Wie die Besucher im Heidenheimer Kunstmuseum getäuscht werden sollen
Bemüht man die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia zu dem Satz „Ist das Kunst oder kann das weg?“, findet man ein kleines Verzeichnis von Kunstwerken, die von Ausstellungsbesuchern versehentlich für etwas Anderes als Kunst gehalten und ohne Absicht beschädigt wurden. Das berühmteste Werk in dieser Reihe ist vermutlich die Installation „Fettecke“ von Joseph Beuys, bei der eine Reinigungskraft der Meinung war, dass mehrere Kilogramm Butter an einer Zimmerdecke nichts verloren haben. Die neue Ausstellung im Kunstmuseum Heidenheim, die am Samstag eröffnet wird, hat durchaus das Potenzial, einen weiteren Beitrag in dieser Reihe zu liefern. Butter spielt dabei allerdings keine Rolle, die Grenze zwischen Realität und Kunst hingegen eine große.
Moderne Sinnestäuschungen
„Echt jetzt“ ist der Titel der Ausstellung, die Museumsleiter Marco Hompes kuratiert hat. Es geht darum um illusionistische Techniken in der Kunst, auch „Trompe l’oeil“ („Augentäuschung“) genannt. Jeder kennt beispielsweise aufgemalte Fenster in Wänden, die Öffnungen vortäuschen, wo eigentlich keine sind. Hompes hat Arbeiten von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern zusammengetragen, die auf moderne Art mit dieser Technik arbeiten.
Gleich am Eingang zum großen Ausstellungsraum im alten Stadtbad fordert Tom Früchtl die Besucherinnen und Besucher heraus: „Geschminktes Holz“ heißt beispielsweise eine Holzkiste, bei der Früchtl die Holzmaserung nachgemalt hat. „Was mich interessiert ist, wenn eine Differenz zwischen Malerei und Wirklichkeit entsteht“, erläutert der Künstler, der am Donnerstag selbst zum Aufbau ins Heidenheimer Museum kam. Noch deutlicher wird das vielleicht bei einem seiner „Drecksbilder“: Man sieht scheinbar nur eine leere Leinwand, die mit Klebeband beklebt und mit Kratzern und Fäden übersät ist. Tatsächlich sind genau diese Gebrauchsspuren aber das, was Früchtl gemalt hat – es gibt weder Klebeband noch Fäden, sondern nur Farbe, die vortäuscht, etwas anderes zu sein.

Hompes hat einige Werke gefunden, bei denen scheinbar wertloses Material durch die Bearbeitung des Künstlers zu etwas Wertvollem wird, beispielsweise in den Bildern des Ulmers Dean Annunziata, der die Illusion einer Spanplatte erschafft, indem er Pünktchen für Pünktchen eine Spanplatten-Oberfläche malt. Bei Christine Metz entsteht der Widerspruch in ihren Werken zwischen den beiläufig festgehaltenen, sehr vergänglichen Fotografien beispielsweise von einem Ameisennest oder einem eingetrockneten Stück Erde, die sie mit unfassbarer Akribie in monatelanger Arbeit abzeichnet und so zu dauerhaften, wertigen Kunstwerken macht.
Das Schwimmbad ist zurück
Wunderbar passend zum ehemaligen Jugendstil-Stadtbad sind die Duschkabinen und Toiletten, die Stefan Bircheneder auf Leinwand gemalt, aber dreidimensional zusammengestellt hat. Die blauen Fliesen im 1950er-Jahre-Stil haben starken Wiedererkennungswert und passen außerdem farblich hervorragend zum „Becken“ des Heidenheimer Kunsterziehers und Künstlers Gunther Kerbes. Gut fügen sich auch die Wassertropfen von Lieven Hendriks in die Schwimmbad-Atmosphäre ein, bei deren Herstellung Haargel, Brausetabletten und Wasser eine Rolle gespielt haben, und deren Plastizität natürlich auch nur eine Täuschung des Auges ist.
Man mag gar nicht jedes Detail dieser facettenreichen Ausstellung im Voraus verraten, schließlich ist ein großer Teil des Spaßes auch, sich ein wenig täuschen zu lassen und selbst herauszufinden, was man wirklich sieht. Viele Effekte, die durch die Kunstwerke entstehen, werfen philosophische Fragen auf, anderes ist einfach unterhaltsam. Auch die räumliche Entfernung spielt eine große Rolle, manche Täuschung funktioniert nur mit Abstand, an andere Werke muss man geradezu die Nase pressen und sich beherrschen, um sie nicht anzufassen vor lauter Neugierde.
Im kleinen Ausstellungssaal im Erdgeschoss, dessen Wände extra in schwarz getaucht wurden, zeigt Benjamin Moravec ergänzend zur großen Ausstellung „Die Ränder der Fiktion“. Er verarbeitet in großformatiger Malerei Bilder, die er im Internet findet, mit Versatzstücken aus Werken der Kunstgeschichte und stellt alles zu neuen Kompositionen zusammen. „Früher hatte jedes Motiv eine tiefere Bedeutung, heute werden wir geradezu überflutet mit Bildern“, erläutert Marco Hompes. Benjamin Moravec macht diese Überflutung zum Thema und generiert genau daraus neue Bedeutungen.
Vernissage ist am Samstag
Die Ausstellung „Echt jetzt“ wird am Samstag, 25. November, um 17 Uhr eröffnet. Danach ist sie bis zum 3. März 2024 im Kunstmuseum Heidenheim (Marienstraße 4) zu sehen. Die erste öffentliche Führung findet gleich am Sonntag, 26. November, um 11.15 Uhr statt. Die Krümel-Preview für Kinder ab sechs Jahren findet am Samstag, 25. November, um 11.15 Uhr statt. Dabei dürfen maximal zwölf Kinder schon vor den Erwachsenen einen Blick in die neue Ausstellung werfen.