Experten diskutierten in der IHK

Wie Lösungen für den Fachkräftemangel in Ostwürttemberg aussehen könnten

Auch in Ostwürttemberg ist die Suche nach Fachkräften ein Dauerthema. Bei einer Podiumsdiskussion in der Industrie- und Handelskammer in Heidenheim wurde nach Lösungsvorschlägen gesucht. So sehen sie aus.

Kaum eine Branche, die nicht klagt: Es mangelt an Fachkräften. Schon viele Gesprächsrunden haben sich auf der Suche nach Auswegen die Köpfe heißgeredet. Eine weitere kam jetzt auf Initiative des Landtagsabgeordneten Andreas Stoch (SPD) hinzu. In der Industrie- und Handelskammer (IHK) diskutierte ein prominent besetztes Podium Ursachen und Lösungsansätze.

Niemand, das stand schon vor dem Druck der Einladungen fest, würde ein Patentrezept aus der Tasche ziehen. Weshalb also sollte ausgerechnet dieser von Dr. Andreja Benkovic (IHK) moderierte Kreis Greifbares zustande bringen? Vielleicht ja, weil alle die Ärmel hochkrempelten – eigentlich angesichts der hochsommerlichen Temperaturen, im übertragenen Sinne aber auch, um Einigkeit in der Überzeugung zu demonstrieren, dass der große Wurf schlussendlich nur gelingen kann, wenn alle Akteure zuvor an vielen kleinen Stellschrauben drehen. Zumindest eine davon dürfte sich in Kürze bewegen.

Rote Laterne auf dem Arbeitsmarkt kein Thema mehr

Es ist nichts Neues, dass der Blick auf die Arbeitsmarktlage Bauchgrimmen verursacht, wenn auch unter verschiedenen Vorzeichen. In der Vergangenheit stritt sich Ostwürttemberg aufgrund hoher Arbeitslosenzahlen lange mit Mannheim um die ungeliebte rote Laterne im Land. Heute ist die Lage nach Einschätzung von Claudia Prusik, Chefin der Aalener Arbeitsagentur, „nicht besorgniserregend“. Konkret: Angesichts einer Quote von 3,7 Prozent in der Region und 4,5 Prozent im Landkreis Heidenheim ist fast schon von Vollbeschäftigung zu sprechen.

Und genau daraus ergibt sich ein großes Problem, das jeder sieht, der aufmerksam durchs Leben geht: Die Fachkräfte werden knapp. Das liegt IHK-Hauptgeschäftsführer Thilo Rentschler zufolge auch an einer „Sonderkonjunktur“, die aus dem großen Kräftebedarf von Zeiss resultiert. Zum anderen verfügen laut Prusik 53 Prozent der arbeitslos Gemeldeten über keine Ausbildung. Sie stellte deshalb die simple Gleichung auf: „Je besser die Qualifikation, desto geringer das Risiko, arbeitslos zu werden.“

Arbeitsverwaltung legt Schwerpunkt auf Beratung

Blieb früher auf der Strecke, wer den Anforderungen nicht genügte, hat sich die Herangehensweise mittlerweile offenbar grundlegend geändert: Die Arbeitsverwaltung ist nach Aussage Prusiks „so viel unterwegs wie noch nie, um Menschen zu beraten und auch jene zu erreichen, die Hemmnisse mitbringen“. Ulrike Monz, die Obermeisterin der Heidenheimer Bauinnung, sprach für das Bauhauptgewerbe im Allgemeinen wie auch für ihr Unternehmen im Besonderen von einer Herzensangelegenheit, „den jungen Menschen mehr Zuwendung zu geben, um sie auf dem Weg ins Arbeitsleben mitzunehmen und ihnen den Spaß an der Arbeit zu vermitteln“.

Ins gleiche Horn stieß Tobias Bucher, 1. Bevollmächtigter der IG Metall in Heidenheim. „Wir können es uns nicht leisten, Schulabgänger mit geringer Qualifikation auf der Straße zu lassen“, so sein Appell. Erfolgversprechend sei möglicherweise, jenen, die mehr Zeit als üblich für ihre Ausbildung brauchten, „ein viertes Jahr zuzugestehen und sie dadurch zu Fachkräften zu machen“.

Augenmerk auf zweitem Arbeitsmarkt

Offene Türen rannte der Gewerkschafter damit bei Rentschler ein, der daran erinnerte, „dass in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit Menschen nicht berücksichtigt worden wären, die heute Chancen haben“. Als Vertreter der Liga der freien Wohlfahrtspflege warnte Markus Mengemann vor dem Irrglauben, „jeden für alle Bereiche fit machen zu können“. Nachzudenken sei aber über präventive Maßnahmen, die den Verlust des Arbeitsplatzes verhindern könnten, über Widerstand gegen ein ungerechtfertigtes Abstempeln von Langzeitarbeitslosen und über die Ausgestaltung eines zweiten Arbeitsmarkts, „um gerade diejenigen nicht zu überfordern, die ein Handicap mitbringen“.

Der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Ulm, Dr. Tobias Mehlich, merkte an, die Betriebe befänden sich in einer Notlage. Diese gelte es zu nutzen, um sich des Potenzials der zur Verfügung stehenden Menschen zu bedienen, „denn alles andere wäre doof“. Mehlich schlug Mengemann vor, die jeweiligen Datenbestände abzugleichen und gleichzeitig bei den Betrieben dafür zu werben, auch Menschen mit einer Lernbehinderung zu beschäftigen. Mit ins Boot holen will er die Arbeitsagentur, „denn die Bemühungen, ersten und zweiten Arbeitsmarkt zusammenzubringen, können die Betriebe alleine nicht meistern“.

Fachkräftemangel könnte sich weiter verschärfen

Soweit der eingangs angedeutete konkrete Dreh an einer der vielen Stellschrauben, der beweist, dass Not nicht nur erfinderisch, sondern auch innovationsbereit machen kann. Ob dieser Schritt Früchte trägt, muss die Zukunft zeigen, zumal der Mangel an Fachkräften noch längere Zeit nichts von seiner Brisanz verlieren wird: Rentschler sagte voraus, mit einem „großen Demografie-Einbruch“ sei erst in zehn Jahren zu rechnen, wenn die geburtenstarken Jahrgänge nach und nach aus dem Arbeitsleben ausgeschieden seien. Momentan gebe es allen Problemen zum Trotz einen Rekordwert bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen.

Den Einwand eines Zuhörers, der Fokus der Diskussion liege bei den Schwachen der Gesellschaft, und nicht bei denjenigen, die als Fachkräfte etwas bewegten, wies Stoch zurück. Für ihn besteht die Lösung des Problems in einem Zusammenspiel von Bildung und Weiterbildung, Zuwanderung samt schneller Eingliederung in den Arbeitsmarkt sowie höherer Frauenerwerbsquote samt verbesserter Ganztagsbetreuung.

Handwerk fordert Bürokratieabbau

Auf diesem Weg darf es seiner Ansicht nach nicht zu einer „Kannibalisierung“ zwischen Privatwirtschaft, öffentlichen Arbeitgebern und weiteren Akteuren kommen. Gefragt sei vielmehr, an einem Strang zu ziehen: „Die Menschen wollen Lösungen haben und kein kultisches aufeinander Einschlagen.“ In der Pflicht sieht Mehlich dabei – dem Titel des Diskussionsabends entsprechend: Was muss die Politik tun, um den Fachkräftemangel zu beheben? – ganz wesentlich die politischen Entscheidungsträger. „Ihr müsst als Opposition bockelhart bleiben“, gab er Stoch mit auf den Weg, „und auf einen wirklichen Bürokratieabbau hinwirken.“ Dazu gehöre, die beruflichen Qualifikationen Zugewanderter schnellstmöglich anzuerkennen und überholte Standards zu streichen.

Informationen zur beruflichen Weiterbildung

Die Agentur für Arbeit und das Jobcenter Heidenheim veranstalten unter dem Titel „Fit in die Zukunft“ am Donnerstag, 18. Juli, von 13 bis 16.30 Uhr in der Agentur für Arbeit in Heidenheim einen Weiterbildungstag. Interessierte können sich dort umfassend und individuell über ihre persönlichen Weiterbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten informieren und mit regionalen Bildungsträgern ins Gespräch kommen.

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