Vorsichtig reicht Juan Ruiz dem neunjährigen Schüler seinen Blindenstock und greift nach seiner Hand. Er möchte dem vollblinden Jungen, der auch nicht sprechen kann, signalisieren, dass er selbst ebenfalls blind ist. Anfangs ist der Schüler noch sehr zurückhaltend, fast schon ängstlich. Doch dann taut er nach und nach auf und fängt schließlich an, Ruiz zu vertrauen.
Von Dienstag bis Donnerstag übte der in Wien lebende Mexikaner Juan Ruiz mit insgesamt 18 Schülerinnen und Schülern der Königin-Olga-Schule die sogenannte Klicksonar-Methode. Wie er dabei mit den Kindern umgeht und auf ihre jeweiligen Bedürfnisse eingeht, ist gleichermaßen beeindruckend und berührend.
Mobilitätstraining ist individuell
Laut Ruiz entwickelt jeder Blinde im Laufe seines Lebens ganz eigene Methoden, um sich in seiner Umgebung zurechtzufinden. Deswegen sei es so wichtig, jeden Schüler zunächst kennenzulernen und seine Bedürfnisse herauszufinden. Erschwerend komme noch hinzu, dass einige der Kinder nicht nur blind seien, sondern auch weitere körperliche und geistige Einschränkungen hätten. „Bei uns an der Schule gibt es Schüler, die größtenteils eigenständig sind und beispielsweise nur sehbehindert oder körperlich eingeschränkt sind. Dann gibt es aber auch Kinder, die mehrere Behinderungen haben und kaum kommunizieren können“, sagt Monika Hornung, Leiterin des frühkindlich-vorschulischen Bereichs der Königin-Olga-Schule.
Dementsprechend individuell sehen die einzelnen Workshops auch aus. Mit einer Seelenruhe stellt sich der Mobilitätstrainer dem bereits zu Beginn erwähnten Schüler vor. Er lässt sich nicht davon abschrecken, dass der Schüler ihm zu Beginn ausweicht und sich bei seinen Lehrerinnen verstecken will. Schritt für Schritt lernen sie einander kennen und beginnen, gemeinsam den Raum zu erkunden. Mithilfe von Klopfen, Stampfen und Schnalzen zeigt Juan Ruiz auf beeindruckende Weise, wie man mit Schall seine Umgebung wahrnehmen kann. Um seine Aufmerksamkeit zu erlangen, fragt Ruiz die Lehrerinnen nach dem Lieblingsspielzeug des Jungen und baut es spielerisch in die Übungen ein. Schließlich schafft er es sogar, dem Neunjährigen ein Lachen zu entlocken, indem er ihn einen Schaumstoffzylinder umstoßen lässt.
Eine beeindruckende Biografie
Juan Ruiz kam 1981 in dem kleinen Ort Tala in Mexiko zur Welt und war bereits bei seiner Geburt blind. Dass er sich von seiner Sehbehinderung nicht einschränken lassen will, war ihm bereits früh bewusst. „Ich bin ein sehr abenteuerlustiger Mensch, der am liebsten alles erleben möchte“, sagt Ruiz über sich selbst. In seiner Freizeit fährt er gerne Mountainbike, geht wandern und macht vor allem Dinge, die man einem Blinden im Normalfall wahrscheinlich nicht zutrauen würde. Geholfen habe ihm dabei unter anderem, dass er in der Millionenstadt Los Angeles aufgewachsen ist, in der es meistens hektisch zugeht. Das Schlüsselerlebnis, das ihm sein heutiges Leben als Mobilitätstrainer ermöglichte, sei jedoch ein anderes gewesen. Als Schüler traf er im Alter von elf Jahren auf Klicksonar-Trainer Daniel Kish, der ihm beibrachte, wie man mit Echoortung „sehen“ kann. Ruiz fühlte sich das erste Mal von einem Lehrer verstanden, da Daniel Kish ebenfalls blind ist.
Sowohl Juan Ruiz als auch Monika Hornung hoffen, dass der dreitägige Lehrgang nicht der letzte seiner Art an der Königin-Olga-Schule war. „Es ist einfach toll zu sehen, wie schnell die Kinder auf Juan eingehen und sich auf die Übungen einlassen. Für das, was er in einer Stunde erreicht, brauchen wir Lehrer oftmals Wochen“, so Hornung. Besonders dankbar sei sie auch der Organisation „Schneeflocke“ und deren Schirmherrin Barbara Ilg, da diese den Workshop finanziell ermöglichte.
Wie funktioniert die Klicksonar-Technik?
Klicksonar, auch als aktiv bildgebende Echoortung bezeichnet, ist eine Technik für Blinde, die ihnen ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht. Beim sogenannten akustischen „Sehen“ entsteht durch den zurückgeworfenen Schall von Schnalzlauten ein räumliches Bild im Kopf. Das Schnalzen mit dem Mund hat Vorteile gegenüber dem Stampfen, Schnipsen oder Klatschen, da so die aussendende Geräuschquelle näher am Ohr ist. Die Umwelt wird dabei „blitzartig“ wahrgenommen – einmal Schnalzen ergibt ein einzelnes Bild. So entsteht durch häufigeres Schnalzen eine Wahrnehmung, die mit einem Stop-Motion-Film vergleichbar ist.