanden zuletzt die Historischen Museen, ein Lager der Tourist-Info und der Bauleiter des mit der Sanierung der Rathausfassade beauftragten Unternehmens Platz.

In die Moderne geholt: eines der mit digitaler Technik ausgestatteten Besprechungszimmer. Dennis Straub

Drei mit digitaler Technik ausgestattete Räume dienten den Gemeinderatsfraktionen als Ausweichquartier. All das ist Vergangenheit. Mittlerweile haben als Letzte die Beschäftigten des Bereichs Ausländerwesen ihre Schreibtische geräumt und arbeiten nun im früheren LBBW-Gebäude.

Damit ist der Weg frei für den voraussichtlich Mitte Februar beginnenden Abriss des Meeboldhauses. Führte Heidenheims städtebauliche Entwicklung einst zu seinem Bau, so muss es nun mit der gleichlautenden Begründung wieder verschwinden. An seiner Stelle sieht der Entwurf, mit dem das Büro Terra.Nova 2022 einen städtebaulichen Wettbewerb gewann, Sitzstufen mit freiem Blick zum Schloss vor. Eine Vorstellung, der Bubeck viel abgewinnen kann, „denn in vielen Städten stehen die Rathäuser rundum freigestellt auf einem zentralen Platz“.

Schlossblick: Der Balkon im Obergeschoss gehört zu den charmantesten Details. Dennis Straub

Während die Spielgeräte, Bänke und Fahrradständer auf der Südseite bereits abmontiert wurden, um Platz für die Baustelleneinrichtung zu schaffen, lässt ein Gang durchs Innere die 80er nochmals aufleben: am Boden Fliesen in verschiedenen Brauntönen, an den Decken Fichtenbretter, die meisten Wände aus glasierten Klinkersteinen.

Im Stil der 1980er-Jahre: erdige Farbtöne dominieren. Dennis Straub

Heizkörper, Handläufe und Türrahmen liefern grüne Farbtupfer. Weiße Kugelleuchten, vermutlich noch original und doch schon wieder modern, sorgen für Licht. Und gefühlt an jeder Ecke: Treppen, Treppen, Treppen.

Schrittweise rauf und runter: kein Aufzug, dafür viele Treppen. Dennis Straub

Wer auch immer in diesem Gebäude tätig war, musste gut zu Fuß sein. Einen Aufzug gibt es nicht, Barrierefreiheit folglich ebenso wenig. Dafür, typisch für die Postmoderne, viele Details, die keine unmittelbare Funktion haben. Eine Aussparung am betonierten Treppenaufgang beispielsweise oder eine Vormauerung im Eingangsbereich, die an ein Taufbecken erinnert.

Luftige Bauweise: Treppen, Flure, offenes Foyer. Dennis Straub

Die nackten Zahlen nehmen sich durchaus ansehnlich aus: umbauter Raum 3603 Kubikmeter, Nutzfläche 674 Quadratmeter. Berücksichtigt man, wie viel davon auf Foyer, Gänge, Treppen und offene Bereiche entfällt, dann ist schnell klar: So würde heute kein öffentliches Gebäude mehr gebaut.

Auf die Spitze getrieben: das Meeboldhaus als Kontrapunkt zum Rathaus. Dennis Straub

Das Meeboldhaus ist während seiner nicht einmal 43 Jahre währenden Nutzungsdauer nie grundlegend umgebaut worden. Geld für eine eigentlich unumgängliche wärmetechnische Sanierung stand zwar schon einmal zur Verfügung, schlussendlich blieb es allerdings bei einer bloßen Absichtserklärung. Schwer taten sich die Stadtoberen dereinst auch bei der Namenssuche. Erst mehrere Monate nach der Einweihung entschied sich der Verwaltungsausschuss mehrheitlich für die Bezeichnung Meeboldhaus und gegen 15 weitere Vorschläge wie Die Insel, Treff `82, Kulturhalle und Volkshochschule Rosa Luxemburg.

Rotblau: Eingangstür in den Heidenheimer Stadtfarben. Dennis Straub

Meeboldhaus: Woher kommt der Name?

Das Meeboldhaus ist nach einem Mann benannt, der die Allgemeinheit großzügig an seinem Reichtum teilhaben ließ: Dr. Johann Christian Meebold (1812-1884), dessen Vater den Grundstein für die spätere Württembergische Cattunmanufaktur legte. Der Mediziner nannte ein gewaltiges Anwesen in der Heidenheimer Innenstadt sein Eigen. Einen Großteil des parkähnlichen Gartens vermachte er der Stadt, damit dort eine neue Stadtkirche (Pauluskirche) entstehen konnte.

Christian Meebold
Christian Meebold

Sein stattliches Haus an der Grabenstraße diente nach seinem Tod als Stift für „alleinstehende gebildete Frauen und Jungfrauen evangelischen Bekenntnisses“. Später wurde daraus das Neue Stadthaus, in dem die Verwaltung Büros und zuletzt das Technische Rathaus unterbrachte. 1972 wurde das Gebäude abgerissen, sodass das neue Rathaus einen freien Vorplatz erhielt. Dieser gehörte Anfang der 1980er-Jahre freilich schon wieder der Vergangenheit an, weil dort ein Neubau in die Höhe wuchs – eben das Meeboldhaus.

Historische Bilder und ein Video vom letzten Gang durchs Meeboldhaus:

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