Peter Bretzger will nicht langweilen. Und Peter Bretzger ist nie langweilig. Von seiner Frau spricht er gerne als „die Frau Doktor“ (Waltraud Bretzger ist promovierte Chemikerin). Von sich selbst redet er ab und an in der dritten Person („der Bretzger“). Was nicht fehlen darf: „Bretzger spinnt mal wieder“, ein Ausspruch, den er gerne einstreut. Der 68-Jährige tut das ganz bewusst. Weil ihm die Gesprächspartner wichtig sind und weil jeder Moment mitunter entscheidend sein kann.
Drei lebensgefährliche Erkrankungen in einem Jahr
Das weiß „der Bretzger“ spätestens seit 2015. Einem Jahr, in dem er drei lebensgefährliche Erkrankungen überstanden hat. Eine Arznei hatte bei ihm das Stevens-Johnson-Syndrom ausgelöst, aufgrund von Schwellungen im Rachen drohte er zu ersticken. Einem Herzinfarkt und der anschließenden Operation folgte kurze Zeit später ein Schlaganfall. Hört sich übel an. Daher bringt Peter Bretzger eine Prise Humor rein: „Aber weder der liebe Gott noch der Teufel wollten mich und haben mich immer wieder zurückgeschickt. Die haben gesagt: Du bringst alles nur durcheinander bei uns.“ Ziemlich gesponnen, oder? Nein, es ist die Art und Weise von Peter Bretzger, seine Freude am Leben auszudrücken.
Zur Lebensfreude gehören nicht nur viele Menschen, sondern seit einigen Jahren auch Pferde. Bis zu seinem 65. Lebensjahr (seine Frau war da 63) hatte der Anwalt, dem Rhetorik nicht fremd ist, mit Pferden nichts am Hut. Eine Familienzusammenkunft 2019 (seine beiden Mitarbeiterinnen aus seiner Kanzlei waren auch eingeladen) auf dem doch etwas höher gelegenen Lanzenschusterhof in Flaas (bei Bozen in Südtirol) wurde spät abends durch zwei Jugendliche unterbrochen. Während wiederum die beiden rhetorisch nicht mehr ganz auf der Höhe waren („knapp am Verlust der Muttersprache“), imponierten sie Peter Bretzger mit folgendem Ausspruch: „Gritten samma.“ Wie, bitte? So lautete die Antwort auf die Frage: „Wie seid ihr eigentlich hierhergekommen?“ Geritten? Kann das sein? Bretzger wurde vom Wirt aufgeklärt: „Ja, das machen die ab und an. Sie reiten etwa acht Stunden hierher und übernachten im Heu neben ihren Pferden.“
"Ich bin überall ein Quereinsteiger, habe nichts richtig gelernt, aber meine, überall mitreden zu müssen."
Peter Bretzger nimmt sich selbst auf den Arm
Der Samen war gepflanzt, in Peter Bretzgers Kopf: „Ich fand das grandios. Und dachte mir: Sowas will ich auch mal machen“, erinnert er sich an dieses Aha-Erlebnis. Ob das so einfach geht? Bretzger beantwortet das auf seine Weise: „Ich bin überall ein Quereinsteiger, habe nichts richtig gelernt, aber meine, überall mitreden zu müssen.“
Und das macht „der Bretzger“ gut und auch gerne. So auch in Südtirol, genau gesagt in der Gegend um den Tschögglberg, Flaas, Meran, Etschtal. Der Heidenheimer geht gerne auf die Pferderennbahn in Meran („bin ein Zocker“) und gibt seine Tipps (Mindesteinsatz von immerhin zwei Euro) bei Haflingerrenen ab (Haflinger sind Gebirgs-Pferde, die aus Südtirol stammen. Offiziell zählt der Haflinger zu den Ponyrassen beziehungsweise Kleinpferderassen.). Eben bei einem solcher Besuche in Südtirol hat Bretzger erzählt, wie man Haflingerpferde trainieren müsse. „Jedem, der es hören wollte oder auch nicht.“
An einem Wettschalter lernte er einen Besitzer eines solchen Haflingerpferdes kennen. Die Stute Alina war im Oktober 2019 gerade einmal ein Jahr alt – und sollte zwei Jahre später bei Rennen mitlaufen. Bretzger wiederum sollte Pate des Pferdes werden, was er unter gewissen Bedingungen auch annahm: kein Doping, das Pferd darf nur mit der Hand geritten (keine Peitsche) und nach Puls trainiert werden.
Dieses Mal hatte Bretzger als Quereinsteiger weniger Erfolg. Alina konnte bei Rennen nicht überzeugen, 2021 war für sie Schluss. Der Aufwand war zu groß. Das Band zwischen Alina und Peter Bretzger blieb allerdings bestehen – und so war er auf eine andere Weise doch erfolgreich. Alina wurde mit anderen Haflingern im Sommer zur Öttenbacher Alm geführt. Der Marsch dauert fünfeinhalb Stunden. „Da will ich dabei sein“, so Bretzgers spontaner Gedanke. Anfang Juni 2021 führte er Alina am Strick hoch, als absoluter Pferdelaie. Begeistert von diesem Erlebnis kaufte Peter Bretzger einige Monate später „seine“ Alina vom Besitzer ab – eine harte Verhandlung bei Essen und Wein ging dem voran.
Reitunterricht bei Priska Kelderer
Ein Top-Pferd, das über ein sehr gutes Stammbuch verfügt, war nun im Besitz der Bretzgers. Und die ganz ohne Erfahrung? Nicht ganz. Ihr Mann habe immer viel über Haflinger erzählt, erinnert sich Waltraud Bretzger. „Daher fand ich es nicht so unsinnig, wenn einer reiten lernt“, so die 65-Jährige. Die erste Reiterfahrung machten Waltraud und Peter Bretzger bei Reitlehrerin und Pferdetrainerin Priska Kelderer, einer ehemaligen Europameisterin im Westernreiten, in Oberplanitzing (Südtirol).
Western ist ein gutes Stichwort, denn Alina kam im September 2021 in einem Westernstall in Zang unter. Alina habe er aber ja nicht nur zum Spazierengehen gekauft, sagt Peter Bretzger. Nein, das große Ziel stand ja fest: „Ich möchte mit dem Pferd auch in die Wirtschaft reiten, wie 2019 ausgemacht.“ Er nahm also weiter Reitunterricht – mit einem Ziel: Im Juni 2023 über die Alpen nach Südtirol zu reiten. Auch da hätten alle gemeint: „Bretzger spinnt mal wieder.“
"Das sei die bisher verrückteste und blödeste."
Peter Bretzger über die Reaktion seiner Frau Waltraud, auf seine Idee, mit Pferden über die Alpen zu reiten
Und noch mehr. „Meine Frau hat gesagt, dass ich ja schon viele Schnapsideen gehabt hätte. Aber das sei die bisher verrückteste und blödeste. Ich soll mir das aus dem Kopf schlagen. Da mache sie nicht mit.“ Und das sei die entschärfte Variante gewesen, schiebt Waltraud Bretzger ein. Auch in Südtirol hätten sich alle halbtot gelacht, als Peter Bretzger von seiner Idee der Alpen-Überquerung erzählte. Der Tenor lautete: Die Pferde schaffen das gut, aber er nicht.
Der rhetorische Gegenwind beeinflusste Peter Bretzger nicht im Geringsten. Im Gegenteil, das stachelte ihn weiter an. Allerdings wollte er nicht mit dem Kopf durch die Wand. „Ich habe viele Gespräche geführt, mit Leuten, die Ahnung haben“, sagt er. Und er machte Einschnitte. Sechs Monate Vorbereitung seien für so ein großes Vorhaben zu wenig, lautete ein Tipp. Also wurde die Alpen-Überquerung auf Sommer 2024 angesetzt. Und: Eine zu große Gruppe bereitet große Probleme, da man bei Zwischenstationen geeignete Ställe finden muss, wo die Pferde unterkommen können. Höchstens drei Pferde lautete die Vorgabe.
Eine Ärztin ist beim Ritt über die Alpen dabei
Nun sind es sechs Menschen und drei Pferde, die sich der Herausforderung stellen werden. Peter Bretzger auf Alina (Dina wird Gepäck tragen/die zweite Haflingerstute kam im Mai 2023 dazu) sowie Marion Gruber auf ihrem Wallach Felix. Mit dabei ist Astrid Stehl, Stabsärztin bei der Bundeswehr („wegen meiner Vorerkrankungen vielleicht gar nicht mal so blöd“, so Bretzger), die aber – genauso wie der Ehemann seiner Mitreiterin, Christian Gruber, – den Weg gehen wird. Dazu kommen Waltraud Bretzger und Joachim Nick, die den Jeep mit dem Pferdeanhänger fahren werden.
Am Samstag, 15. Juni, bricht die Gruppe auf. Vom Landkreis Heidenheim bis zu den Alpen hätten Peter Bretzger und seine Mitstreiter auf Pferden und zu Fuß knapp sieben Tage gebraucht. Also fahren sie zunächst bis Wallgau bei Garmisch-Patenkirchen an der österreichischen Grenze. Am Sonntag geht’s nach Scharnitz, nördlich von Innsbruck. Diese Strecke ist knapp 24 Kilometer lang. Die Tagestouren – es sind neun geplant – sollten nicht länger als 25 Kilometer lang sein, erzählt Peter Bretzger.
Ein Bekannter aus Südtirol habe betont: „Es ist eine Schande, wenn ihr Teilbereiche mit dem Hänger zurücklegt. Es bleibt trotzdem eine Alpen-Überquerung.“ Und so sieht es auch „der Bretzger“. Im Anhänger geht es von Scharnitz einen Teil des Brenners hoch bis nach Planken (61 Kilometer). Von dort aus startet die Gruppe am zweiten Tag Richtung Sattelbergalm in etwa 1.800 Meter Höhe (knapp fünf Kilometer). Nach der Übernachtung geht’s am Dienstag, 18. Juni, zur Enzianhütte. Dabei wird die Brennerstraße über- und die Autobahn 22 unterquert. Von der Enzianhütte reitet und wandert die Heidenheimer Gruppe über das Schlüsseljoch zum Bacherhof im Pfitschtal, wo sie von Peter Bretzgers Freund Rudi Hofer in Empfang genommen wird.
Nach mindestens einem Tag Regeneration geht’s nach Stilfes. „Zu meinem Freund Wieser Jörgel. Er war der erste Südtiroler, der gesagt hat: der schafft das“, erzählt Peter Bretzger. Maximal neun Reittage sind geplant, das Ziel ist es, am 29./30. Juni nach knapp 200 Kilometern auf dem Lanzenschusterhof anzukommen. „Dort werden wir sicherlich mit einer Blaskapelle empfangen werden“, ist Bretzger überzeugt. Wenn „a Daitscher mit zwei Hafis (Hofis ausgesprochen/für Haflinger)“ ankommen wird. „Die Südtiroler sind stolz, dass ein Deutscher mit zwei Haflingerpferden wieder zurück zu ihnen reitet. Das ist nicht alltäglich“, so Bretzger, der von einer „unglaublichen Hilfsbereitschaft“ von Südtirolern berichten kann. „Wir haben so viele Einladungen erhalten, die Menschen dort sind irrsinnig herzlich.“ Nordtiroler seien dagegen eine eigene Geschichte...
Auf dem Lanzenschusterhof möchte Peter Bretzger ein paar Tage bleiben und mit Alina die Strecken reiten, die sie schon kennt (zurück geht es mit dem Hänger). Alina ist inzwischen sieben Jahre alt, sie beiße und trete nicht. Die Kommandos gibt Bretzger auf Englisch (da Westernreitstall), wobei Alina fünfsprachig (Italienisch, Südtiroler Dialekt, Deutsch und Schwäbisch) ist.
Sechs Stürze hatte Peter Bretzger bislang zu verbuchen. Während seine Frau nach dem ersten („Ich hätte wirres Zeug geredet, aber das mache ich ja sonst auch“) auf einen Besuch in der Notaufnahme bestanden habe, gab’s nach dem letzten Sturz vom Pferd nicht einmal einen blauen Fleck. „Es war jedes Mal mein Fehler, Alina hat mich noch nie abgeworfen“, sagt er. Kurz vor dem Start der Alpen-Überquerung ist er zwei Tage mit den Pferden bei starkem Regen geritten – um auf alles vorbereitet zu sein und seine Grenzen abzuwägen, wie er sagt. „Wir haben quasi Regen in den Alpen trainiert."
Langweilig wird’s mit Peter Bretzger nie. Und auch wenn er sagt, dass seine beiden Kinder bestimmt denken, dass der Vater a bissle spinnt und man ihn einfach machen lassen muss, wird auch in diesem Satz deutlich, wie wichtig ihm die Erfüllung dieses Traums ist: Über die Alpen auf Alinas Rücken.
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